Ein deutscher Schicksalstag: Der 8. Mai 1945

Ein schwieriges Datum für die einen, ein Jubeltag für andere. Und für alle gilt: Der 8. Mai markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus. Ein Kommentar.
Titelbild
Das stark beschädigte Berliner Reichstagsgebäude zum Kriegsende.Foto: Henry Griffin/AP/dpa/dpa
Von 8. Mai 2023

Der Muttertag kann auch auf den 8. Mai fallen. Das nächste Mal ist das 2033 der Fall. Denn Mütter werden traditionell am zweiten Sonntag im Mai geehrt und gefeiert. An vielen Tankstellen in Deutschland kann man noch Blumen kaufen, wenn man welche vergessen hat.

Der 8. Mai ist aber weit mehr als ein Anwärter auf den Muttertag, er wird auch „Tag der Befreiung“ genannt. Der 8. Mai markiert das offizielle Ende des Zweiten Weltkriegs mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht und dem Ende des Nationalsozialismus.

Ein Satz in einer Online-Enzyklopädie ist geeignet, eine unterschiedliche Wahrnehmung dieses Tages zu beschreiben:

„Er wird teilweise als stiller Gedenktag und teilweise als Feiertag mit großer öffentlicher Beteiligung begangen.“

Oder kürzer: Die Sieger feiern, die Verlierer trauern. Aber auch das greift zu kurz, denn es unterschlägt, dass dieser Tag auch für Deutsche ein Tag der Befreiung war. Insbesondere für die wenigen Überlebenden des Holocaust und alle weiteren zum Kriegsende aus den von Deutschen organisierten Konzentrationslagern Befreiten bedeutete es nach all den Schrecknissen ein Neuanfang in Frieden und Freiheit.

Tag der Befreiung

Der eingangs erwähnte Muttertag hat aber noch einen weiteren indirekten Bezug zum „Tag der Befreiung“: Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Julia Ward Howe hatte 1870 einen Muttertag ausgerufen, der sich insbesondere gegen Männer und Söhne verschlingende Kriege wandte:

„Wir werden nicht zulassen, dass uns unsere Söhne genommen werden, damit sie alles vergessen, was wir ihnen über Barmherzigkeit, Mitleid und Geduld beigebracht haben.“

Julia Ward Howes flammende Rede hat allerdings auch über 150 Jahre später nicht dazu geführt, dass Frauen nicht mehr um ihre Ehemänner und Mütter nicht mehr um ihre Söhne trauern müssen.

Im Gegenteil, die Barbarei ist über den östlichen Rand des Kontinents nach Europa zurückgekehrt. Diejenigen, die 1945 ein Ende des Gemetzels erzwangen, sind in die Ukraine einmarschiert und haben einen jetzt schon über ein Jahr andauernden Krieg vom Zaun gebrochen, der Zehntausende Männer das Leben kostete.

Ein Datum mit Aktualität

Aktuell wehen Meere von gelb-blauen und anderswo russischen Fahnen über sich bis zum Horizont ausbreitenden Gräberfeldern, und die Blumen darauf werden wieder – das kann man sagen, ohne zusätzliches Pathos zu bemühen – von den Tränen der Mütter gegossen, wenn diese nicht ebenfalls dem Krieg erliegen, denn auch Zigtausende zivile ukrainische Opfer sind zu beklagen.

Alles hat eine Vorgeschichte, alles hat einen Anfang, aber es gibt offenbar kein Ende des Schießens. Viele Jugendliche und junge Männer überall auf der Welt wühlen sich durch die sozialen Netzwerke und schauen sich einen Filmclip nach dem anderen an, direkt von den ukrainischen Schlachtfeldern. Die Ego-Shooter-Spieler bekommen hier Anschauungsmaterial in Echtzeit.

Dieser Krieg ist vor allem einer der gestochen scharfen Drohnenbilder, die zusammengekauerte Russen in ihren Schützengräben entdeckt und darüber ihre Granaten ausgeklinkt haben. Zucken die Körper noch, wird eine zweite abgeworfen, jeden Tag, und das seit über einem Jahr. Gleichzeitig werden von russischer Seite Unmengen von Granaten auf ukrainische Stellungen und Städte geschossen, die alles töten und verwüsten und jetzt schon eine Kraterlandschaft hinterlassen haben, die der aus der Endphase des Stellungskriegs im Ersten Weltkrieg ähnelt.

Kriegsende als Anfang der Vertreibung

Über Jahrhunderte verheerender Kriege hinweg hat sich von Rimbaud bis Remarque eine Antikriegslyrik zur Weltliteratur emporgeschwungen. Kriege indes hat noch keine einzige Zeile verhindert – lediglich das Bewusstsein über die Schrecknisse ist in Europa angekommen.

In Deutschland war es besonders schwer, den 8. Mai als ein Ende des Tötens zu begreifen. Denn die alliierten Siegerkonferenzen hatten schon lange vor diesem Tag beschlossen, dass das Töten auch nach Kriegsende weitergehen soll. Der „Norddeutsche Rundfunk“ titelte im vergangenen Jahr zum 8. Mai: „Flucht und Vertreibung überschatten 1945 das Kriegsende“. Und weiter heißt es da: „Nach dem Krieg begann die systematische Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.“

Bald jede deutsche Familie mit Wurzeln in den Ostgebieten hatte Opfer zu beklagen. Die Erinnerungen daran wurden in den Nachkriegsjahrzehnten, wenn überhaupt, dann nur leise unter jenen weitererzählt, die das gleiche Schicksal teilten. Das stumme Grauen überschreitet auch hier jedes Vorstellungsvermögen.

Der Friede musste in Europa über die Jahrhunderte immer neu erkämpft werden. Und der Umgang mit den Verlierern ist oft genug schon der Keim für neue Gräueltaten.

Befreiung verlagerte die Sorgen

Richard von Weizsäcker, Sohn eines verurteilten Kriegsverbrechers, der diesen als junger Hilfsanwalt in Nürnberg noch selbst verteidigte, hielt 1985 als amtierender Bundespräsident eine Ansprache zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – mit dem Ziel, damit einen Paradigmenwechsel der deutschen Vergangenheitspolitik herbeizuführen.

Von Weizsäcker würdigte den Tag auch für die Deutschen als „Tag der Befreiung“. Und das war keineswegs unumstritten. Denn in der bundesrepublikanischen Nachkriegserzählung gab es zwar die amerikanische Hershey-Schokolade, die Lucky Strikes und Rosinenbomber, aber die Befreier von Berlin hissten auf dem Reichstag die rote Fahne.

Und ihre Befreiung bedeutete zunächst einmal für Zigtausende Frauen den Beginn eines oft wochenlangen Martyriums, das nicht selten mit dem Tod endete. Die „Welt“ titelte im März 2015: „Für die Russen waren wir Freiwild.“ Und die Eingangsbücher der Berliner Charité aus diesen Tagebüchern sind Zeugnisse des Grauens.

Die deutsche Debatte um den 8. Mai als Tag der Befreiung oder der stillen Einkehr hat indes auch fast 80 Jahre später noch keinen Abschluss gefunden. Hamburg feiert den 8. Mai 2023 heute zum ersten Mal als gesetzlichen Feiertag, basierend auf einem Beschluss einer breiten Mehrheit der Bürgerschaft aus SPD, CDU, Grünen und Linken. Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hatten den Gedenktag schon früher eingeführt.

Der 13. Mai 1945 war der zweite Sonntag im Mai – ein Muttertag. An diesem Tag mussten Mütter nicht mehr um ihre Söhne in Uniform bangen. Aber viele bangten noch um ihre Söhne in Kriegsgefangenschaft, von denen über eine Million nicht zurückkehrten. Die Sterberate der deutschen Kriegsgefangenen in russischer Hand lag bei 40 Prozent. Die Sterberate russischer Kriegsgefangener während der Jahre 1941 bis 1945 lag noch weit darüber.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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