Rundfunk, quo vadis?
Um einen Blick in die mögliche Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) werfen zu können, hilft der Blick auf die Herkunft. Die Regionalität ist eines der Markenzeichen der ARD, dem ursprünglichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der neu gegründeten Bundesrepublik. Die Frequenzverwaltung und Gebührenhoheit der Post, die damals auch die Telekommunikation verwaltete, stand dem dezentralen redaktionellen Betrieb der Landesrundfunkanstalten gegenüber.
Das ZDF kam 1960 hinzu – als abgeänderte, entschärfte Version eines von der damaligen Adenauer-Regierung favorisierten Bundesrundfunksenders, der unter staatlichem Einfluss gestanden hätte. Mit der Einführung des privaten Rundfunks entstand Wettbewerb im redaktionellen Bereich. Das Modell der Landesrundfunkanstalten im Verbund der ARD wurde 1990 nach dem Beitritt der DDR übernommen.
Das Medienverhalten hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fundamental gewandelt. Um über das politische Geschehen informiert zu sein, ist es nicht mehr nötig, den ÖRR zu hören oder zu schauen; um sich zu unterhalten, ebenso wenig.
Werden die Öffentlich-Rechtlichen noch gebraucht?
Brauchen wir den ÖRR noch? Hat er sich überlebt? Was wäre, wenn wir keinen ÖRR mehr hätten?
Dies sind Fragen, die provokant wirken. Aber nicht nur Radio- und Fernsehjournalisten, sondern viele Rundfunkteilnehmer stellen sie sich. Soll das Medienkonsumverhalten Maßstab für die Beantwortung sein? Da es selbst im Besonderen der Wandlung unterliegt, ist dies zumindest als alleiniger Maßstab ungeeignet.
Der Rundfunk hat eine Funktion als Medium und er ist ein Faktor in der Gesellschaft. Denkt man ihn sich weg, was würde fehlen? Für die, die das Idealbild des ÖRR vor Augen haben, wäre der Verlust immens. Arbeitslosigkeit von Medienschaffenden, Museen der audiovisuellen Kulturgeschichte würden übrig bleiben. Die verfassungsrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit würden allein Privatunternehmen wahrnehmen, wahrscheinlich als Teile von globalen Konzernen.
Ein Blick über den Tellerrand hilft. So ist exemplarisch die BBC zu nennen für ein System, in dem den privaten Medienkonzernen ein starker ÖRR gegenübersteht. Dort gibt es einen Zuschauerrat. Gegenbeispiele insbesondere aus Diktaturen zeigen, dass der Rundfunk in der freiheitlich demokratischen Grundordnung die weitere Funktion hat, die Demokratie und Gewaltenteilung zu stärken.
Das Idealbild des ÖRR, wie er in den Landesrundfunkgesetzen und dem Medienstaatsvertrag konstitutiv verankert ist, erkennen viele Beitragszahler, Mitarbeiter der Medien und große Teile der Presse nicht mehr. Folgende Probleme werden im Wesentlichen genannt:
- die fehlende Pluralität von Meinungen in öffentlich-rechtlichen Sendern,
- die fehlende Rechtfertigung des Rundfunkbeitrages und
- die wachsende Zensur im Internet.
Bewegungen wie rundfunk-frei und Leuchtturm ARD zeugen davon. Es gibt also auf zwei Ebenen Kritik, nämlich dass der ÖRR seine Aufgabe nicht ordentlich erfüllt, die ihm in der Gesellschaft zugedacht ist, und auf der anderen Ebene, dass er seine ursprünglichen Funktionen endgültig eingebüßt hat, also obsolet ist.
Beitragszahler sollten Kontrollrechte erhalten
Seitens der Intendanten und Ministerpräsidenten ist seit ein bis zwei Jahrzehnten kein Mut zu beobachten, eine grundlegende, die eigene Macht reduzierende Reform vorzunehmen. Mag die Befürchtung in den oberen ARD-Etagen groß sein, dass die Causa Schlesinger der Auslöser für eine erdrutschartige Veränderung sein könnte. Berechtigt ist sie und eine grundsätzliche Veränderung ist notwendig – für das Überleben des ÖRR.
So sollte nicht allein an Sparmaßnahmen gedacht werden, sondern der ÖRR sollte entsprechend dem Medienverhalten eine neue Funktion erhalten. Denkbar ist eine interaktive Bürgerplattform – barrierefrei, werbefrei, zensurfrei. Ihr Zweck ist ein soziales Medium in der Hand der Rundfunkanstalten als Treuhänder der Rundfunkteilnehmer. Diese Plattform hat neutrale Algorithmen zu verwenden.
Die Beitragszahler als Souverän sind mit Kontrollrechten auszustatten. Das ist überfällig, angesichts des Versagens der gegenwärtigen Kontrollsysteme im ÖRR. Befreiungs- und Ermäßigungstatbestände wie bei der früheren Rundfunkgebühr sind wieder einzuführen.
Ferner hat der ÖRR in Zukunft staatsfern und parteienfern organisiert zu sein. Ob die Umstrukturierung als Stiftung, so wie es in Österreich gemacht wurde, ein guter Weg ist, ist zumindest zu diskutieren.
Zuschauer und Zuhörer haben Rechte. Sie sind institutionell einzubinden, mindestens wie bei der BBC. Aber besser mehr Demokratie wagen und eine Rundfunkwahl einführen. Durch die Verankerung der Selbstverwaltung wird die Demokratie und Meinungsverbreitungsfreiheit sowie Informationsfreiheit gesichert.
Über den Autor:
Dr. Harald von Herget (59), Rechtsanwalt, ist in München geboren, studierte Politikwissenschaft und Jura und promovierte 2004 über „Rundfunk und Grundgesetz – Die Auswirkungen der Digitalisierung elektronischer Massenmedien auf den Rundfunkbegriff und die Folgen für die Rundfunkhoheit und die Rundfunkordnung in Deutschland und Europa“. Weitere Informationen auf seiner Webseite www.vonherget.ch.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 59, vom 27. August 2022. >>> Shop
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