Sippenhaft – Chinas Methode um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen

Eine mir oft gestellte Frage ist: Was passiert mit Chinesen im Ausland, wenn sie im Internet Meinungen äußern, die NICHT im Einklang mit den Narrativen der chinesischen Propaganda stehen? Eine Antwort darauf gibt das Fallbeispiel eines 19-jährigen Chinesen. Sein Schicksal offenbart uns einen detaillierten Einblick in eine Methode, die Chinas Polizei häufig verwendet, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen - die Sippenhaft.
Von 3. März 2021

Dieser Gastbeitrag ist der Originaltext zum Video: „Sippenhaft – Chinas Methode um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen“ vom YouTube-Kanal „Leas Einblick“

Wang Jingyu ist 19 Jahre jung. Er kommt aus der chinesischen Mega-City Chongqing. Die Stadt mit 31 Millionen Einwohnern ist die Partnerstadt von Düsseldorf.

Wang Jingyu gehört zu der jungen Generation in China, die mit Smartphones und Tablets aufwächst. Fernsehen ist für sie schon viel zu altmodisch. Diese Generation fühlt sich im Internet zu Hause. Wer heimlich den Wunsch hat, die freie Außenwelt kennenzulernen, findet genug Methoden, Chinas Great Firewall zu umgehen.

Der junge Wang stammt aus einer finanziell sehr gut aufgestellten Familie, die ihn schon als Kind auf Auslandsreisen schickte. So konnte er, anders als viele seiner Gleichaltrigen in China, bereits in jungen Jahren viele Erfahrungen außerhalb Chinas sammeln.

Und plötzlich bricht die heile Welt zusammen. Seine Eltern müssten momentan sehr froh sein, dass sich der Sohn gerade nicht in China, sondern auf einer Reise in Europa befindet.

Doch dass Wang jetzt im Ausland ist, hat einen bestimmten Grund. Denn seit etwa einer Woche fahndet die Polizei seiner Heimatstadt nach ihm und das sogar über Chinas Staatsgrenze hinweg. Der junge Reisende sollte sich sofort der Polizei stellen. Was war sein Vergehen?

Drei kurze Kommentare auf WeChat – er hinterfragte die offiziellen Nachrichten

Er hat vor kurzem drei Kommentare auf der chinesischen Social-Media-Plattform WeChat gepostet. Und diese waren wohl kritisch. Kritisch, weil er Chinas offizielle Nachrichten infrage gestellt hatte. Es ging hier um die Anzahl der verstorbenen Soldaten bei einem Grenzkonflikt mit indischen Soldaten im vergangenen Sommer. Wang fragte, ob es etwas zu verbergen gäbe, weswegen die Staatsmedien erst acht Monate nach dem Vorfall über den Tod von vier chinesischen Soldaten berichteten.

Der Grenzkonflikt zwischen China und Indien hat eine lange Geschichte. Am 15. Juni letzten Jahres lieferten sich Soldaten der beiden Atommächte im Galwan-Tal die schwerste Auseinandersetzung seit über 50 Jahren. Bei den Zusammenstößen wurden 20 indische Soldaten getötet, 76 verletzt und 10 gefangen genommen.

Amerikanische und indische Medien berichteten, dass 35 bis 43 chinesische Soldaten gestorben sind. Laut Information des US-Nachrichtendienstes hat ein hochrangiger chinesischer General seine Truppen kommandiert, die indischen Truppen im Galwan-Tal anzugreifen, um „Indien eine Lektion zu erteilen.“ „BBC“ zeigte ein Foto von der Waffe, die anscheinend von den chinesischen Soldaten bei der tödlichen Schlägerei eingesetzt wurde.

Zwei Tage nach dem Vorfall wurden die gefallenen indischen Soldaten mit militärischen Ehren beigesetzt. Im Gegensatz dazu schweigt Chinas Regime über die Anzahl ihrer Todesopfer. Und wenn es offiziell bei diesem Zusammenstoß gar keine Todesopfer gegeben hätte, dürften die Verstorbenen selbstverständlich auch nicht offiziell beigesetzt werden.

Laut US-Medienberichten übte die chinesische Regierung Druck auf die Familien der chinesischen gefallenen Soldaten aus. Sie wollten die Angehörigen daran hindern, ihre Verstorbenen angemessen zu bestatten. Die US-Geheimdienste schätzen, dass es ihr Ziel sei: einen Vorfall zu vertuschen, den Peking anscheinend für einen Fehler hält.

Erst acht Monate nach dem Vorfall berichteten die chinesischen Staatsmedien am 21. Februar auf einmal, dass es doch vier Todesopfer gegeben hatte. Chinas Außenamtssprecherin begründete die verspätete Mitteilung mit dem Argument, sie könnten jetzt die Menschen besser über die wahren Umstände informieren und so die Grenzprobleme besser lösen.

Hierzu wurde zum ersten Mal ein 8-minütiges Video über den Zusammenstoß gezeigt. In diesem Video sind eine Menge indische Soldaten mit Schutzschilden zu sehen. Sie scheinen in der eindeutigen Überzahl zu sein. Im Video ist allerdings auch zu hören, wie der Kommandeur der chinesischen Truppen die indischen Soldaten beschimpft.

Nach der Veröffentlichung dieser Nachricht kommentierte der junge Chinese Wang Jingyu auf WeChat: wie könnte es möglich sein, dass fünf chinesische Soldaten – wie es im Video gezeigt wird – gegen mehrere Hundert indische Soldaten kämpften und heil davongekommen sind? Außerdem hätten die chinesischen Soldaten den Tod verdient, wenn der chinesische Kommandeur die indischen Truppen so beschimpft und provoziert habe.

Eltern in Handschellen gelegt

Seine Kommentare lösten eine Welle der Entrüstung unter den Netizens aus, die das offizielle Narrativ der chinesischen Regierung glauben. 20 Minuten später standen schon die Polizisten vor der Wohnungstür von Wangs Eltern. Sie durchsuchten die Wohnung, legten den Eltern Handschellen an und führten sie ab. Anschließend wurden seine Eltern getrennt verhört. Sie wurden gezwungen, ihren Sohn anzurufen und ihm zu sagen, er solle die Kommentare sofort löschen.

Ein Polizist drohte Wang Jingyu am Telefon, das ganze Land wüsste, wie er dem Ruf der chinesischen Volksarmee geschadet habe. Ganz egal, wo er sich jetzt befände, ob in den USA oder Europa, China sei in der Lage, ihn von diesen Ländern ausliefern zu lassen. Er solle sich keine falsche Hoffnung machen, dass andere Länder ihm Schutz gewähren.

Wang Jingyu wurde drei Tage Zeit gegeben, nach China zurückzufliegen und sich der Polizei zu stellen.

Seitdem wurden seine Eltern jeden Morgen vor 7 Uhr in die Polizeistation gebracht. Nach 12 Stunden durften sie wieder nach Hause gehen, aber nicht ohne Überwachung.

Zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau schlafen sogar bei seinen Eltern zu Hause. Die Polizistin schläft mit seiner Mutter auf einem Bett, während sein Vater mit dem männlichen Polizisten auf einem Bett in einem anderen Zimmer schlafen muss. Am nächsten Morgen werden seine Eltern wieder zur Polizeistation gebracht.

Die Polizisten drohen Wang Jingyu damit, seine Eltern ins Gefängnis zu werfen, falls er nicht nach Hause kommen würde.

In den letzten Tagen sind alle persönlichen Informationen von ihm und seinen Eltern im chinesischen Internet veröffentlicht worden, einschließlich ihrer Namen, den Handy-Nummern, die Nummern ihrer Personalausweise, sowie die Namen der Firmen, bei denen seine Eltern arbeiten.

Die lokale Polizei belästigt Wang Jingyu ständig mit Anrufen. Darüber hinaus bekommt er auch Morddrohungen über sein Handy von unbekannten Chinesen.

Inzwischen sind seine Eltern nicht mehr zu erreichen.

Wang Jingyu ist auf dem Weg nach Genf – und will bei der UNO protestieren

Sechs andere Blogger wurden gleichfalls wegen ähnlicher Kommentare zur Anzahl der Toten im China-Indien-Grenzkonflikt verhaftet. Darunter ist auch ein Blogger mit 2,4 Millionen Followern. Sein sogenanntes „Verbrechen“ war der sarkastische Ton in seinem Kommentar.

Er hat lediglich geschrieben, dass der ranghöchste Kommandeur die Fähigkeit eines fliegenden Generals, die Schnelligkeit eines fliehenden Hasen sowie gutes Glück gehabt haben musste, da er der Einzige war, der heil davongekommen ist.

Dieser Kommentar gilt anscheinend als Rufschädigung von Helden und Märtyrern. Nach einem neuen Gesetz, das am 1. März in Kraft getreten ist, muss er mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen, wobei das Gesetz noch gar nicht da war, als er den Kommentar geschrieben hatte.

Wang Jingyu kündigte vor zwei Tagen über Twitter an, dass er auf dem Weg nach Genf sei. Dort möchte er vor der UNO gegen Chinas Menschenrechtsverletzungen protestieren.

Danach plant er, in andere europäische Länder zu fahren, um vor den chinesischen Botschaften und Konsulaten weiter zu protestieren. Er möchte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wecken. Denn nur mit internationalem Druck könnte er seine Eltern einigermaßen schützen, erklärt der 19-Jährige.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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