Vera Lengsfeld: Wie die Regierung Schmidt der RAF Paroli bot

Wie es Regierung Schmidt, vor allem aber dem Bundeskanzler gelungen ist, der RAF Paroli zu bieten, davon handelt das eben erschienene Buch „44 Tage – Und Deutschland wird nie wieder so sein, wie es war“ von Stephan R. Meier. Vorgestellt von der ehemaligen Bürgerrechtlerin in der DDR Vera Lengsfeld.
Titelbild
Nach der Befreiung der Geiseln aus der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu gab der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Regierungserklärung ab.Foto: Heinrich Sanden/dpa
Epoch Times11. März 2021

Anders als von Kanzlerin Merkel behauptet, war die schwerste Krise für die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die gegenwärtige Coronalage, sondern die 44 Tage im September und Oktober 1977, zwischen der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, der Entführung der „Landshut“, dem Selbstmord der führenden RAF-Terroristen in Stammheim und dem Auffinden von Schleyers Leiche an der Luxemburgischen Grenze.

In diesen Tagen stand das Schicksal der bundesrepublikanischen Demokratie auf der Kippe. Es ging um die Frage, ob aus der Bundesrepublik ein Polizeistaat wird, oder ob sie ihren „beispiellosen Aufstieg in der Weltgemeinschaft fortsetzen“ konnte. Wie letzteres der Regierung Schmidt, vor allem aber dem Bundeskanzler gelungen ist, davon handelt das eben erschienene Buch „44 Tage – Und Deutschland wird nie wieder so sein, wie es war“ von Stephan R. Meier.

Der Autor ist der Sohn des damaligen Verfassungsschutzchefs Richard Meier, der in jenen Tagen eine Schlüsselrolle als Krisenmanager spielte. Der Politthriller beruht nicht nur auf den wichtigsten Veröffentlichungen zur Schleyer-Entführung, sondern auch auf zahllosen Gesprächen zwischen Vater und Sohn. Es handelt sich einerseits um Fiktion, andererseits ist das Geschehen so nah wie möglich an den realen Vorgängen angesiedelt. Die sind so brisant, dass die Spannung nicht vom Autor aufgebaut werden muss. Sie ist von der ersten bis zur letzten Zeile immanent.

Interessant ist der Roman nicht nur als Geschichtswerk, sondern die Fragen, die er behandelt, wie eine Demokratie mit ihren Gefährdungen umgehen kann, ohne das zu verlieren, was sie ausmacht, den Rechtsstaat, ist von brennender Aktualität.

Erhellend ist schon der Blick auf das damalige politische Personal, das sich grundlegend vom heutigen unterscheidet. Wer damals Parlamentarier oder Minister war, hatte eine solide Ausbildung und profunde Kenntnisse auf unterschiedlichsten Gebieten. Innenminister Werner Maihofer war zum Beispiel nicht nur ordentlicher Professor am Lehrstuhl für Rechts- und Sozialphilosophie, Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, er war auch früherer Eiskunstläufer und profunder Musikkenner. In seinem Ministerbüro gab es eine Geige und eine Bratsche, die er solide beherrschte.

Studienabbrecher oder Abgeordnete ohne vollendete Ausbildung und Berufserfahrung gab es im Bundestag und in der Regierung nicht. Ein laxes Verhältnis zu Recht und Gesetz à la Angela Merkel, die schon mal äußert, die Regierung verabschiede die Gesetze, waren 1977 undenkbar. Während heute Politiker ungehemmt zum Denunziantentum aufrufen, tat sich das politische Personal damals äußerst schwer damit, die Bevölkerung um Hinweise über die RAF-Terroristen zu bitten. Man war sich wohl bewusst, dass dies eine gefährliche Aufweichung des Grundgesetzes bedeutete. Aber der Terrorismus hatte ein Ausmaß erreicht, das gefährlich für das demokratische Zusammenleben der Gesellschaft wurde.

Dabei war es vor allem ihre erfolgreiche Propaganda der RAF, die sie viel stärker erscheinen ließ, als sie war. Das begann schon mit dem Namen: Rote Armee Fraktion. Sie waren alles andere als eine Armee, es waren um die 60 Einzelpersonen, die in den Untergrund abgetaucht waren. Die meisten der ein paar tausend Unterstützer waren eher „Partysympathisanten“ als aktive Helfer.

Aber die RAF beherrschte die Tricks und Kniffe erfolgreicher Propaganda. Die war um so wirkungsvoller, als die noch junge Bundesrepublik stets bemüht war zu betonen, dass sie aus der Nazivergangenheit gelernt hatte. Das führte zu der absurden Situation, dass Baader, Ensslin, Raspe und Meinhof, später Möller, in ihrer angeblichen „Isolationshaft“ ein ganzes Stockwerk für sich besaßen, sich tagsüber treffen konnten, von ihren Anwälten mit Ausrüstung für eine Funkstation, die Raspe in seiner Zelle, die einer Werkstatt glich, zusammenbaute und Waffen versorgt wurden. Sie hatten Radio, Fernsehen, Plattenspieler, bis zu tausend Bücher und sechzig Abos für Zeitungen und Zeitschriften.

Von ihrer Zelle aus ermahnte Ensslin den hungerstreikenden Holger Meins, ja nicht aufzugeben. Die RAF brauchte einen Märtyrer. Sie bekam ihn. Die Köpfe der RAF waren zwar inhaftiert, sie steuerten aber weiter die Aktionen. Erst nach der Entführung von Schleyer wurden die Terroristen heimlich abgehört.

Anfangs war sich BKA-Chef Herold sicher, dass die Entführer von Schleyer schnell gefasst werden würden. Man vertraute einem neuen Super-Computer, der schnell alle notwendigen Erkenntnisse, die auf ihre Spur führen würden, ausspucken würde. Übersehen wurde dabei, dass die Computer davon abhängen, wer sie mit welchen Daten füttert. Zum Schluss präsentierte Herold in der Lagebesprechung im Kanzleramt die Vermutung, Schleyer würde mit einem schallisolierten Möbelwagen quer durch die Republik gekarrt.

„Je länger das gegenseitige Lauern dauerte, umso absurder und ungehemmter wurden die Vorschläge, wie der Staat mit der RAF fertig werden sollte“.

Dabei war die Wohnung, in der Schleyer von den Terroristen versteckt wurde, in der analogen Welt schnell gefunden. Ein Streifenpolizist, im Buch heißt er Rainer Bergmann, hatte sich die Merkmale, die vom BKA für die Suche an alle Polizeidienststellen verschickt worden waren, sehr genau angesehen, hatte sich auf die Suche gemacht und war fündig geworden. Bereits drei Tage nach der Entführung lag dem BKA die Adresse vor.

Aber es geschah nichts. Als der Vorgesetzte von Bergmann auf dessen Drängen telefonisch nachhakte, wurde behauptet, das Fernschreiben mit der Information sei nicht eingetroffen. Es wurde zum zweiten Mal verschickt, diesmal mit Bitte um Empfangsbestätigung. Wieder geschah nichts. Erst über einen Monat nach Schleyers Tod, drangen Beamte des BKA in die längst verlassene Wohnung ein, fanden aber nur noch die Beweise, dass Schleyer hier tatsächlich festgehalten worden war.

Wie anders wäre die Geschichte verlaufen, wenn man dem Hinweis des Polizisten ernst genommen hätte!

Meier stellt sich auch der Frage, was in der Nacht, in der die Terroristen Selbstmord verübten, geschehen war. Die Tat war vorher mehrfach angekündigt worden, als Drohung, „als letzten endgültig revolutionären Akt,  als finalen Beweis dafür, dass der Staat ein verbrecherischer war“.

Dieses Kalkül ging nicht auf. Die Terroristen wurden abgehört, ihre Vorbereitungen zum Suizid und ihr Sterben sind auf Tonbandmitschnitten dokumentiert. Man hätte ihren Selbstmord verhindern können, man hat es unterlassen. Damit hat sich die Regierung schuldig gemacht, aber sie hat gut daran getan. „Nur so konnte die RAF als gescheitert und ihre Ambitionen als wirkungslos dargestellt werden und die schlimmste Bedrohung war damit ein für alle Mal vorbei“.

Die Regierung Schmidt stellte die Sicherheit der Allgemeinheit über die Sicherheit des Einzelnen. Später wurde diese Haltung, als Schleyers Söhne gegen die Regierung klagten, vom Verfassungsgericht bestätigt.

„Was 1977 im Raum stand, das war der Zwang für die Bundesregierung, einen waffenstarrenden Polizeistaat zu errichten, wenn das ‚Problem‘ RAF bis zum Ende des Jahres nicht verschwand. Die Männer im Krisenstab um Schmidt versuchten vor allem eines zu bekämpfen: ihre eigene Überreaktion und die aus den Verfassungsbrüchen resultierenden unabsehbaren Folgen für die Gesellschaft, für die sie Verantwortung trugen. Deshalb musste die RAF ‚weg‘ und ihr elitärer Kopf in Stammheim abgeschlagen werden“.

Es war nicht das Ende der Terrororganisation, die zweite und die dritte Generation Terroristen mordete weiter. Sie wurden aber nie mehr zu einer akuten Gefahr für die Demokratie. Auch nach der Selbstauflösung der RAF blieb eine Handvoll ihrer Mitglieder im Untergrund. Bis heute überfallen sie Sparkassen und Supermärkte, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie sind keine revolutionären Kämpfer, nie gewesen, sondern gewöhnliche Kriminelle.

Heute leben die Ex-Terroristen von der Milde des Staates, den sie als „Schweinesystem“ bekämpft haben. Ob das, wie Meier vermutet, den Betroffenen der RAF-Taten Genugtuung verschafft, bleibt zweifelhaft. Klar ist nur, dass die RAF-Mörder sich arrogant weigern, ihr Insiderwissen über ihre Morde preis zu geben und den Hinterbliebenen Gewissheit über die Todesumstände ihrer Angehörigen zu verschaffen.

Zwei Botschaften des Romans sind noch wichtig: Die RAF war antisemitisch und antizionistisch, wie große Teile der sie unterstützenden Linken. Und die Staatssicherheit der DDR hatte ihre Hände im Spiel. Stasi-Agenten saßen im Jemen und in den palästinensischen Camps, wo die RAF-Terroristen militärisch ausgebildet wurden. Der Kampf gegen die RAF war auch ein Kampf gegen linken Antisemitismus und Antizionismus.

„Helmut Schmidt hat in großer Not verhindert, dass aus dem Rechtsstaat ein Polizeistaat wurde. Das ist vielleicht sein größtes Verdienst. Jeder, der heute in der Politik tätig ist, muss im Bewusstsein dieses Erbes handeln.“

Wenn Angela Merkel dieses Buch lesen würde, könnte sie die Antwort darauf finden, warum sie als Kanzlerin gescheitert ist.

Stepahn R. Meier: 44 Tage

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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