Das Volk und die Eliten

Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, politische Korrektheit und Co – das ist heute in aller Munde, vor allem bei den Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Doch die unteren Schichten hätten von diesem elitären, edelmütigen Schauspiel die Nase voll, meint der emeritierte Professor Mark Bauerlein. Sein Essay bezieht sich zwar auf die USA, doch eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in Deutschland.
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Am 8. Juni 2020 machten führende Demokraten zu Ehren des getöteten George Floyd fast neun Minuten lang einen Kniefall.Foto: Chip Somodevilla/Getty Images
Von 6. Dezember 2021
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Wir leben in der traurigen Zeit von Cancel Culture und politischer Korrektheit: Der Dekan einer Hochschule suspendiert einen Professor, weil sich ein paar Studenten über seinen Mangel an Sensibilität beschweren; ein CEO spricht unablässig vom Engagement seiner Firma für soziale Gerechtigkeit; führende Politiker der Demokratischen Partei tragen einen afrikanischen Schal und machen einen Kniefall. Wenn das passiert, gibt es zwei Reaktionen. Ich kenne sie aus erster Hand.

„Das müssen sie eben tun“ ist eine Antwort auf dieses kleinmütige Nachgeben und öffentliche Gehabe. Die Worte werden mit einem Hauch von banaler Gewissheit ausgesprochen, dazu kommt ein wenig Unruhe und die stille Hoffnung, dass man darüber hinwegkommen werde.

Diese Reaktion kommt von einem Mitglied der Elite. Diese Person hat irgendeinen Hochschulabschluss und arbeitet an einer renommierten Institution, einer Universität, in einem erfolgreichen Unternehmen oder in den oberen Etagen des Staates. Sie kennt Menschen wie diesen Dekan und ist mit den Umständen vertraut, die zu dieser Entscheidung führten. 

Unser abgestumpfter Beobachter urteilt schnell und erwähnt prompt die Bedingungen, die mit einer hohen Position einhergehen. Er zieht es vor, nicht auf die Besonderheiten des speziellen Falls des suspendierten Professors einzugehen. Er weiß, was zu tun ist; er weiß, wie man handeln muss, wenn man diese hochrangigen Positionen bekleidet. Wer nicht in dieser Situation gewesen sei, verstehe es einfach nicht.

Einfache Menschen glauben den Eliten nichts mehr

Das bringt uns zu der anderen Reaktion. Diese kommt von den unteren Schichten, von Arbeitern und Menschen ohne Hochschulabschluss. (Trotz des Trends zum Studium in den letzten 20 Jahren hat nur etwa ein Drittel der Amerikaner einen Hochschulabschluss.)

Wenn diese weniger ausgebildeten Personen sehen, wie ein Höherstehender über systemischen Rassismus oder ein anderes politisch korrektes Thema spricht, wenn ein Nachrichtensprecher feierlich und aufrichtig einen Marsch für die Rechte der Frauen oder eine andere progressive Demonstration beschreibt oder wenn ein Bürgermeister sich vor den Demonstranten von „Black Lives Matter“ verbeugt und Gesetze aufweicht, dann glauben sie diesen Galionsfiguren kein Wort. „Was für ein Angeber, was für ein Betrüger“, so ihr Urteil.

Der Respekt, den sie einst vor hochrangigen Persönlichkeiten hatten, ist nicht mehr vorhanden. Barack Obamas Überheblichkeit, Hillary Clintons Verachtung für die „Erbärmlichen“ sowie Hollywoods Geringschätzung und die Abscheu der Professoren zerstörten ihn. Als Donald Trump nach seinem Sieg bei den Vorwahlen in Nevada im Februar 2016 „ich liebe die schlecht Ausgebildeten“ sagte, verstanden sie genau den Kontext seiner Bemerkung, nämlich die Abscheu, die die andere Seite für die ungebildete Bevölkerung empfand. Und sie erwiderten seine Liebe.

Das ist aber nicht alles. Ja, die unteren Schichten haben sich eine Verachtung für die Eliten angeeignet, die der Verachtung der Eliten für sie entspricht. Aber da ist noch etwas anderes, eine weitere Komponente für die schlechte Meinung der Menschen über ihre Vorgesetzten. Sie glauben, alles sei nur gespielt.

Die politisch korrekten Gesten, der Gehorsam der Nörgler und Aktivisten, die öffentlichen Entschuldigungen und Versprechungen – sie trauen ihnen nicht. Sie sind nicht glaubwürdig. Wenn der Präsident einer Elitehochschule den anhaltenden systemischen Rassismus auf seinem Campus beklagt, wissen sie, dass er es nicht wirklich ernst meint. Er ist nur ein gerissener Bürokrat, der seinen Job behalten will. 

Wenn führende Demokraten die Republikaner als „faschistisch“ bezeichnen, betrachten sie das als politische Spielerei und nichts weiter. Diese prominenten Persönlichkeiten erwarten, dass die Zuhörer die richtigen moralischen Schlüsse aus ihren Worten ziehen, aber diese unkooperativen, ungebildeten Bürger halten die Worte für egoistische Taktik. Sie sind eine ständige Enttäuschung für ihre Vorgesetzten.

Mit anderen Worten: Wir haben ein Viertel politische Spielchen und drei Viertel billige Selbstdarstellung. Die einfachen Arbeiter und Familienfürsorger erkennen diese Selbstsucht der Eliten. Den Emotivismus der Eliten sehen sie als Maske, als Routine. Unsere Aristokraten sprechen die wohlklingenden Worte „Vielfalt – Gleichheit – Integration“ aus, weil die Institutionen sie dazu verpflichten, aber die Menschen außerhalb dieser Institutionen glauben dem Schauspiel einfach nicht.

Die Crème de la Crème aus Politikern, Professoren, Journalisten und Prominenten will zeigen, wie sehr sie sich um die Menschen der unteren Schichten kümmert. Die Menschen, die zu ihnen hinaufschauen, denken jedoch das Gegenteil: Wir und unser Land sind euch doch egal. Die Eliten möchten, dass sich alle auf ihre edelgesinnten Worte konzentrieren, doch der Rest des Landes sieht nur die Kameras und Mikrofone, die Diener, das Gefolge und die schicken Klamotten. 

Die Amerikaner merken auch, wie böse die Eliten werden, wenn sie sehen, dass die breite Öffentlichkeit traditionelle Ansichten über Familie, Land, Gott und die Sexualität vertritt. Es braucht nicht viel, damit der Schein der elitären Wohltätigkeit fällt. Die einfachen Amerikaner sind jedoch nicht so dumm, wie die Eliten glauben. Sie erkennen sehr wohl, was das Schauspiel in Wirklichkeit ist: Teil des Jobs, Bedingung für eine Beförderung, der Beweis, dass die Person für ihr Amt geeignet ist.

Allgemeine Verlogenheit auf der Führungsebene

Damit sind wir wieder bei der Reaktion der Mitglieder der Führungsschicht auf die Eliten, wenn diese illiberale Forderungen erfüllen: „Sie müssen es tun, sie haben keine andere Wahl.“ Dies ist ein Bekenntnis zum persönlichen Vorteil. Es zeigt, dass in elitären Kreisen der berufliche Status und die berufliche Laufbahn mehr zählen als alles andere. 

Die Menschen müssen viele Überstunden machen, um auf der Karriereleiter nach oben zu steigen. Wenn sie es einmal geschafft haben, wollen sie dort bleiben. Das setzt jedoch voraus, dass sie Verbündete und Konkurrenten genau beobachten und ihr eigenes Verhalten nach den Erwartungen ihrer Kollegen ausrichten: Die gelegentliche Entschuldigung, das Einlenken gegenüber einigen schimpfenden Unruhestiftern, die Zurechtweisung eines politisch unkorrekten Untergebenen, das Versprechen, mehr zu tun und es besser zu machen – all das gehört zu den Betriebskosten. So bleibt der Lebenslauf einwandfrei.

Dieser Karrierismus hat jedoch einen Preis – einen moralischen. In meinen Gesprächen mit liberalen Bekannten in guten Positionen war ich erstaunt über ihre Toleranz gegenüber dieser allgemeinen Verlogenheit.

Das System des beruflichen Aufstiegs stumpfte ihren moralischen Skrupel so weit ab, dass sie keine aufrichtige Empörung empfinden, wenn sie mit ansehen müssen, wie jemand aus irgendeinem lächerlichen Grund annulliert wird. Sie schütteln vielleicht kurz den Kopf, um ihr Mitgefühl zu bekunden. Doch schon bald bemerken sie, wie unbedacht das Opfer war, und nehmen sich mehr denn je vor, eine ähnliche Untat nicht zu begehen. Sie werden sich selbst nicht in Gefahr bringen; sie haben zu lange und zu hart gearbeitet, um das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber und Kollegen zu verlieren.

Im Liberalismus steht das freie Individuum, das rationale Selbst, das sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, über allem anderen. Diese Liberalen der Führungsschicht sind jedoch keine Individuen und auch nicht frei. Sie sind Teil des Establishments – und ihre Untergebenen wissen das.

Mark Bauerlein ist ein emeritierter Professor für Englisch an der Emory University in Atlanta. Seine Beiträge erschienen in Publikationen wie „Wall Street Journal“, „The Weekly Standard“, „The Washington Post“, „TLS“ und „Chronicle of Higher Education“.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: The People and the Elite (deutsche Bearbeitung von as)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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