Christian Moser über Würde und Freiheit: Ein Trauerspiel um das Goldene Kalb

Gibt es überhaupt die viel beschworene "soziale Gerechtigkeit" und wie verträgt sie sich mit unserer Würde und Freiheit? Ein philosophischer Essay.
Titelbild
Das Goldene Kalb ist ein biblisches Kultbild, das beispielhaft für das Problem des Götzendienstes steht.Foto: iStock
Von 19. Oktober 2022

„Sagt es niemand, nur den Weisen, weil die Menge gleich verhöhnet, das Lebendg’e will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet.“ (Goethe) Nicht das Muttersöhnchen „hinter dem Ofen, unter den Schranzen und unter den Zofen“ (T. Körner), nur der Ikarus, der sich im Höhenfluge zur Sonne die Flügel versengt, lebt wahrhaftig, denn „setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein“ (Schiller).

Wer in der Freiheit leben will, der findet sie nicht unter den Ammen, sondern auf der großen Fahrt hinaus in die Welt, Wind und Wetter und allen Anfechtungen trotzend, ringend und wachsend in der Schule des Lebens und am Ende reich an dem, was des Daseins kostbarstes Gut ist: Die stolze Erinnerung und die Dankbarkeit ob des Erreichten, das dem Leben Sinn verlieh und die Erfüllung der Seele über ihre Zeit hinaus erstrahlen lässt. Nur das selbst Errungene spiegelt die eigene Seele wider. Wer sein Leben lang von anderen lebte, der wird an seinem Erdenwege nicht sein Abbild finden, er bleibt der dunkle Schatten seiner selbst.

Wir haben uns selbst verloren

Doch solch ein dunkler Schatten ist der Geist unserer Zeit. Er liegt irgendwo zwischen Niedriglohn, Werbung, Discount, Fast Food, Erschöpfung und der Sehnsucht nach Ruhe von alledem. Nicht der Drang nach oben hält unsere Seele in Aufruhr, sondern das Hamsterrad des Zinses und die Flucht vor dem Gefühl, nicht Herr des eigenen Lebens mehr zu sein.

Wir haben gelernt, aus jener Tiefe nach „sozialer Gerechtigkeit“ zu rufen, die materielle Not durch Geldausgleich zu lindern, den wir von anderen fordern. So drängt es uns von einer Sklaverei in eine nächste.

Wie das Vieh, das von dem einen Pferch in einen andere wechselt, leben wir auf dem Acker des materiellen Gottes, der unseren freien Geist nicht kennt, ihn scheut, als Unkraut ihn verdammt, wo er sich regen mag. Er bringt ihm nichts ein, so soll er schweigen.

Das haben uns Jahrhunderte der Geldherrschaft gelehrt. Durch ihre Ketten haben wir uns selbst verloren.

So in Klassen, Stände und partikulare Interessengruppen – in Parteien – vereinzelt kämpfen wir wie die Wetthähne gegeneinander und sehen nicht, dass unsere Herren ihren Einsatz tauschen und uns schlachten, wenn die Kraft versiegt.

Unversöhnlich gegen unseresgleichen – und damit gegen uns selbst – füllt der uns eingepflanzte Hass aus Neid das Welttheater. Es ist ein Trauerspiel um das Goldene Kalb, den allzu glänzenden gehörnten Gott, der sich Moloch nennt und sich mit unserem Blute bezahlen lässt.

Wir achten indes nur auf das Bühnenbild, die große erfundene Erzählung, die uns das Drama vorgibt, die angepasste Garderobe, die unsere Rolle trägt, und die Maske, die unser wahres Gesicht verbirgt, die uns zeigt, wie man es von uns und unserer Rolle erwartet. Der Applaus gibt uns das „Recht“.

So innerlich leer der materialistische Mensch ist, so sehr definiert er sich im Außen über seinen Besitz, seine Ansprüche, die er gegen andere richtet. Für sich selbst ist nicht er verantwortlich, sondern immer die Gesellschaft und immer diejenigen, die mehr haben als er, womit er nur die materiellen Güter meinen kann. Mehr zu besitzen als er und sei es Verdienst, ist ihm eine Ungerechtigkeit an sich und begründet bereits den Zorn und Eifer.

Der Mittelstand wird zerrieben

Das letzte Jahrhundert des Sozialismus und der Sozialdemokratie haben eine Fülle von Institutionen hervorgebracht, die damit beschäftigt sind, die Erträge der arbeitenden Menschen umzuverteilen. Im heutigen Systeme der sozialen Marktwirtschaft wird der arbeitende Mittelstand zwischen der Verteilung nach bedürftig und reich zerrieben.

Als wäre dies nicht genug, verteilt der Staat den Rest an die halbe Welt. Über den Euro und den Maastrichtvertrag wurde die Ausbeutung des deutschen Mittelstandes internationalisiert. „Versailles ohne Krieg“ nannte die französische Zeitung Le Figaro 1992 diese Errungenschaft des „Vaters der Einheit“, Helmut Kohl. Ich frage mich, ob ein Otto von Bismarck eine solche Unterschrift geleistet hätte. Selbst Scheidemanns Hand wäre verdorrt, wie man weiß.

So viele Jahrzehnte wurde der Geist des Neides und der Umverteilung den Menschen als „soziale Gerechtigkeit“ verkauft, dass wir deren Widersinn nicht mehr bemerken.

Gibt es überhaupt die viel beschworene „soziale Gerechtigkeit“? „Soziale Gerechtigkeit“ kann es schon deshalb nicht geben, weil es kein soziales „Recht“ gibt, sondern nur soziale Forderungen.

Was ist daran gerecht, ja Recht, jemandem, was er erwirtschaftet hat, wegzunehmen, um es jemandem zu geben, der es nicht erwirtschaftet hat? Diese Enteignung ist nichts weiter als eine Forderung, deren Durchsetzung keine Frage des Rechtes ist, sondern wie so oft eine Frage der Macht.

Wenn nicht der Arbeitslose, sondern der Arbeiter eine solche Forderung erhebt, so sind auch hier Klassenkampf und Enteignung kein Recht und keine Gerechtigkeit. Die angemessene Möglichkeit des Arbeiters, an der Wertschöpfung seines Unternehmens teilzuhaben, ist eine Frage des Willens, der gegenseitigen Achtung von Arbeiter und Unternehmer und ihrer gemeinsamen Behauptung nach außen, nämlich gegenüber dem unproduktiven, lediglich nutznießerischen Finanzkapital und seiner Günstlinge.

Gegen den Staat wiederum dürften keine Geldforderungen gerichtet werden, denn auch er würde seine Mittel wieder von den Produktiven nehmen, statt vom unproduktiven Finanzkapital, das sein wahrer Herr ist. Gegen den Staat richtet sich stattdessen ein Gestaltungsanspruch, sofern erst das Volk sich ihm wieder zum Herren erhoben hat.

Das Fordern ist der falsche Weg

Schon das Fordern an sich ist der falsche Weg. Wer fordert, akzeptiert, ohnmächtig zu sein. Wer fordert, geht selbst davon aus, demjenigen, gegen den er die Forderung richtet, unterworfen zu sein. Er macht sich selbst zum Bettler und setzt sich herab. Er erkennt damit selbst an, unfrei zu sein und, indem er danach handelt, es auch zu bleiben.

Am erbärmlichsten ist es, wenn ausgerechnet Politiker „fordern“. Ein Politiker hat dem Sinn seines Berufes nach die von ihm als richtig erkannten Ziele nicht zu fordern, sondern zu verwirklichen. Ein Politiker, der fordert, erklärt damit vor aller Welt, dass er weder fähig ist, zu gestalten, noch gestalten will.

Wir haben nicht zu bitten und zu betteln, unserer Unzufriedenheit nicht mit Forderungen an wen auch immer Ausdruck zu verleihen, sondern unser Leben, unsere Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Freiheit bedeutet, niemandem Untertan zu sein, nicht abhängig zu sein von Almosen eines Gönners, sondern sein Glück selbst zu schmieden. Die dafür nötigen Verhältnisse sind nicht zu erbitten, sondern zu schaffen. Wenn die Institutionen, wenn der Staat dies nicht können oder wollen, so ist jeder dazu aufgerufen, selbst Verantwortung, Selbstverantwortung zu übernehmen.

Nichts kann unfreier und unwürdiger sein, als die Verantwortung für das eigene Leben zu verleugnen und zu verweigern. Der Geist des Neides und der Umverteilung ist die Verneinung der menschlichen Würde.

Wer mit seiner wirtschaftlichen Lage nicht zufrieden ist, der krempele die Ärmel hoch, der organisiere sich mit anderen freien Menschen und baue etwas Neues auf. Wer den Frieden will, der klage nicht an, sondern versöhne. Und wer sich diskriminiert fühlt, der verfalle nicht in Hass, sondern werde sich der eigenen Ehre bewusst, die in ihm selbst liegt und nicht in anderen, und erkenne, dass in Wahrheit diejenigen innerlich befangen sind, die Diskriminierung nötig haben. Kein Antidiskriminierungsgesetz und keine Kampagne der Welt verhelfen einem Menschen, der sich als Opfer versteht, zum Frieden mit sich selbst. Keine Vergewaltigung der Sprache, keine Nötigung anderer kann einem Menschen den Stolz ersetzen. Im Gegenteil: Sein Fingerzeig auf andere macht seine innere Feindschaft zu sich selbst nur sichtbar.

Der wohlverdiente Lohn

Wer irgend mit der Welt im Hader liegt, der fordere nicht von anderen, das Haupt zu senken, nur weil er selbst es nicht aufrecht tragen will. Eine „soziale Gerechtigkeit“ gibt es nicht, denn niemand hat das Recht, ein Bittsteller zu sein.

Das einzige Recht, das wir brauchen, ist unsere Würde, die darin besteht, Herr unseres Lebens und Schöpfer unseres Reichtums zu sein. Der Reichtum unserer Seele liegt in ihrer Freiheit, ihre Würde liegt in ihrer Entfaltung, wo sie sich entfaltet, da blüht unser Glück.

Wessen Seele glücklich ist und in sich selber ruht, der empfindet aufrechte Dankbarkeit dem Leben gegenüber, der fühlt sich verbunden. Wer sich verbunden fühlt, der fühlt in sich die Not des Nächsten und so schließt sich der Kreis.

Das Zeichen des Materialismus ist der fünfzackige Stern des Beelzebub in Weiß und Rot. Ja, wir wollen kühn sein und nach den Sternen greifen, nach den echten Sternen, die am Himmel stehen, von dem wir stammen. Wir wollen uns nicht von den falschen Sternen des gefallenen Engels blenden lassen, der uns in die Düsternis seiner niederen Öde zieht.

Drum wollen wir auch nicht wie jene das Bild der dunklen Nacht auf unsere Fahne schreiben, sondern den hellen Tag des Lebens vom Morgenglanze der Jugend zum wohlverdienten Lohne des späten Abendrots.

Über den Autor:

Christian Moser ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Gründungsmitglied der Anwälte für Aufklärung e.V.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 66, vom 15. Oktober 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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