Neues Gesetz: Der massivste Grundrechtseingriff der Geschichte

Am heutigen Mittwoch soll das eilig fabrizierte Dritte Bevölkerungsschutzgesetz durch drei Verfassungsorgane gejagt werden. Es ist der finale Sargnagel für die Demokratie. Was wir jetzt tun können, beschreibt Gastautor Milosz Matuschek.
Von 18. November 2020

Manchmal fragt man sich: ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Vor kurzem durfte Christian Drosten die traditionelle Rede zu Ehren des Dichters Friedrich Schiller halten. Schiller hat gegen Tyrannei und Willkürherrschaft angeschrieben, siehe „Die Räuber“ oder „Wilhelm Tell“. Er war von Publikationsverboten bedroht und immer wieder auf der Flucht.

Bei Drosten wird Schiller vom Freiheitsdichter zum Vordenker der Disziplinargemeinschaft. Wenn Virologen sich an Dichtern versündigen, klingt das so: „Auch Friedrich Schiller würde Maske tragen“ ist sich Drosten ziemlich sicher. Und als ob das nicht reicht, erfindet er gleich noch den „pandemischen Imperativ“, denn Kant mögen die Deutschen ja auch. Dieser lautet:

Handle in einer Pandemie stets so, als seist du positiv getestet und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an.“

Nun, gemäß Infektionsschutzgesetz heißt das nichts anderes als: Verhalte dich „absonderlich“, also begebe dich in den häuslichen Knast der Quarantäne. Drosten stellt Schiller und Kant auf den Kopf und zückt die Ereignis-Karte wie beim Monopoly: „Gehen Sie direkt in Ihr häusliches Gefängnis. Wenn Sie brav waren, gehen Sie über Los und ziehen Sie Kurzarbeitergeld ein.“

Schiller und Kant würden sich im Grabe umdrehen.

Der massivste Grundrechtseingriff der Geschichte

Am heutigen Mittwoch den 18.11.2020 geht es im Bundestag nun ans Eingemachte. Der Geist des pandemischen Imperativs und eine offene Anzahl von Einzelmaßnahmen werden in Gesetzesform gegossen. Die Regierungskoalition will das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz beschließen, der Bundesrat wird noch am gleichen Tag per Sondersitzung konsultiert, der Bundespräsident soll das Gesetz dann noch am gleichen Tag unterzeichnen.

Worum geht es?

Das Infektionsschutzgesetz in aktueller Fassung sieht in § 28 Absatz 1 derzeit eine Generalklausel für staatliche Maßnahmen vor. Das ist keine ausreichende Rechtsgrundlage, sie ist zu allgemein. Das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) sieht den „Vorbehalt des Gesetzes“ vor. Für staatliche Maßnahmen, die so wesentlich sind, dass sie an Grundrechte rühren braucht es eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, also ein formelles Parlamentsgesetz.

Der Souverän, also der Bürger muss seine Erlaubnis geben, wenn in seine Grundrechte eingegriffen wird. Das ist Volkssouveränität. Das Gesetz muss zudem klar gefasst, bestimmt und verhältnismäßig sein. Es muss einen legitimen Zweck verfolgen, objektiv für diesen geeignet und erforderlich sein (d.h. es darf kein milderes Mittel geben) und die Maßnahme muss in ihrer Eingriffsintensität proportional zum verfolgten, legitimen Zweck stehen.

Der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers kommentierte zu den Lockdowns im Frühjahr:

dass der massivste kollektive Grundrechtseingriff in der Geschichte der Bundesrepublik ohne angemessene gesetzliche Grundlage erfolgen kann, weil er in der Sache richtig ist, diese Einsicht könnte das Legalitätsverständnis in einer Weise erschüttern wie kaum ein Ereignis seit dem Preußischen Verfassungskonflikt, als sich die monarchische Exekutive das Budgetrecht nahm und damit das Rechtsverständnis noch der Weimarer Republik nachhaltig prägte. Dies gilt umso mehr, wenn vom Parlament – anders als damals – kein ernsthafter Versuch unternommen wird, diesen Zustand zu korrigieren.“

Diesen Versuch unternimmt nun das Parlament am 18.11.2020.

Aber ist es ein ernsthafter Versuch?

Nein. Was die Regierungskoalition hier vorstellt, ist eine Gesetzesfarce. Eine eilige Flickschusterei mit weitreichenden Folgen. Es ist ein Copy & Paste der bisherigen Regulierungsphantasien in Gesetzesform und damit ein Schlag ins Gesicht der parlamentarischen Demokratie.

Schauen wir uns nur drei Punkte näher an:

  1. Die “epidemische Lage”

Aufhänger für alle Maßnahmen ist die „Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in § 5 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für den es im Gesetz selbst keine Definition gibt. Der Bundestag stellt die epidemische Lage fest, und hebt sie wieder auf, heißt es lapidar im Gesetz. Erst die Gesetzesbegründung gibt Aufschluss und sieht eine solche Lage u.a. dann als gegeben an, wenn eine „erhebliche Gefährdung des Funktionierens des Gemeinwesens droht“, bei „Gefahr des Eintritts einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit“ oder wenn der „Gefahr einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems“ vorgebeugt werden muss. Ein unbestimmter Rechtsbegriff wird also durch weitere, ebenso unbestimmte Begriffe „erklärt“, die letztlich jedoch im Ungefähren versanden.

Es ist weder von Infektionszahlen, Krankheitsausbrüchen noch Mortalität die Rede. Wann droht der Kollaps des „Gemeinwesens“, was gehört da genau dazu? Was ist die „öffentliche Gesundheit“ überhaupt? Wann ist das gesamte Gesundheitssystem destabilisiert? Ausgerechnet der Dreh- und Angelpunkt an dem alle Zwangsmaßnahmen hängen, der „Begriff der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ist eine juristische Wundertüte mit Begriffen, die man in Sonntagsreden mit Kraftrhetorik beliebig zum Leben erwecken kann. Also auch bei der nächsten Grippewelle. Die gesamte Konstruktion steht von Anfang an auf wackeligen Füßen. Und es bleibt bei dem Befund, den der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg in einem Gutachten für den Bundestag stellte:

Das rechtliche Problem besteht aber im Kern darin, dass die Feststellung der „epidemischen Notlage“ ein verfassungsrechtlich hochgradig problematisches Ausnahmerecht auslöst und ihre dauerhafte Aufrechterhaltung den fatalen Anschein eines verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Ausnahmezustands setzt.”

         2. Der Verbotskatalog

Hinter die Generalklausel des § 28 wird nun einfach zusätzlich ein neuer § 28a Abs. 1 IfSG eingeführt, mit einer nicht abschließenden Aufzählung von Zwangsmaßnahmen und Verboten, wie wir sie spätestens seit dem 1. November kennen und welche die Regierungsspitzen in einem informellen, intransparenten Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen haben: die Untersagung und Beschränkung von Kultur-, Freizeit-, Sportveranstaltungen, die Schließung von Restaurants, sowie Übernachtungs-, Ausgangs-, Reise-, Alkoholverbote und vieles mehr.

„§ 28a
Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 (1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 können im Rahmen der Be-kämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nati-onaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag neben den in § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten insbesondere auch sein:
1. Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,
2. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
3. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung (Maskenpflicht),
4. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Kultur- oder Freizeitgestal-tung zuzurechnen sind,
5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Kultur- und ähnlichen Veranstaltungen,

6. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen,
7. Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 oder ähnlichen Einrichtungen sowie Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs,
8. Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,
9. Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen oder Schließung von Einzel- oder Großhandel oder Beschrän-kungen und Auflagen für Betriebe, Gewerbe, Einzel- und Großhandel,
10. Untersagung oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen,
11. Untersagung, soweit dies zwingend erforderlich ist, oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Versammlungen oder religiösen Zusammenkünften,
12. Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu be-stimmten Zeiten,
13. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
14. Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten eines Infektionsfalls mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können,
15. Reisebeschränkungen.
Die Anordnung der Schutzmaßnahmen muss ihrerseits verhältnismäßig sein.
Drucksache 19/23944

Einige Verfassungsrechtler, welche als Einzelgutachter kurzfristig Stellung nehmen sollten, sehen diese Regelung schon im Entwurfsstadium als verfassungswidrig an. Es wird nicht erklärt, abgewogen, gewichtet, definiert, sondern letztlich der Status Quo an Gesetzgebungsphantasien eines Ausnahmegremiums nochmal in Gesetzesform gegossen. Die Gutachterin Professor Kießling von der Universität Bochum kommt zu folgendem Fazit:

Die Vorschrift lässt keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen, sondern will offenbar einseitig das bisherige Vorgehen während der Corona-Epidemie legitimieren. In dieser Form werden die Gerichte die Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage für die Corona-Schutzmaßnahmen akzeptieren.“

Die Gutachterin Professor Klafki von der Universität Jena findet, dass einige Regeln zudem „lückenhaft, missverständlich oder orthografisch fehlerhaft formuliert“ seien. Ein Beispiel:

Explizit sind Ausgangsbeschränkungen „im privaten Raum“ gestattet. Bei unbefangener Lesart könnte man daher meinen, der Gesetzgeber wolle die zuständigen Behörden ermächtigen, den Gang in den eigenen Garten zu verbieten.“

         3. Die fehlende Bestimmtheit

Das Grundgesetz setzt voraus, dass aus der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der Rechtsverordnung erkennbar sein muss. Das Gesetz in der jetzigen Form ist eine Wundertüte. Eine Blanko-vollmacht für ein Verordnungsregime des Bundesgesundheitsministers. Je tiefer und breiter der Gesetzgeber in die Grundrechte eingreift, desto größer wird der Begründungsaufwand. Daran fehlt es allgemein.

Der Rechtswissenschaftler und Einzelgutachter Christoph Möllers von der Humboldt-Universität Berlin hat nicht nur deshalb „gravierende Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Es stimmt, dass, wie Möllers sagt, die seit März dieses Jahres ergriffenen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in einer „unter dem Grundgesetz unbekannten Breite und Tiefe“ in die Grundrechte eingegriffen haben. Der Gesetzgeber trägt dieser historischen Situation aber nicht im Ansatz durch erhöhten Begründungsaufwand Rechnung. Vielmehrt geht es mit Copy & Paste in die Verordnungsdiktatur.

Dies sind nur einige Punkte, es gäbe weitaus mehr: die Frage nach Impfzentren, die Frage nach der Befristung der Maßnahmen, nach unabhängigen Expertengremien, nach einer grundlegenden, unabhängigen, wissenschaftlichen Aufarbeitung der vielen, in sich widersprüchlichen Maßnahmen. Die Politik verlangt Gehorsam, schafft es aber nicht einmal, ein in sich schlüssiges, auf breiter Basis stehendes und mit dem Grundgesetz konformes rechtliches Pandemieregime vorzustellen. Sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages benennt Defizite und Vorbehalte.

Jetzt gilt es zu handeln

Dieses Gesetz ruft nach Widerstand. Die Zeit ist knapp. Was können wir tun? Fangen wir an, Forderungen zu stellen. Gerade sind mehrere Petitionen gegen das Gesetz gestartet worden (siehe hier und hier).

Schreiben Sie an Ihren Abgeordneten. Oder besser noch: protestieren Sie vor dessen Wahlkreisbüro oder gehen Sie auf Demos. Schreiben Sie an den Bundestag und Bundesrat, der am gleichen Tag noch entscheiden wird. Schreiben Sie an den Bundespräsidenten Steinmeier: er darf kein offensichtlich grundrechtswidriges Gesetz unterzeichnen, sonst verstößt er selbst gegen das Grundgesetz.

Es gibt gerade viele Ereignisse, die einen in Sachen Corona nur noch stutzig machen: das Tempo der Verschärfungen, die überall zunehmende Zensur, der Kollaps des Debattenraums, die autoritäre Sprache, der diktatorische Duktus. Wir leben in Zeiten der Demokratie-Dämmerung. Die Nacht wird täglich länger, der Tag kürzer. Und irgendwann könnte die Nacht bleiben.

Dies ist gerade die größte Prüfung, welche die parlamentarische Ordnung seit 1949 erlebt. Demokratien sterben nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln, wusste der Schriftsteller T.S. Eliot. Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, gibt sich die Institution Bundestag selbst auf, sie schaufelt sich ihr eigenes Grab. Und jeder Abgeordnete, der da mitmacht, betätigt sich als Totengräber.

Wir werden deshalb genau hinschauen, wie welcher Abgeordnete am 18.11.2020 abstimmt.

Erwartet uns.

 

Der Artikel erschien zuerst auf Freischwebende Intelligenz  Sie können den Beitrag dort auch hören, eingesprochen von Gunnar Kaiser (Update, 16.11., 13 Uhr: gerade nur als Re-Upload, da Youtube das Original-Video gelöscht hat, Widerspruch ist eingelegt): 

Gastautor Milosz Matuschek veröffentlicht regelmäßig seine Texte und Updates zum “Appell für freie Debattenräume”. Auch seine NZZ-Kolumnen sowie sonstige journalistische Texte erscheinen hier auf “Freischwebende Intelligenz”.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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