Ein Brief aus Schweden: Corona? Impfung?

So richtig versteht in Schweden niemand, warum man in Deutschland immer noch eine Maske tragen muss. Doch die Uhren ticken in Schweden doch noch etwas anders als in Deutschland, schreibt Sören Padel in einem Essay.
Von 23. August 2021

Eigentlich lebt es sich ganz gut hier, weit im Norden, in der Provinz, im Wald. Bei allen Nachteilen, allen Unterschieden, die mir als entlaufenem Großstädter aus einem eher akademisch geprägten Umfeld tagtäglich immer wieder klar werden. Sicherlich, das Motto meiner Heimatgemeinde „Der beste Alltag der Welt“ (den soll es da geben), könnte ich nicht einmal als gelernter Misanthrop teilen, aber alles ist nun mal relativ. Zum Beispiel relativ zu Corona.

Für die Kinder gab es von der Krippe bis zur 9. Klasse (fast) keine Einschränkungen des Unterrichts, die außerschulischen Aktivitäten wurden nur bedingt und temporär runtergefahren. Glücklicherweise wurden im Winter die Fenster nicht öfter als gewöhnlich geöffnet (was bei minus 30 Grad auch nicht unproblematisch gewesen wäre). So konnten die Kleinen auch ohne Kniebeugen und in Die-Hände-Klatschen den Unterricht bewältigen. Nicht mal die Filteranlagen der Schulen wurden ausgetauscht, niemand trug Masken. Trotzdem ist kein Kind ernsthaft erkrankt, auch die Lehrer hatten ein eher unterdurchschnittliches Infektionsrisiko (im Vergleich zu anderen Berufsgruppen).

Während man in deutschen Landen wochenlang in den Lockdown gegangen ist, man heute noch mit Mundschutz einkaufen muss und dafür sogar bald noch einen Test braucht, gab es in Schweden fast nur Empfehlungen für die Maske nur zu Stoßzeiten im ÖPNV für alle über 16. Freiwillig hat in den Geschäften fast niemand die Maske getragen. Aber natürlich gab es auch unbedingte Einschränkungen. Diese betrafen vor allem die Versammlungsfreiheit (Kultur- und Sportveranstaltungen, Demonstrationen) und gingen noch weiter als in Deutschland.

Praktisch hat das meiste hier in den kleinen Orten, abseits der Ballungszentren (in denen aber die meisten Schweden leben), den Alltag weniger geprägt. Nicht mehr als 1 Kunde pro 10 m² im Geschäft, keine Demonstrationen, kein Kulturleben – oder wie der böse Stockholmer lästert: alles wie immer. Die Maskenempfehlung für die Hauptverkehrszeiten betrafen nur alle über 16 – fast niemand aus dieser Gruppe benutzt den Bus oder die eher seltenen Bahnangebote. Auch die Kirchen waren schon vor Corona leer und die wenigen Kulturveranstaltungen wurden nie von Menschenmassen überrannt. Gleiches gilt für die Spiele der lokalen Fußball- und Volleyballmannschaften. Für Beerdigungen gab es Extraregeln, sodass jeder Verstorbene würdig verabschiedet werden konnte.

Wirklich einschneidend waren nur zwei Dinge. Zum einen die mediale Panikmache, die sich hinter deutschen nicht verstecken muss, auch wenn sie hier eher regierungskritisch daherkommt, dennoch aber nachhaltig einen Großteil der Menschen verschreckt hat. Zum anderen hat die Beschränkung auf acht Personen das eh schon dürftige soziokulturelle Leben vollends zum Erliegen gebracht. Insgesamt sind die Maßnahmen vom Gros der Bevölkerung mitgetragen worden. Viele forderten weitergehende Maßnahmen, es gab aber auch, vor allem in Stockholm, Proteste. Diese wurden von der Polizei konsequent aufgelöst – allerdings ohne martialische Gewalt und ohne Einbindung der politischen Polizei.

Im Frühjahr beschloss die Behörde Folkhälsomyndigheten (FOHM), im Takt mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens die Maßnahmen stufenweise zurückzufahren. Die ersten Stufen wurden planmäßig umgesetzt. Ob auch die letzten Beschränkungen im September fallen werden, hängt an der Bewertung des Infektionsgeschehens. Auch die schwedischen Behörden sind da ein wenig in der „Delta-Angst“. Allerdings sind im Sommer die Anzahl der mit und an Covid-19 Verstorbenen auf unter einen pro Tag gefallen.

Das liegt nicht nur am Rückgang des Infektionsgeschehens, sondern auch am Abschied vom PCR-Test, ganz im Einklang mit den WHO-Empfehlungen vom Januar. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden also keine Krebspatienten oder Verkehrstote mehr als Covid-Opfer erfasst. Das könnte auch auf die Beurteilung der Delta-Variante durchschlagen, die zwar infektiöser ist als andere, jedoch weniger morbid und letal. Insgesamt steigt die Anzahl der Infizierten wieder langsam an (auf sehr niedrigem Niveau). Jedoch ist die Anzahl der Intensivpatienten und – wie angeführt – der Verstorbenen kaum noch messbar. Tegnell betonte allerdings, dass er Delta im Auge behalten würde und die endgültige Aufhebung aller Maßnahmen infrage gestellt werden könnte.

Der Rückgang der Fallzahlen in Schweden wird von den Behörden und Medien ähnlich wie in Deutschland primär auf die hohe Durchimpfung zurückgeführt (nicht auf den saisonalen Charakter der Krankheit oder die neuen Messmethoden).

Das Thema Narkolepsie (als Impfschaden) war in den schwedischen Medien bis 2019 stetig präsent und man konnte im Prinzip wöchentlich sehen, wie Pandemrix, das 2009 gegen die Schweinegrippe auch an Kinder verabreicht wurde, viele junge Leben nachhaltig verdorben hat. Also mehr Vorsicht beim Thema Impfung nun?

Nein. Die schwedischen Behörden haben auch nun keine Bedenken, wie die meisten anderen Länder voll auf die unerprobten und daher risikobehafteten RNA-Impfungen zu setzen. Medial gab es natürlich keine Widerstände und ich habe bisher noch von keinen Schweden eine Frage nach möglichen unerwünschten Langzeitwirkungen gehört. Es gibt keine Querdenker, keine Bhakdis oder Wodargs, keine breite gesellschaftliche Diskussion zur Sinnhaftigkeit der Corona-Impfungen. Und so wurde ich noch nie gefragt, ob ich mich impfen lasse, sondern nur, wann ich mir meine Impfung hole. 

Momentan ist das RNA-Impfen von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, die keine Vorerkrankungen haben, illegal. Jedoch befürworten laut SVT drei von vier Schweden die Impfpflicht für Kinder (analog zur Impfpflicht für Kinderkrankheiten), obwohl man seit Ausbruch der Krise sieht, dass weder die Kinder noch die sie umgebenden Erwachsenen coronabedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind.

Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass die meisten Schweden die Impfentscheidung als individuelle Entscheidung ansehen und daher eine generelle Impfpflicht für nicht vorstellbar und ganz und gar nicht wünschenswert halten. Unabhängig von der politischen Orientierung sind sie tief schockiert, wenn man ihnen die Bilder der Berliner Polizeigewalt von den Demonstrationen der Demokratiebewegung zeigt. So richtig versteht auch niemand, warum man in Deutschland immer noch eine Maske tragen muss. Darüber hinaus kann ich mir auch bei aller durchaus vorhanden Fantasie nicht vorstellen, dass hier – analog zum Verfassungsschutz oder dem Staatsschutz einiger Bundesländer – die Sicherheitspolizei (SÄPO) jemals friedliche, regierungskritische Demonstranten ins Visier nehmen würde.

Da ticken die Uhren in Schweden doch noch etwas anders als in Deutschland. Oder könnte man sich in Deutschland einen Bundesminister oder gar Regierungschef vorstellen, der jahrelang in einem Lehrberuf gearbeitet hat und über sein gewerkschaftliches Engagement in der Politik gelandet wäre? Vielleicht ist ein wenig Bodenhaftung letztendlich der Unterschied zwischen einer gescheiterten und einer gelebten Demokratie. Wer weiß.

Doch es lebt sich gar nicht so schlecht hier. Vieles ist anders, wenig perfekt, aber irgendwie passt es doch immer noch. Mehr oder weniger…

Sören Padel lebt in Schweden und hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeografie sowie Geschichte an der Mittuniversität studiert. Mit drei abgeschlossenen Berufsausbildungen arbeitete er unter anderem in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium). Darüber war/ist er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig. Auf seinem Blog „Corona-Schwede“ berichtet er regelmäßig über die Situation in Schweden. Sein aktuelles Buch „Einführung in die Demografie: Ein kompakter Einstieg in Begriffe und Modelle der Bevölkerungslehre“ erschien im Mai 2021.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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