Spielen statt Wettkämpfen: Für eine Revolution im Kinder- und Jugendsport

Heute trainieren Kinder entweder in Sportvereinen oder bewegen sich fast überhaupt nicht. Die Hälfte der Kinder hat mit jeglichem Sport aufgehört – sie protestieren indirekt gegen den Leistungsgedanken. Eine Reflexion eines Spitzensportlers aus Schweden.
Titelbild
Ein Skilehrer in Kittelfjaell, Lappland, Schweden.Foto: iStock
Von 18. Mai 2023

Fast jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte, wenn Schweden an internationalen Sportwettbewerben teilnimmt, treffe ich auf enttäuschte Journalisten. Sie sprechen von Misserfolgen und schwachen schwedischen Leistungen. Eine ganze Nation sitzt vor dem Fernseher und hofft, dass Schweden gewinnt, aber die hochgesteckten Erwartungen werden selten erfüllt.

Dabei gibt es Gründe, sich darüber zu freuen.

„Wohlfahrt schafft keine Medaillen“

„Es müssen mehr Mittel in die Elite investiert werden“, heißt es im Sport in aller Welt – mit dem Argument, dass Spitzenleistungen Breite schaffen. Ich glaube das nicht. Die schwedische Bevölkerung wird nicht mehr Sport treiben, weil wir mehr Sportzentren bauen und mehr Elitetrainer einstellen. Das wird die Menschen eher davon abhalten, Sport zu treiben.

Wir wissen aber zum Beispiel aus afrikanischen Ländern, dass Breite zu Spitzenleistungen führt. In Ländern, in denen die Kinder jeden Tag oft eine Meile zur Schule und zurück laufen, gibt es natürlich mehr Lauftalente als in westlichen Ländern. In Vierteln, in denen junge Menschen 24 Stunden am Tag um einen Basketballkorb auf der Straße verbringen, werden von Natur aus gute Spieler hervorgebracht. „Wohlfahrt schafft keine Medaillen“, sagte Stig Larsson, der Leiter von SJ, in einem Fernsehinterview.

Athleten in Ländern mit schwierigeren Lebensbedingungen sind stärker motiviert, sportliche Erfolge zu erzielen. In Schweden haben wir aufgrund der weit verbreiteten Bequemlichkeit größere Probleme, Spitzensportler zu entwickeln, die bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auf dem Podium stehen und die schwedischen Journalisten und Fernsehzuschauer glücklich machen. Drei Punkte seien genannt: Übergewicht, schwache Muskeln und schlechte Fitness.

In den 1950er- und 60er-Jahren bewegten sich fast alle Kinder ausreichend. Sie gingen zu Fuß zur und von der Schule und trieben danach spontan Sport. Heute trainieren die Kinder mehrere Tage pro Woche in Sportvereinen oder bewegen sich überhaupt nicht. Die Anzahl der völlig inaktiven Kinder nimmt zu und damit auch die Anzahl der inaktiven Erwachsenen.

Statt nach neuen Sportstars zu drängen, sollten wir uns fragen, warum die schwedische Jugend in den letzten zehn Jahren durchschnittlich fünf Kilo zugenommen hat und warum ein Drittel völlig inaktiv ist.

Wir leben heute furchtbar oberflächlich. Der Körper ist ein Statussymbol, das etwas repräsentieren soll. Die Menschen schleppen ihren Körper mit sich herum, anstatt er selbst zu sein.

Für das Jahr 2024 wünsche ich mir einen großen Misserfolg bei den Olympischen Spielen. Zumindest dann, wenn das Fehlen von Medaillen das Ergebnis einer Investition in das Wohlbefinden vieler Menschen wäre. Dann können wir als Nation stolz darauf sein, dass wir – statt teure Sportstätten für die Elite zu bauen – in Formen der Bewegung investieren, die viele Menschen anziehen, nicht nur die, die schon alle Geräte für alle Arten von Sport und Outdoor-Aktivitäten haben.

Studenten der Mid Sweden University in Sundsvall während eines Kanuwettkampfs. Foto: iStock

Wer sich intensiv mit Technik, Materialien und neuesten Modellen beschäftigt, braucht keine Unterstützung. Was wir brauchen, sind Ideen, die es allen leichter machen, sich zu bewegen, Kontakte zu knüpfen und sich wohlzufühlen.

Die Hälfte der Kinder hat mit jeglichem Sport aufgehört

Als ich als ehemaliger Spitzensportler Friskis & Svettis gründete, dachte ich, dass es viel besser ist, wenn sich hundert Menschen, nachdem sie die Freude an der Bewegung bei einem Jympa-Training erlebt haben, als glückliche Gewinner fühlen – als wenn 100 Menschen an einem Wettbewerb teilnehmen, bei dem nur eine Person als Gewinner dasteht, während alle anderen zu den Verlierern gehören.

Welche der Gruppen sorgt für langfristiges Wohlbefinden, dachte ich? Ich glaube immer noch, dass die 100 Gewinner ihr Leben lang in Bewegung bleiben werden.

Kinder protestieren indirekt gegen den Leistungsgedanken, indem sie mit dem Sport aufhören. Der Zulauf zu traditionellen Sportarten ist rückläufig, und Studien zeigen, dass 50 Prozent der Kinder im Alter von 14 Jahren mit allen Formen des Sports aufgehört haben. In der Regel suchen sie den Sport nie wieder. Immer mehr Kinder haben das Gefühl, dass sie nicht in die Welt des Sports passen. Das hat der Sportforscher Rolf Carlson schon in den 1990er-Jahren festgestellt.

Konkurrenzdenken und Ausgrenzung begegnen uns überall in der Gesellschaft. Der Kindersport sollte nicht ein Spiegel dessen sein, sondern ein Gegengewicht. Es muss auch Platz für Mittelmäßige sein, die nur ab und zu spielen wollen.“

Die Geschichte zeigt auch, dass gezielte Investitionen in junge Talente selten der richtige Weg sind, um Spitzenspieler hervorzubringen. Die Tatsache, dass ein siebenjähriges Talent alles auf Eishockey setzt, bedeutet nicht, dass es als Erwachsener ein Star wird. Fast alle, die es in die Spitze geschafft haben, haben als Kind ohne Druck verschiedene Sportarten gespielt und sich erst im Alter von 15–16 Jahren spezialisiert. Viele, die als Kinder als mittelmäßig galten, haben sich als Erwachsene zu wahren Stars entwickelt.

Heute ist es für Kinder schwierig, Sport zu treiben. Die Kinder müssen sich Vereinen anschließen und zu bestimmten Zeiten trainieren. Wenn sie mitmachen wollen, müssen sie zwei Trainingsabende und ein Spiel pro Wochenende einplanen. Es gibt keine Möglichkeit, mehr als eine Sportart auf einmal zu betreiben. Ein Zehnjähriger muss sich also entscheiden.

Sich bewegen lernen: „Körperliche Grundbildung“

Bei spontanen Sportarten sind Spiel und Freude die wichtigsten Triebfedern. Kinder unterschiedlichen Alters können miteinander Fußball spielen. Jetzt trainieren 10-Jährige und 12-Jährige getrennt, obwohl Kinder ganz unterschiedlich schnell reifen.

In jungen Jahren ist es wichtig, die grundlegenden Fähigkeiten zu trainieren. Das geschieht, indem man viele verschiedene Sportarten ausprobiert. Jeder hat Spaß daran, Schlittschuh zu laufen, zu schwimmen, Bälle zu fangen und zu werfen, Fahrrad oder Ski zu fahren und den Umgang mit dem Badminton- und Tennisschläger zu lernen. Wenn man viele Grundfertigkeiten erlernt hat, fällt es leicht, verschiedene Sportarten zu betreiben und als Erwachsener die Freude an der Bewegung zu entdecken.

Studien zeigen auch, dass erfolgreiche Sportler oft früh im Jahr geboren werden. Die Erklärung liegt auf der Hand: Als Kinder waren sie den anderen voraus, gewannen früh Selbstvertrauen, fühlten sich gut genug und trieben deshalb weiter Sport. Die Gefahr ist groß, dass ein spät entwickeltes Kind, das im Dezember geboren wurde, sein Talent nie entdeckt – und mit fast ein Jahr älteren Kindern verglichen wird.

Die Tatsache, dass sich die Kinder im Vergleich zu den Gleichaltrigen in der Mannschaft wertlos fühlen, ist einer der Gründe, warum sie eine Sportbewegung verlassen, die nach mehr Halleneinrichtungen schreit. Es wäre besser, die Bedingungen für spontane Sportarten zu organisieren. Wir brauchen mehr offene Rasenplätze für Fußball und Brennball, mehr gepflegte Eisbahnen und mehr Basketballkörbe auf der Straße. Auch die Hallen müssen sich vom Platzdenken verabschieden. Schauen Sie sich das neue Sportzentrum von Iksu in der Nähe von Umeå an. Dort hat man sich die Idee der „körperlichen Grundbildung“, auch Physical Literacy, wie es im Original heißt, zu eigen gemacht.

Muss ein schwedischer Siebenjähriger, der kaum Schlittschuh laufen kann, am Wochenende wirklich 20 Meilen (ca. 32 Kilometer) weit fahren, um insgesamt 12 Minuten in einem Hockeyspiel zu spielen? Ich bin überzeugt, dass ein Siebenjähriger viel mehr Spaß hätte, ein besserer Schlittschuhläufer würde und sich langfristig besser fühlen würde, wenn er an einem Samstag drei Stunden lang mit Freunden und Eltern Hockey spielen und anschließend Würstchen grillen würde.

Das Wichtigste ist, dass wir den Kindern und Jugendlichen ein Selbstwertgefühl vermitteln, dass sie sich als das akzeptiert fühlen, was sie sind, und nicht als das, was sie leisten. Dass sie Freude an der Tätigkeit selbst finden, egal ob es sich um Arbeit, Sport oder Musik handelt.

Natürlich sollten wir Sportkünstler bewundern, die uns erstklassige Unterhaltung bieten. Spitzensport ist eine kulturelle Ausdrucksform, genau wie Ballett, Theater, Musik und Literatur. Das Geld, das für den Spitzensport ausgegeben wird, sollte daher in den Kulturhaushalt aufgenommen werden. Denken Sie nur nicht, dass Spitzensport etwas mit der öffentlichen Gesundheit zu tun hat.

Johan Olof Ludvig Holmsäter (geb. 1947 in Storkyrkoförsamlingen in Stockholm), ist ein schwedischer Sportlehrer, Trainer und Unternehmer, der 1978 den Sportverband Friskis & Svettis gründete. Seither engagierte er sich für den Breitensport, auch an Universitäten und in Schulen.

Der Artikel erschien zuerst bei der schwedischen Epoch Times unter dem Titel: Om vikten av att våra barn hittar glädjen i utövandet.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion