Britisches Magazin zur Flüchtlingskrise: „EU heuchelt Weltoffenheit und praktiziert Rassismus“

„Spiked“-Chefredakteur Fraser Myers wirft liberalen Europäern Doppelmoral vor: Sie gingen mit EU-Fahnen und für „Weltoffenheit“ auf die Straßen, bezahlten aber autoritäre Herrscher fürs Fernhalten von Flüchtlingen und ließen diese in grauenvollen Lagern vegetieren.
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Eine britische Fahne, auch Union Jack genannt, steht im Europäischen Parlament.Foto: Jean-Francois Badias/AP/dpa/dpa
Von 4. März 2020

Eine neue Flüchtlingskrise an den Außengrenzen der EU beherrscht die Schlagzeilen. Seit Freitag der Vorwoche (28.2.) haben sich mehr als 10 000 Migranten an den türkischen Landgrenzen zu Griechenland und Bulgarien versammelt und es ist vereinzelt bereits zu Durchbruchsversuchen gekommen. Zudem haben es mindestens 1000 Einwanderungswillige geschafft, die griechischen Ägäis-Inseln von der Türkei aus auf dem Seeweg zu erreichen. Grenztruppen setzten Tränengas, Wasserkanonen und zum Teil Gummigeschosse ein, um die Migranten zur Rückkehr ins Landesinnere der Türkei zu bewegen. Auf Lesbos sollen zudem Bürgerwehren Flüchtlingsboote daran gehindert haben, an den Küsten der Insel anzulegen.

Die neue Massenfluchtbewegung in Richtung EU setzte ein, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag eine Stand-Down-Order an seine Grenzschützer verkündet hatte. Diese sollen Migranten nicht mehr daran hindern, sich auf den Weg nach Griechenland oder Bulgarien zu machen. Zuvor war die Situation im syrischen Idlib eskaliert, nachdem mehr als 30 türkische Soldaten bei einem Luftangriff der syrischen Armee auf einen Konvoi ums Leben gekommen waren und die Türkei darauf mit Vergeltungsschlägen geantwortet hatte.

Neue Flüchtlingskrise ist nicht so neu

Dem Astana-Abkommen zufolge stellt Idlib, wo vor allem protürkische und radikal-islamische Rebellengruppen aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden hatten, eine „Deeskalationszone“ dar. Die Türkei soll die Ordnung in diesem Gebiet gewährleisten, in dem auch eine siebenstellige Zahl an Binnenflüchtlingen untergebracht ist. Die Versuche der syrischen Armee und ihrer Verbündeten wie der Russischen Föderation, das Gebiet zurückzuerobern, werden in Ankara nicht nur als Bruch der Astana-Vereinbarung gesehen, sondern auch als Initialzündung für eine neue Massenflucht in die Türkei.

Dort befinden sich derzeit 3,7 Millionen syrischer Flüchtlinge. Die Kämpfe in Idlib haben einen weiteren Sturm auf die Grenze bewirkt. Seit Dezember des Vorjahres soll eine Million Flüchtlinge Syrien in Richtung Türkei verlassen haben. Der weitere Zustrom in die Türkei setzt Erdoğan innenpolitisch unter Druck, zumal die EU nach Darstellung Ankaras noch nicht einmal jene sechs Milliarden Euro bezahlt habe, die der Türkei im Abkommen vom März 2016 im Gegenzug zur Schließung der Grenzen zugesagt worden waren.

Mittlerweile verkünden Erdoğan und die regierungsnahe türkische Presse deutlich überhöhte Zahlen von Flüchtlingen, denen bereits ein Grenzübertritt gelungen wäre, und warnen vor „Millionen“, die sich noch auf den Weg machen könnten.

Selbstbild als Verkörperung von Offenheit, Toleranz und Freiheit

Im klassisch-liberalen britischen Magazin „Spiked“ befasst sich Chefredakteur Fraser Myers mit der Thematik. Er sieht hinter dem Agieren Ankaras den Versuch, die NATO-Partner und die EU wieder zurück in den Syrien-Konflikt zu ziehen oder diese zumindest zu weiteren Sanktionen gegen Russland zu veranlassen, das die Offensive des Assad-Regimes in Idlib unterstützt.

Einige Politiker in der EU sprechen von „Erpressung“ durch Erdoğan. Myers hingegen sieht die Hauptverantwortlichkeit für die nunmehrige Krise bei den Europäern selbst. Entgegen ihrer eigenen Selbstdarstellung als weltweite Vorbilder für Weltoffenheit und Toleranz seien sie sehr entschlossen in ihrem Bestreben, Migration aus den vermeintlich „falschen“ Weltgegenden zu verhindern – und dafür auch einen erheblichen Preis zu bezahlen.

„Für die Fans der EU, von denen es auch im britischen Establishment eine erschreckend hohe Zahl gibt“, schreibt Myers, „ist die EU ein kosmopolitisches Utopia. Man sieht sich selbst als Verkörperung von Offenheit, Toleranz und Freiheit. Dabei könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein. Während es Bewegungsfreiheit für Arbeitskräfte innerhalb der 27 Mitgliedstaaten gibt, ist man auch auf sture Weise dazu entschlossen, Außenseiter draußen zu halten.“   

Erst Gaddafi, jetzt Erdoğan

Der Deal mit Erdoğan aus dem Jahr 2016 sei ein Ausdruck davon gewesen. Man habe damit zwar Flüchtlinge daran gehindert, weiter als bis auf die griechischen Inseln zu kommen. Man helfe aber dabei weder ihnen noch den Bewohnern derselben, sondern pferche die Migranten in überfüllte Lager, die in weiterer Folge die Lebensqualität auf den Inseln für alle beeinträchtigten. Während man sich selbst als unfähig zeige, eine kohärente Strategie zum Umgang mit der Migrationskrise zu finden, verlasse man sich auf autoritäre Herrscher und Diktaturen, die einem die Arbeit abnehmen sollten – und diese Position dann in eigener Sache ausnützten.

Vor Erdoğan habe man 2004 die Sanktionen gegen den libyschen Machthaber Gaddafi gelockert, im Gegenzug sollte dieser afrikanische Migranten von den Küsten fernhalten. Im Jahr 2010 erklärte Gaddafi, Europa würde sich „schwarz einfärben“, sollte er nicht weitere fünf Milliarden Euro für den Küstenschutz erhalten. Seit Gaddafis Sturz bezahle die EU weiter für diesen Grenzschutz – an diverse Milizen und Warlords, die einzelne Küstenstreifen kontrollieren.

„Das Resultat ist eine humanitäre Katastrophe“, schreibt Myers weiter. „Migranten, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen werden, kommen in Anhaltelager. Dort soll es Folter geben und einige Insassen sollen als Sklaven gehalten werden. In einigen Fällen sollen Gangleader und Menschenhändler die Lager leiten, von denen einige persönlich Hunderte verzweifelter Menschen, die versuchten, Europa zu erreichen, erschossen haben oder ertrinken ließen. Jener EU-Kommissar, der für die Weiterführung dieser Form von Politik verantwortlich ist, hat seiner tief ironischen Jobbeschreibung zufolge die Aufgabe, die ‚Europäische Lebensart‘ zu fördern.“

„Glaube an das inhärent Gute in der EU nicht zu erschüttern“

Dieselben Leute, die nicht müde würden, den „Megxit“ im britischen Königshaus mit vermeintlich „rassistisch“ motivierten, kritischen Presseberichten in Großbritannien zu begründen, hätten „eigenartigerweise nichts zu sagen über die rassistische Behandlung dunkelhäutiger nichteuropäischer Migranten durch die EU“.

Zehntausende seien auf dem Weg nach Europa ertrunken, weitere Zehntausende befänden sich unter inhumanen Bedingungen in Gewahrsam – als Folge der Politik der EU:

„Dennoch begaben sich zehntausende selbsternannte Liberale auf die Straßen – nicht, um die EU zu verurteilen, sondern um sie zu feiern. Sie wedeln mit EU-Fahnen und malen sich ihre Gesichter mit EU-Fahnen an. Manche behaupten sogar, ein ‚Herz für Migranten‘ zu haben, und das ohne irgendwelches Schamgefühl.“

Die Diskrepanz zwischen einer „Pro-Einwanderungs-Politik“ als vermeintlich zentralem Element der europhilen liberalen Identitätspolitik und der EU-Propaganda auf der einen und der Praxis der „Festung Europa“ auf der anderen sei tief. Dennoch reiche sie offenbar nicht aus, um den Glauben an das inhärent Gute im Projekt EU und das inhärent Böse in jedem, der sich davon abkehren wolle, zu erschüttern. Die Migranten selbst, so Myers, seien „sowohl für die Türkei als auch für die EU nur Bauernopfer in einer größeren Schlacht“.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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