Kann Europa ohne Amerika? Ein Kommentar von Alexander Rahr

Ein führender britischer Think Tank warnt schon im Voraus, dass ein Wegbrechen der NATO die EU wehrlos gegen Angriffe von außen machen würde.
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Die Flaggen der EU und der NATOFoto: iStock
Von 14. Mai 2019

Wenige Wochen vor den EU-Wahlen lassen die Amerikaner die Bombe platzen. Die USA positionieren sich zum ersten Mal deutlich gegen eine europäische Sicherheitsstruktur. Die Intention der Amerikaner ist klar: der NATO darf keine alternative Verteidigungsorganisation Konkurrenz machen.

Über die NATO bleiben die USA Führungsmacht in Europa auch 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges. Ohne die NATO würde ein Kontinentaleuropa entstehen, das mit der Zeit sein eigenes „Arrangement“ mit Mächten wie Russland, China und Iran finden würde. Letzteres ist nicht im Interesse der USA.

Wie die europäischen Wähler auf die Eskalation des Streits zwischen USA und EU reagieren werden, ist unklar. Schon der Streit um das Atomprogramm des Irans, die kämpferische Rhetorik Washingtons und europäische Friedensbotschaften im Falle des Irans, haben das westliche Verteidigungsbündnis an den Rand einer nie dagewesenen inneren Konfrontation gebracht. Langsam wird den Europäern das US-Kriegsgeheul unheimlich. Sie laufen Gefahr, bloße Zaungäste in einer dramatischen Entwicklung zu bleiben, wo die USA versuchen werden, ihren Status als einzige Supermacht auf der Welt gegen Ambitionen von Akteuren einer multipolaren Ordnung aggressiv zu verteidigen.

Sowohl die EU, als auch die NATO, könnten sich in Folge der neuen US-Drohung – nunmehr gegen eine europäische Emanzipation im Rüstungsbereich – spalten. Deutschland und Frankreich werden, das kann man annehmen, weiter an einer eigenen europäischen Sicherheit basteln, natürlich auch versuchen, die Führungsmacht USA zu besänftigen. Doch manch ein anderer NATO Staat, man denke an Polen, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach an die Seite der USA stellen.

Diese dramatische Entwicklung ist Gift für das Klima vor den wichtigen EU-Wahlen. Was werden die Wähler honorieren? Eine europäische Standfestigkeit gegenüber den Amerikanern? Werden die Europäer darüber entrüstet sein, dass die USA ihnen eine von US-Interessen unabhängige Rüstung- und Sicherheitspolitik verbietet, und sich erst recht emanzipieren?

Oder werden sie im Streit mit dem übermächtigen Anführer der westlichen Welt nachgeben, kapitulieren – um die Schutzmachtfunktion der USA für das Abendland nicht aufs Spiel zu setzen? Und um eine Spaltung der NATO um jeden Preis zu verhindern?

Die Weltlage ist angesichts drohender Handelskriege der USA mit China, neuer Aufrüstungsspirale mit Russland, Atomwaffenstreitigkeiten mit Iran und Nordkorea, dem Staatszerfall in Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen und der Embargopolitik gegen Venezuela und Kuba bitterernst. Es fehlt nur noch, dass die Europäische Union selbst zu einem Brandherd wird! Die transatlantische Gemeinschaft scheint tot zu sein, vor den verantwortlichen Politikern liegen schwerwiegende Entscheidungen – denen sie nicht gewachsen sind.

Die EU ist zerrissen, sie muss wieder zusammengekittet werden? Und das sofort nach den Wahlen Ende Mai. Ein führender britischer Think Tank warnt schon im Voraus, dass ein Wegbrechen der NATO die EU wehrlos gegen Angriffe von außen machen würde. Europa ohne die Amerikaner – geht das überhaupt? Die Frage steht erstmals im Raum.

Der deutsch-französische Motor ist verpufft, er ist außerstande, Impulse für eine Neuausrichtung der EU zu liefern. Italien orientiert sich als erster EU-Staat Richtung chinesischer Seidenstraße. In Osteuropa dominieren nationale Strömungen, dort werden Forderungen nach einem Europa der Nationalstaaten, statt einer „wertepolitischen“ Orientierung der EU, immer lauter. Und das wiedererstarkte Russland lockt mit dem Angebot der Wiederaufnahme der Idee eines gemeinsamen Europa von Lissabon bis Wladiwostok.

Manche sagen, wir stehen vor einem ähnlich großen Weltumbruch wie vor 30 Jahren, als die Berliner Mauer fiel. Doch diesmal ist er sehr gefährlich.

Prof. Alexander Rahr gilt als einer der erfahrensten Osteuropa-Historiker, er ist Politologe und Publizist. Er ist Projektleiter beim Deutsch-Russischen Forum und Deutschlandberater von Gazprom.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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