Als ob nur ein Film ablaufen würde

Sie hörten täglich den Lärm von Explosionen, das Pfeifen von Raketen und das Klirren von zerbrechendem Glas. Trotzdem entschied ein Ehepaar in Kiew, der Gefahr zu trotzen und ihr Zuhause nicht zu verlassen. Das ist ihre Geschichte.
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Eine Fußgängerin fotografiert das Wrack eines russischen Panzers vor dem Nationalmuseum für Militärgeschichte der Ukraine in Kiew am 5. Mai 2022.Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP via Getty Images
Von 12. Juni 2022


Seit 15 Jahren lebe ich in der Ukraine und ich gebe zu, dass ich den Kriegsanfang verschlafen habe. Aus irgendeinem Grund weckten mich die allerersten Explosionen nicht, obwohl ich normalerweise einen sehr leichten Schlaf habe. Als man mir am nächsten Morgen davon erzählte, konnte ich es nicht glauben. Wie konnten die Bomben mich nicht aufwecken?

Eines Morgens wurde das Land durch Explosionen erschüttert. Raketen flogen über uns hinweg, Bomben explodierten. Überall schien das totale Chaos zu herrschen.

Zuerst wussten wir nicht, was wir davon halten sollten. Was da geschah, konnte ich mir nicht erklären. Die Gedanken drehten sich im Kreis, sollten wir fliehen oder bleiben?

Mein Mann und ich wollten meine Mutter in Russland besuchen, aber im letzten Moment beschloss ich, die Reise um eine Woche zu verschieben. Das war genau die Woche, in der der Krieg ausbrach. Ich verstand das als einen Hinweis, in dieser historischen Zeit unbedingt in der Ukraine zu bleiben.

Trotz des Chaos standhaft bleiben

Am fünften Tag spitzte sich die Situation zu. In unserer Nähe gab es mehrere starke Explosionen. Einmal explodierte eine von einem Flugzeug abgeworfene Bombe: Mehrere Privathäuser brannten nieder, eine Frau wurde getötet. Außerdem wurde ein Marschflugkörper direkt über unserem mehrstöckigen Gebäude abgeschossen: Die Eingangstüren wurden herausgerissen und die Fensterrahmen beschädigt. Dabei blieben überraschenderweise alle Fensterscheiben in unserem Gebäude heil und es wurde niemand verletzt. Unsere Wohnung nahm überhaupt keinen Schaden.

Wir hörten von überall den Lärm von Explosionen, das Pfeifen von Raketen über uns und das Klirren von zerbrechendem Glas. Von Zeit zu Zeit erzitterte unser Haus, wenn die Druckwellen gegen die Fenster schlugen. Alles wurde sehr unruhig und schien einzustürzen, auch unser Haus. Wir schliefen in unserer Kleidung und trugen unsere Dokumente und Telefone sogar in der Wohnung mit uns herum, für den Fall, dass wir plötzlich aus unserem einstürzenden Gebäude rennen müssten. Es schien wirklich so, als ob wir dem Tod ins Auge blicken würden.

Hier kam es uns zugute, dass wir seit vielen Jahren die buddhistische Meditationspraktik Falun Dafa praktizieren. Mein Mann und ich machten jetzt verstärkt die fünf beruhigenden Übungen und gingen weiter unserer Arbeit nach. Als es Nacht wurde, konnten wir wegen der ständigen Drohung von Bombenangriffen nicht einmal das Licht anmachen.

Zu dieser Zeit verließ etwa die Hälfte der Einwohner Kiew. Etwa zehn Prozent der Bewohner blieben in unserem Gebäude. Wir waren die Einzigen in unserem Stockwerk von insgesamt zehn Wohnungen.

Für die anderen da sein

Zu dieser Zeit stand ich unter enormem Druck. Es fiel mir sogar schwer, meinen Rücken gerade zu halten, und ich hatte ständig Magenkrämpfe. Die Situation um uns herum war sehr bedrückend, auch das Wetter. Es schneite und schwarze Wolken, vermischt mit dem Rauch der Schlacht, hingen über der Stadt. Manchmal schien es, als wären wir allein am Rande des Universums, Auge in Auge mit einer riesigen Dunkelheit. Trotzdem wollte ich nicht aufgeben, sondern standhaft bleiben. Wenn wir jetzt Angst bekämen, uns aufregten, wütend würden oder uns von unseren Emotionen beherrschen lassen würden, wären wir nicht in der Lage, hierzubleiben und unseren Mitmenschen zu helfen.

Ich spürte, dass wir noch regelmäßiger die Übungen machen sollten. Wir beschlossen sogar, die Wohnung zu verlassen und die Stehübungen im Hof unseres mehrstöckigen Gebäudes zu praktizieren. Die Nachbarn sahen uns durch ihre Fenster und sagten uns später, dass sie sich dadurch ermutigt fühlen würden.

Wir fingen auch an, auf die Straße zu gehen und mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Zu dieser Zeit waren nur sehr wenige auf der Straße. Alle waren froh, einander zu sehen. Ich schenkte ihnen selbst gebastelte Lotusblumen und sprach mit ihnen über die universellen Werte von Wahrhaftigkeit, Güte und Nachsicht, auf denen die Kultivierungspraktik Falun Dafa beruht. In einer so trostlosen und scheinbar hoffnungslosen Umgebung waren sie sehr dankbar darüber. Die Menschen sind jetzt sehr offen für alles Positive in ihrer Umgebung. Nachdem wir ihnen auch erzählt hatten, wie die Praktizierenden in China angesichts der bösartigen kommunistischen Verfolgung nicht aufgeben, fingen viele Menschen an zu weinen. Einige sagten uns, dass Gott uns zu ihnen geschickt habe.

Unsere innere Ruhe, die Freiheit von Angst und Furcht, die wir durch Falun Dafa gewonnen haben, ging auf sie über.

Die Lotosblüten, die wir den Anwohnern überreichten. Foto: privat

Bei Explosionen zuckte ich nicht mehr zusammen

Allmählich wurden wir immer gefestigter. Mit der Zeit kam es uns so vor, als ob das, was um uns herum geschah, nichts mit uns zu hätte. Alles machte immer mehr den Eindruck, als ob da nur ein Film ablaufen würde.

Irgendwann reagierten meine Gedanken nicht mehr auf die Kriegsgeräusche, dann auch der Körper nicht mehr. Bei Explosionen zuckte ich nicht mehr zusammen. Ich konnte meine Augen öffnen und fliegende Raketen sehen und dann einfach die Augen wieder schließen und mit den Übungen weitermachen: Das störte uns nicht weiter. Allmählich wurden die Kriegsgeräusche leiser und die Situation in unserer Gegend beruhigte sich, die Menschen gingen wieder in ihre Häuser zurück.

Der Krieg hat mir die Situation der Falun-Dafa-Praktizierenden in China deutlicher vor Augen geführt. Durch die Verfolgung müssen sie täglich ihre Angst überwinden, ansonsten könnten sie ihre Kultivierung nicht fortsetzen.

Inmitten der Gefahren des Krieges denke ich nicht, dass jeder hier bleiben muss. Mein Mann und ich haben diesen Weg gewählt, weil wir in der Flucht nicht die Lösung sahen. Wir haben einen tiefen Glauben an das Gute und daran, dass jeder ein vorherbestimmtes Schicksal hat. Für uns war es wichtig, unsere eigene Angst zu überwinden und denen, die geblieben sind, Trost zu spenden und Hoffnung zu geben. Natürlich ist das nicht der Weg, den jeder gehen muss.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.