Fiat-Geld und die Corona- und Klima-Politik: Die real existierende Postmoderne
Ohne die Möglichkeit für Regierungen, willkürlich Geld aus dem Nichts zu schaffen, würde es weder die Corona-Lockdowns noch die Wende hin zu ineffizienten und unzuverlässigen Energiequellen geben, weil dann die Menschen die wirtschaftlichen Folgen dieser Politik direkt im Portemonnaie spüren würden. Doch die Parallele geht tiefer.
Zwei Errungenschaften: Wissenschaft und Rechtsstaat
Nach der schmerzhaften Erfahrung der Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert entwickelten sich sowohl die moderne Wissenschaft als auch der moderne Rechtsstaat als Befreiung davon, Macht auszuüben, indem eine bestimmte Auffassung von Gemeinwohl und Seelenheil mit Zwang durchgesetzt wird.
In der Wissenschaft spielt Autorität keine Rolle. Man muss Beweise und Argumente für die Behauptungen liefern, die man aufstellt, und diese Behauptungen werden einer rigorosen Prüfung unterzogen.
Der moderne Rechtsstaat verzichtet darauf, eine bestimmte Auffassung eines Gemeinwohls umzusetzen. Er ist stattdessen auf den Schutz der Freiheitsrechte eines jeden Menschen ausgerichtet: Jede Person ist frei, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es für gut und richtig hält, solange sie allen anderen Personen die gleiche Freiheit einräumt.
Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit sind die beiden Säulen der Moderne: Die moderne Gesellschaft wird durch die Achtung der Menschenrechte aller und die Anerkennung objektiver Tatsachen zusammengehalten, die von Wissenschaft und Alltagsverstand entdeckt werden.
Mittlerweile erleben wir jedoch den Übergang zur Postmoderne. Die intellektuelle Strömung der Postmoderne stellt den Gebrauch von Vernunft als eine weitere Form der Ausübung von Zwang dar: Es gibt keine objektiven Tatsachen, die mit Vernunft entdeckt werden können, und es gibt keine universellen Menschenrechte, die jeder Person aufgrund dessen zustehen, dass sie mit Vernunft im Denken und Handeln ausgestattet ist. Sobald die Postmoderne zu einer politischen Macht wird, führt sie zu einem neuen Totalitarismus.
Abwehrrechte vs. Anspruchsrechte
Fiat-Geld läutete die erste, wirtschaftliche Phase dessen ein, was man als „real existierende Postmoderne“ bezeichnen kann; die Corona- und Klima-Maßnahmen läuten dessen zweite, totalitäre Phase ein, die alle Bereiche des Zusammenlebens betrifft.
Die Goldbindung des US-Dollars brach 1971 zusammen, weil der Staat immer mehr Wohlfahrtsansprüche nach innen befriedigen wollte, ohne Wohlstand zu schaffen (Johnsons „Great Society“) und gleichzeitig Machtansprüche auch mit militärischen Mitteln nach außen durchsetzte (Vietnamkrieg).
Vor die Wahl gestellt, diese Ansprüche der Realität anzupassen oder die Illusion einer Realität zu schaffen, um diese Machtansprüche zu befördern, entschieden sich die USA – und darüber hinaus alle anderen Staaten – für Letzteres. Schließlich hat auch die Schweiz 1999 jede Form der Bindung ihrer Währung an Gold aufgegeben.
Das ist die real existierende Postmoderne, die mit dem Rechtsstaat bricht. Dessen Aufgabe ist der Schutz der Abwehrrechte gegen ungewollte, äußere Eingriffe in die Freiheit zur selbstbestimmten Lebensführung.
Der Wohlfahrtsstaat hingegen wird durch die Gewährung von Anspruchsrechten auf alle Arten von Leistungen zusammengehalten. Diese Anspruchsrechte werden von der Staatsgewalt geschaffen, um deren Einfluss auszuweiten. Ihre Erfüllung wird schließlich von der unbegrenzten Schöpfung von Fiat-Geld abhängig.
Die zweite Phase der Postmoderne
Mit den Corona- und Klima-Maßnahmen tritt die real existierende Postmoderne in ihre zweite, totalitäre Phase ein: Sie umfasst nun alle Lebensbereiche.
Es gibt keine Privatsphäre mehr: Die Corona-Lockdowns regulieren soziale Kontakte auch innerhalb der Kernfamilie. Nicht einmal der eigene Körper unterliegt mehr der Selbstbestimmung: Er steht dem Staat zur Verfügung, wie die Corona-Impfkampagne bis hin zu Impfanweisungen zeigt.
Die Klima-Maßnahmen erlauben beliebige Eingriffe bis in die Intimsphäre hinein, wie Anweisungen zum kalten Duschen oder sich mit Waschlappen zu begnügen, statt zu duschen. Mit der Ergänzung der Klima-Maßnahmen durch die Russland-Sanktionen sollen wir für die Freiheit frieren und generell eine Einschränkung unserer Lebensqualität und unserer Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, hinnehmen.
Gemeinsam ist all diesem eine absichtlich herbeigeführte Verknappung von Ressourcen, die zu umfassender sozialer Kontrolle führen kann.
Freiheiten als Privileg für Konformität
Ein erster Aspekt, der das gegenwärtige System als spezifisch postmodern kennzeichnet, ist die Konstruktion einer postfaktischen Realität, die allen aufgezwungen wird.
Corona-Wellen sind eine Tatsache. Aber es gibt keine Fakten, die belegen, dass dieser Virusausbruch gefährlicher wäre als frühere Virenausbrüche wie die Hongkong-Grippe 1968 bis 1970 oder die Asiatische Grippe 1957 bis 1958, die stets allein mit medizinischen Mitteln behandelt wurden.
Klimawandel ist eine Tatsache. Aber es gibt keine Fakten, die eine reelle – statt lediglich in Modellen herbei gerechnete – Gefahr eines menschengemachten, lebensbedrohlichen Klimawandels beweisen, oder Fakten, die die Fähigkeit von Wissenschaft und Politik belegen, durch Zwangsmaßnahmen und Planwirtschaft den Wandel des Weltklimas steuern können.
In der Moderne war es Aufgabe des Staates, die Grundrechte zu schützen. In der real existierenden Postmoderne gewährt der Staat Freiheiten als Privileg für Konformität.
Der zertifizierte Mensch ersetzt den mündigen Bürger
Der Mechanismus, der auch viele Wissenschaftler, die von sich aus keine Sympathie für die intellektuelle Postmoderne haben, verführt hat, ist dieser: Es wird suggeriert, dass man das Wohlergehen anderer gefährdet, indem man seinem normalen alltäglichen Lebenswandel nachgeht. Jede Form von direkter sozialer Interaktion kann zur Verbreitung des Coronavirus beitragen. Jede Aktivität hat Auswirkungen auf die nichtmenschliche Umwelt, die zum Klimawandel beitragen könnte.
Von dem Generalverdacht, durch den eigenen alltäglichen Lebenswandel andere zu schädigen, befreit man sich durch den Erwerb eines Sozialpasses – wie des Impfpasses oder einer anderen Form eines Zertifikats –, mit dem man seinen Gehorsam beweist. Der zertifizierte Mensch ersetzt so den mündigen Bürger. Belohnungen für Konformität treten an die Stelle von Grundrechten.
Der wichtigste Unterschied zwischen dem aktuellen postmodernen Totalitarismus und früheren Totalitarismen ist: Das große Narrativ eines absolut Guten – die klassenlose Gesellschaft als Endziel der Geschichte im Kommunismus – wird durch viele kleine Narrative ersetzt. Sie betreffen Teilgüter wie Gesundheitsschutz, Klimaschutz und so weiter. Jede dieser Erzählungen impliziert, wenn sie dominant ist, eine ebenso umfassende soziale Kontrolle wie einst die großen Erzählungen.
Hierin liegt die Gefahr der real existierenden Postmoderne: Wenn ein solches Narrativ zusammenbricht – wie derzeit das Corona-Narrativ –, ist dies nicht das Ende der Kontrolle. Man kann leicht von einer kleinen Erzählung zur nächsten wechseln – von Corona über das Klima zu verschiedenen Arten von „sozialer Gerechtigkeit“ und so weiter –, um eine allumfassende soziale Kontrolle aufrechtzuerhalten.
Die Zukunft der Freiheit
Es ist wichtig, aber nicht ausreichend, das Corona-Narrativ, das Klima-Narrativ und so weiter zu entwirren. Man muss die real existierende Postmoderne an ihren Wurzeln packen. Das bedeutet eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der Moderne: Rechtsstaatlichkeit als Nichteinmischung in die Lebensgestaltung der einzelnen Menschen.
Wann immer man die Rolle des Staates erweitert, um im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ oder eines vermeintlichen Gemeinwohls Anspruchsrechte zu fördern, sind der Regulierung des Lebens der Menschen letztlich keine Grenzen mehr gesetzt.
Machtkonzentration ist immer ein Übel. Sie führt mit der Zeit unweigerlich zu Missbrauch. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass es einen guten, mit Zwangsgewalt ausgestatteten Staat geben könnte, der die Gesellschaft im Sinne von „sozialer Gerechtigkeit“ regulieren könnte (der Wohlfahrtsstaat mit seiner Abhängigkeit von Fiat-Geld) oder, noch schlimmer, ein allgemeines Gut durch die Regulierung auch des Privatlebens durchsetzen könnte. Der Weg zurück in die Freiheit besteht darin, uns von dieser Illusion zu befreien.
Der öffentliche Gebrauch der Vernunft muss nach Kant jederzeit und unter allen Bedingungen frei sein, um Aufklärung zu ermöglichen. Es ist daher von größter Bedeutung, gegen die „Cancel Culture“ anzugehen.
Wissenschaftler und Intellektuelle sollten ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern, die sie durch ihre Steuern finanzieren, in ihrem öffentlichen Gebrauch der Vernunft nachkommen, anstatt in Selbstzensur zu gehen und sich von Politikern und deren Sprachrohren in den Medien vorschreiben zu lassen, was man sagen darf und was nicht.
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, ist das Motto der Aufklärung nach Kant. Wenn genügend Menschen diesen Mut wieder aufbringen, werden wir wieder den Weg einschlagen, der zum friedlichen Zusammenleben führt, zum technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt und damit zu mehr Lebensqualität und Entwicklungschancen für ein selbstbestimmtes Leben für alle: Das ist der Weg der faktenbasierten Wissenschaft und eines Rechtsstaates, der die Grundrechte jedes Menschen wahrt.
Zum Autor
Michael Esfeld ist Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne, Mitglied der Deutschen Nationalakademie Leopoldina und Mitglied im Stiftungsrat des Liberalen Instituts der Schweiz. Dieser Artikel ist die gekürzte Übersetzung des Artikels „Fiat money and the covid regime: actually existing postmodernism“, der beim Brownstone Institute erschien und in deutscher Fassung beim Ludwig von Mises Institut.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 66, vom 15. Oktober 2022.
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