Die Forderung „die Politik muss …“ führt zu Fake-Lösungen
Im Artikel Die Magie der Krise war zu lesen: „Während bei klassischen Zaubertricks der Zauberer dafür sorgt, dass die Zuschauer vom wahren Geschehen abgelenkt werden, könnte die Magie der Krise dafür sorgen, dass für viele Menschen sicht- und fühlbar wird, was sonst verdeckt bzw. nicht offensichtlich ist.“
In Folge der zunehmend planwirtschaftlicheren Ausrichtung der europäischen Energieversorgung treten solche magischen Momente derzeit häufiger auf. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Aussage eines Landrats aus Nordrhein-Westfalen, der im Interview mit der „Welt“ bemerkte: „Es fällt schon auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung offenbar davon ausgeht, dass der Staat sich um alles kümmert und alle Probleme löst.“
Bemerkenswert ist, dass diese Aussage von einem Menschen der „Sekundärklasse“ kommt, dessen Einkommen als Beamter aus Zwangsabgaben stammt. Zur Sekundärklasse zählen Beschäftigte, wenn ihr Salär auf Abgaben, Steuern oder auf staatlichen Interventionen beruht. Etatismus, der Glaube an den Staat als allwissenden Problemlöser und damit einhergehende Ausweitung politischer Macht sollte auf den ersten Blick in seinem eigenen Interesse sein.
Wie lässt es sich erklären, dass zahlreiche Menschen nach staatlichen Interventionen rufen? Warum werden zentrale politische Maßnahmen, also Macht und Zwang, dezentralen individuellen Handlungen, also Markt und Freiheit, vorgezogen? Unter welchen Umständen wird selbst von Menschen der Sekundärklasse Etatismus beklagt? Und gibt es Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten, um Etatismus und Interventionismus einzudämmen?
Fakt und Fake
Dreh- und Angelpunkt der Austrian Economics und unverzichtbare Grundlage für Freiheit und Wohlstand sind dezentrale freiwillige menschliche Handlungen. Solche menschlichen Handlungen, echtes Tun, ist selbst ein Fakt und schafft Fakten. Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Sie sitzen am Tisch und links vor ihnen steht ein Glas – allerdings sind sie Rechtshänder. Die Handlungslösung: Sie nehmen das Glas und stellen es auf die rechte Seite. Ihre Handlung hat die Situation erfolgreich verändert, Sie haben den Nutzen und trugen die Kosten (den Energie- und Zeitaufwand, um das Glas zu bewegen). Die Politiklösung: Sie fordern, dass der Staat eine Regelung erlässt, die alle Gastgeber zwingt, Gläser künftig ausschließlich rechts aufzustellen.
Es handelt sich zugegebenermaßen um ein vereinfachendes schematisches Beispiel. Doch genau dadurch wird der Zusammenhang verständlich. Das Prinzip trifft ebenso zu, wenn Sie nach dem Staat rufen, damit regenerative Energie subventioniert wird oder Kindergartenplätze entstehen.
Beim Kindergartenbeispiel kann man sehen, dass sich die Ausgaben für Kinder- und Jugendhilfe von 2009 bis 2019 verdoppelten. Trotzdem ist in vielen, insbesondere bevölkerungsreichen Regionen der Bedarf an Kindertagesbetreuung nicht gedeckt. Es bleibt zwar die Möglichkeit den Kindergartenplatz gerichtlich einzufordern, doch damit ist noch keine echte Betreuung geschaffen.
Der Ruf „die Politik muss …“, also die Forderung nach Zwang, führte zu einer Fake-Lösung, nämlich einem „Rechtsanspruch“, der in vielen Fällen eine Illusion bleibt. Die verursachten Mehrkosten der staatlichen Intervention sind jedoch real – Sie und andere zahlen, auch dann, wenn keine Leistung erbracht wurde.
Frédéric Bastiat drückte es so aus: „Jedermann will gern auf Kosten des Staates leben, aber fast niemand denkt daran, dass der Staat auf jedermanns Kosten lebt.“
Wer politischen Zwang einfordert, unterliegt einer selbst- und fremdschädigenden Illusion. Womit die ersten beiden oben aufgezählten Fragen auch schon beantwortet wären. Dass zahlreiche Menschen nach staatlichen Interventionen rufen und zentrale politische Maßnahmen, also Macht und Zwang, dezentralen individuellen Handlungen, also Markt und Freiheit, vorgezogen werden, liegt an dieser Selbsttäuschung.
Anders ausgedrückt, das Verständnis dafür, dass „die Politik“, „die Regierung“ oder „der Staat“ kein Geld haben, sondern nur umverteilen und dabei einen erklecklichen Teil für sich selbst abzweigen, ist nicht ausreichend verbreitet.
Tarnen und Täuschen
Die Tatsache, dass politische Interventionen und staatliche Umverteilung zahlreiche Probleme erst erzeugen und teilweise das Gegenteil des Gewünschten bewirken, fällt irgendwann (leider meist erst spät) auf. Die aktuell heiß diskutierte – aber schon seit Jahren laufende – Schwächung der Versorgungssicherheit durch die zunehmend planwirtschaftlichere Energiepolitik ist dafür ein Beispiel.
Politiker tun sich erkennbar schwer einzugestehen, dass vehement vorangetriebene Entwicklungen falsch waren, die gewünschten Effekte nicht eintraten und ungewollte nachteilige Wirkungen ungeahnte Folgen zeitigen. Was also tun?
Zwei typische Verhaltensweisen scheinen einen Ausweg aus diesem Dilemma zu bieten: Einerseits die Leugnung und Intensivierung der bislang erfolglosen Maßnahmen nach dem Motto, wenn wenig nicht geholfen hat, brauchen wir mehr davon. Andererseits die Suche nach Schuldigen und Anklage von Menschen außerhalb der Sekundärklasse. Unternehmer, die „nur an Profit denken“ oder Berufstätige, die „nicht genug Gas einsparen“, sind Beispiele.
Vor diesem Hintergrund ist auch die oben zitierte Aussage des Landrats aus Nordrhein-Westfalen zu verstehen. Jetzt, wo sich abzeichnet, dass die Politik nicht in der Lage ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und einschneidende Folgen immer wahrscheinlicher werden, ist die Haltung der Bürger schuld, die davon ausgehen, dass der Staat sich um alles kümmert und alle Probleme löst.
Diese Schuldabwehr liefert die Antwort auf die dritte oben gestellte Frage. Menschen der Sekundärklasse – also jene, deren Einkommen aus Zwangsabgaben (wie Steuern, Sozialversicherungs-, Rundfunk- oder Kammerbeiträgen) finanziert werden – beklagen Etatismus und Interventionismus regelmäßig nur dann, wenn deren Scheitern offensichtlich wird.
Freiheit und Zwang
Während die genannten Abwehrmechanismen bei Menschen, die politische Entscheidungen beeinflussen, treffen oder umsetzen, keine Überraschung sind, wäre bei jenen Menschen, die nach der Politik als Problemlöser gerufen haben, eine andere Reaktion denkbar.
Erkennt man, dass eigenes Verhalten (der Ruf nach der Politik als Problemlöser) selbstschädigend und auch für andere Menschen schädlich war, könnte ein Gefühl der Verlegenheit, des Unbehagens oder der Beschämung entstehen. Obwohl man die Zeit nicht zurückdrehen kann, wird es möglicherweise als peinlich empfunden, den eigenen Anteil an ungewollten Entwicklungen zu erkennen.
Neben der entsprechenden (Selbst-)Erkenntnis kann ein weiterer externer Faktor hinzukommen: Menschen im Umfeld, die schädigendes Verhalten als nicht hinnehmbar und verwerflich bewerten. Wird die Schwächung der Versorgungssicherheit, der Verlust von Freiheit oder die Zerstörung von Wohlstand von Menschen im Umfeld hingenommen oder gar positiv bewertet, ist kaum zu erwarten, dass Scham entsteht.
Das sieht anders aus, wenn sichtbar wird, dass viele Menschen es nicht gut finden, wenn nach der Politik gerufen wird, um anderen Menschen den eigenen Willen aufzuzwingen. Nichts anderes ist der Ruf nach dem Staat – eine Forderung, Freiheit und Freiwilligkeit durch Unfreiheit und Zwang zu ersetzen.
Indem wir unsere ablehnende Position erkennbar machen, ergibt sich eine Möglichkeit, im Alltag einen Beitrag zur Eindämmung politischer Machtausweitung und Reduzierung staatlicher Interventionen zu leisten. Protest im Großen oder Kleinen zeigt, dass Menschen es nicht hinnehmen, sondern verwerflich finden, wenn Freiheit, Wohlstand oder die Versorgungssicherheit verloren gehen und immer mehr politischer Zwang zum Einsatz kommt. Darum gilt es, der Versuchung zu widerstehen, nach der Politik zu rufen und stattdessen selbst zu handeln.
Über den Autor:
Rainer Fassnacht ist Kaufmann und studierter Diplom-Ökonom. Er lebt in Berlin und ist Autor des Buchs „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“. Außerdem ist er Mitglied im Freundeskreis der Ludwig-Erhard-Stiftung und schreibt für verschiedene Print- und Onlinemedien.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 67, vom 22. Oktober 2022.
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