Merkwürdige Sicht von Politikern: War die DDR ein Unrechtsstaat?

Jeder Rechtsstaat wird zum Unrechtsstaat, wenn die Staatspartei über dem Recht steht. Zum 70. Jahrestag der DDR-Gründung ist die Diskussion wieder entflammt, ob die DDR ein „Unrechtsstaat“ war oder nicht. Besonders in Szene gesetzt haben sich dabei die Ministerpräsidenten Manuela Schwesig, Bodo Ramelow und Michael Kretschmer.
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Die Berliner Mauer am 13. Oktober 1976 zwischen Ost- und Westberlin war kein Spaß für die DDR-Bürger.Foto: RALPH GATTI/AFP/Getty Images
Von 10. Oktober 2019

Punktgenau zum 70. Jahrestag der DDR-Gründung ist die Diskussion wieder entflammt, ob die DDR ein „Unrechtsstaat“ war oder nicht. Besonders in Szene gesetzt haben sich dabei die Ministerpräsidenten Schwesig (SPD/Meck.-Pom.), Ramelow (Linke/Thüringen), die diesen Begriff ablehnen und Kretschmer (CDU), der die klare Haltung vertritt, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Eigenes Erleben, persönliche Befindlichkeiten und politisch-ideologische Grundhaltungen bieten Raum für Interpretationen. Versuch einer Begriffsklärung.

Manuela Schwesig, SPD

Beginnen wir mit der 1974 in Frankfurt (Oder)/Brandenburg geborenen SPD-Politikerin Manuela Schwesig. In einem Interview für Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagt sie klipp und klar:

Die DDR war eine Diktatur. Es fehlte alles, was eine Demokratie ausmacht: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition.“

Der Begriff „Unrechtsstaat“ werde aber von vielen Menschen, die in der DDR gelebt hätten, als herabsetzend empfunden. „Er wirkt so, als sei das ganze Leben Unrecht gewesen. Wir brauchen aber mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen. Das ist wichtig auch für das Zusammenwachsen von Ost und West“. ­

Das ist, mit Verlaub, eine extrem verquase Weltsicht. Wenn der erste Teil der Aussage richtig ist, dann ist der zweite Teil völliger Blödsinn. Frau Schwesig und ihre Familie haben sich dem SED-Regime gegenüber offensichtlich immer sehr loyal verhalten und hatten nie Probleme mit der Staatsmacht. Schön, das können gewiss sehr viele Bürger der ehemaligen DDR von sich behaupten.

Aber was ist mit den Anderen? Denen, die wegen einer unbedachten Bemerkung am Arbeitsplatz von Stasi Spitzeln denunziert wurden und dafür jahrelang im Knast saßen? Jenen, die sich nicht linientreu verhielten und deshalb nicht studieren, nicht den Beruf ausüben durften, den sie wollten, denen im Zweifelsfalle die Kinder weggenommen wurden, die dann in schrecklichen Erziehungsheimen gequält wurden?

Und nicht zu vergessen: Es gab Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl, was nicht wenigen, die nach Freiheit strebten, zum tödlichen Verhängnis wurde und für deren Angehörige und Hinterbliebene zusätzliche Repressalien bedeutete, im Stil der von den Nazis gepflegten Sippenhaft?

Das ist gemeint, wenn vom DDR-„Unrechtsstaat“ die Rede ist. Kein vernünftiger Mensch will damit die Lebensleistung der Ostdeutschen schmälern und schon gar nicht den Eindruck erwecken, ihr ganzes Leben in der DDR sei Unrecht gewesen. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Vielen Bürgern wurde Unrecht zuteil und Verursacher dieses Unrechts war das von SED und Stasi getragene System eines diktatorischen Staates, also eines „Unrechtsstaates“. Auch wenn Sie zum Mauerfall erst 15 Jahre als waren – das alles kann Ihnen nicht gänzlich verborgen geblieben sein, verehrte Frau Schwesig. Also doch lieber erst den Verstand einschalten, ehe man solche Statements von sich gibt.

Bodo Ramelow, Linke

Der Linke-Politiker, Jahrgang 1956, ist zwar seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen, persönliche Erfahrungen über das Leben in der ehemaligen DDR, über die Realitäten des Alltags in einem eingemauerten Land hat er nicht. Im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck geboren, hat er als Legastheniker immerhin die kaufmännische Fachhochschulreife erworben, ehe er sich der Gewerkschaftsarbeit und später der Politik zuwandte.

Auch er hat jetzt in einem Interview gesagt, die DDR sei „eindeutig kein Rechtsstaat“ gewesen. Den Begriff Unrechtsstaat verbinde er persönlich aber ausschließlich mit der Nazi-Herrschaft. In diesem Zusammenhang sei der Rechtsbegriff Unrechtsstaat in den Auschwitz-Prozessen verwendet worden.

Obwohl er jene Zeit dank der „Gnade der späten Geburt“ auch nicht erleben musste, üben die Nationalsozialisten auf Ramelow offensichtlich eine merkwürdige, geradezu paranoide Faszination aus. So hat er sich im Mai dieses Jahres dahingehend geäußert, dass er, wenn er unsere Nationalhymne hört, reflexartig das Bild der Naziaufmärsche von 1933 bis 1945 vor Augen habe. Bei „Einigkeit und Recht und Freiheit…“ an nichts anderes als an Nazis zu denken, ist schon ziemlich bizarr. (Wir haben darüber berichtet: https://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-20191/wenn-er-unsere-nationalhymne-hoert-sieht-bodo-ramelow-nazis-aufmarschieren/).

Bleibt die Frage offen: Wenn die DDR nach Ramelows Aussage „eindeutig kein Rechtsstaat“ gewesen ist, was dann? Ein Staat, in dem es zwar Gerichte gab und natürlich auch eine Rechtsordnung, in der aber auch Gesetzte formuliert waren, die keineswegs unseren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit entsprachen und die darüber hinaus nicht selten nach Gutdünken des jeweiligen Richters – ganz wie bei den Nazis – zur Anwendung kamen?

Ein seltsamer Zwitterstaat, in dem geltendes Recht in erster Linie den Interessen von Staatsführung, Partei und Stasi zu dienen hatte und nicht dem demokratischen Rechtsanspruch des Bürgers? Dieses gegen die Ansprüche des Individuums gerichtete Rechtsverständnis und die entsprechende Ausübung des Rechts sollen aber nicht „Unrecht“ genannt werden? – Oh Mann, Herr Ramelow. Auch Ihnen ist zu raten: Erst das Gehirn einschalten, dann reden. Außerdem sollten Sie daran arbeiten, Ihre Nazi-Paranoia loszuwerden.

Übrigens: Bevor die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen nach der Wahl 2014 geschmiedet wurde, hatte es zwischen den Parteien Auseinandersetzungen um den Begriff „Unrechtsstaat“ in Bezug auf die DDR gegeben. Später einigte man sich, den Begriff in die Präambel des Koalitionsvertrages aufzunehmen.

Die Thüringer haben es in der Hand, bei den anstehenden Landtagswahlen dafür zu sorgen, dass Herr Ramelow mit seinen verquasen Ansichten nicht mehr so oft in den Medien erscheint.

Michael Kretschmer, CDU

Nur ein Jahr jünger als Manuela Schwesig, hat der in Görlitz/Sachsen geborene CDU-Mann die Wende auch als Teenager erlebt. Seine Erlebnisse im und Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus der DDR sind vermutlich andere gewesen als die ihren – oder er hat das, was um ihn herum geschah, wacher und aufmerksamer zur Kenntnis genommen.

Seiner Meinung nach jedenfalls war die DDR zweifelsfrei ein Unrechtsstaat und er untermauert seine Haltung wie folgt: „Es gab keine Meinungsfreiheit, Bürger wurden bespitzelt und eingesperrt, weil sie den Weg in die Freiheit suchten. Der Staat entschied, wer welche Bildung haben durfte, Familien wurden getrennt und die Reisefreiheit war eingeschränkt“.

Stärker eingeschränkt als bei den Nazis, denn die haben ihr Volk wenigstens nicht eingemauert.

Die Liste des Unrechts, unter dem Tausende DDR-Bürger zu leiden hatten ist lang, und ich möchte nur noch drei bösartige Aspekte hinzufügen: Zwangsadoptionen, Enteignungen und Diebstahl von Privateigentum. All die genannten „Spezialitäten“ wirkten in Ergänzung zu dem über allem stehenden Unrecht der generellen Freiheitsberaubung.

Eine Staatsführung, die sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als sein Volk mit Gewalt unter Inkaufnahme von Todesopfern daran zu hindern, das eigene Territorium zu verlassen, kann unmöglich einen demokratischen Rechtsstaat repräsentieren. Da hilft es auch nichts, wenn sie „demokratisch“ auf ihrem Staatsbanner ganz groß geschrieben haben. Jeder Rechtsstaat wird zum Unrechtsstaat, wenn die Staatspartei über dem Recht steht.

„Wundersame DDR“: In diesem Buch wird nicht thematisiert, ob die DDR ein Unrechtsstaat war

Aber im Buch wird aufgezeigt, wie zum Beispiel Diplomaten über dem Recht standen, wie in jedem Land. Allerdings war die Situation in der DDR schon eine besondere – vor allem für Diplomaten aus der BRD.

Das Buch „Wundersame DDR“ reiht Episode an Episode, mit den Erzählungen, was sich eine Diplomatengattin in der DDR erlauben konnte und wie sich die meisten Diplomaten mit „Westgeld“ ein flottes Leben genehmigten, jenseits des Rechts, das für DDR-Bürger zwingend war. Auch für „alte“ DDR-Bürger wird sich hier mancher Aha-Effekt ergeben. „Wundersame DDR“ ist erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.

Hubert von Brunn ist Chefredakteur von AnderweltOnline.com und Buchautor, der Artikel erschien zuerst bei anderweltonline.com.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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