Die Bedeutungslosigkeit von „Links“ und „Rechts“

Die derzeitige Spaltung in den westlichen Demokratien verläuft nicht zwischen „links“ und „rechts“, sondern zwischen grundlegenderen Philosophien. Ein Kommentar.
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Das Zeitalter der Aufklärung und der Vernunft ist zum Ende gekommen, meint Gregory Copley.Foto: iStock
Von 6. September 2022

Es ist leicht, sich von Worten irreführen zu lassen. Selbst dann, wenn sie in Stein gemeißelt scheinen, begehen sie Verrat an ihrem Ursprung und der Bedeutung, die sie hatten, als sie geschaffen wurden, obgleich sie sich im Gebrauch weiterentwickeln.

In diese Falle sind wir jetzt getappt.

Die politischen Begriffe „links“ und „rechts“, die erst seit zwei Jahrhunderten (seit 1789 in Frankreich) Verwendung finden, sind heute irreführend und in erheblichem Maße gefährlich. Sie verleiten uns zu falschen Annahmen über die gegenwärtige gesellschaftspolitische Kluft. Die derzeitige Spaltung in den westlichen Demokratien verläuft  nämlich nicht zwischen „links“ und „rechts“, sondern zwischen grundlegenderen Philosophien.

Wir blicken auf das Ende von zwei Jahrhunderten des Wandels, die der amerikanische Schriftsteller Thomas Paine als „Zeitalter der Vernunft“ bezeichnete – zu jener Zeit formte das französische revolutionäre Denken die politische „Linke“ und „Rechte“ – ein Begriff, der aus dem „Zeitalter der Aufklärung“ des 17. und 18. Jahrhunderts stammt. Heute hat sich die Welt von der Vernunft, der Erkenntnis und der intellektuellen Entscheidung, die der Einzelne aus freiem Willen treffen konnte, offenbar verabschiedet.

Während der Begriff „freier Wille“ eine Entscheidung beschreiben mag, die auf intellektuellem Wege zustande gekommen ist, scheint „Willenskraft“ heutzutage eine soziale Angelegenheit zu beschreiben, in der emotional, sogar unterschwellig, Richtungen gewählt werden. Kürzlich schrieb ich über den „Zusammenbruch der Weisheit und den Aufstieg des Chaos“ und wies darauf hin, dass sich die Weltbevölkerung anscheinend mit der gleichen Herdenmentalität verhält wie die Gesellschaften der Jäger- und Sammlerzeit. Das Zeitalter der Aufklärung und der Vernunft ist zum Ende gekommen.

Die Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts scheint sich, insbesondere mit dem globalen Phänomen der COVID-19-Krise, in grundlegendere Lager aufgespalten zu haben, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder aufgetaucht sind (und die hinter den Kulissen der Gesellschaft immerzu vorhanden waren).

Es handelt sich um die Spaltung zwischen dem Teil der Gesellschaft, der sich vorschreiben lassen will, was er zu tun und wie er sich zu verhalten hat, und dem Teil der Gesellschaft, der seine eigenen Entscheidungen treffen und persönliche Verantwortung übernehmen will. In der COVID-19-Krise traten Personen auf den Plan, die es genossen, diejenigen zu beherrschen, die den Weg der Unterordnung gewählt hatten.

Das Phänomen ist nicht neu

Zugegebenerweise ist dieses Phänomen nicht neu. In meinem 2012 erschienenen Buch „UnCivilization: Urban Geopolitics in a Time of Chaos“ schätzte ich, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen – vielleicht sind es sogar 80 Prozent – „die Sicherheit der Unterdrückung der Ungewissheit der Freiheit vorzieht.“ Natürlich repräsentieren diejenigen, die sich in der Unterordnung ganz und gar unterwerfen, und diejenigen, die sie ablehnen, jeweils die Enden des Spektrums: die „neue Linke“ und die „neue Rechte“, wenn Sie so wollen, mit unterschiedlichen Grautönen dazwischen.

In jedem Fall sind die beiden Enden des Spektrums, wie die aktuelle Spaltung zeigt, Mitglieder der „alten Linken“ und der „alten Rechten“. Es gibt einige alte Proletarier, die die Freiheit und das Recht des Einzelnen auf freie Wahl hochhalten. Es gibt einige „alte Rechte“, die unreflektierten Autoritarismus und Gehorsam begrüßen. Aber über diesem riesigen Meer von Menschen, die die stressfreie Anonymität des Gehorsams und die Vermeidung von Veränderungen und der Verantwortung dafür begrüßen, gibt es diejenigen, die sich nach der Möglichkeit – dem vermeintlichen Mandat – sehnen, Befehle zu erteilen und zu bestrafen. Sie machen sich den Autoritarismus zu eigen.

Es sieht ganz danach aus, als ob die Spielformen von Sado-Masochismus – Knechtschaft-Disziplin oder Dominanz-Unterwerfung – nun in die Gesellschaften hineingeprägt worden sind, und zwar jetzt in einem offenen und autorisierten Maßstab. Im Kern verlangt die Gesellschaft heute auf einer sichtbaren Ebene ein rigides „Tugendsignal“, um zwischen denjenigen, die Gehorsam schätzen, und denjenigen, die Freiheit schätzen, zu unterscheiden. Doch selbst das ist eine zu starke Vereinfachung des Phänomens. Es bedeutet nicht, dass diejenigen, die Freiheit fordern, nicht auch Disziplin anstreben können, oder dass diejenigen, die Unterordnung begrüßen, nicht auch Wahlmöglichkeiten wünschen.

All dies ist von großer politischer Bedeutung, insbesondere in Gesellschaften, die eine Fortsetzung oder Weiterentwicklung der „Demokratie“ anstreben. Demokratie beinhaltet das Recht, für die eigene Unterdrückung zu stimmen. Die Frage ist, wann oder ob sie das Recht einschließt, für die Unterdrückung anderer zu stimmen.

In unmittelbarer politischer Hinsicht hat sich diese Entwicklung der sozialen Zusammensetzung weg von der „alten Linken“ und „alten Rechten“ in den „Rebellionen“ gezeigt, als „regionale“ Völker – die nicht in vollem Umfang von der im 20. Jahrhundert entstandenen Ultraurbanisierung profitierten – zum Beispiel im Vereinigten Königreich für den „Brexit“ stimmten. Er sollte das Ende der Unterordnung Großbritanniens unter die Europäische Union bedeuten.

Diese „Rebellionen“ auf dem Lande rüttelten die ultra-urbanen Gemeinschaften auf, um sich zu verteidigen. Damit durchbrachen sie die etwa zwei Jahrhunderte der Schaffung eines modernen Lebensstils und erschütterten die wirtschaftliche und soziale Sicherheit der Jahre zunehmender Verstädterung. Es zeigt, dass alte geopolitische und soziale Identitäten wiederbelebt wurden.

Dies mag abstrakt erscheinen, aber es ist der Kern dessen, was in den kommenden Übergangsjahren über die politische Reaktion entscheiden wird – ob sie nun demokratisch oder totalitär ist. Und ist ein neuer „westlicher Autoritarismus“ die natürliche Antwort auf den „östlichen Autoritarismus“? Wird die Ochlokratie (Pöbelherrschaft) als Vorläufer eines neuen vordemokratischen Autoritarismus entstehen?

Wirtschaftliche Herausforderungen für den Urbanismus werden Teil der Gleichung sein, denn wenn wir arm werden, sind wir bereit, uns gegenseitig zu bekämpfen.

Gregory Copley ist Präsident der International Strategic Studies Association mit Sitz in Washington. Der gebürtige Australier ist Mitglied des Australischen Ordens, Unternehmer, Schriftsteller, Regierungsberater und Herausgeber von Fachzeitschriften im Bereich Verteidigung. Sein neuestes Buch ist The New Total War of the 21st Century and the Trigger of the Fear Pandemic.

Der Artikel erschien zuerst in The Epoch Times USA. Übersetzt von nmc. 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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