Wie wir die Polarisierung der Gesellschaft überwinden können

Die Gesellschaft ist gespalten – nicht nur politisch. Die Argumente werden immer giftiger; persönliche Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Wie kann diese Polarisierung überwunden werden? Die Lektionen aus dem Leben des Vaters der US-Verfassung könnten uns dabei helfen.
Titelbild
Ein Portrait von James Madison, des vierten Präsidenten der Vereinigten Staaten von 1809-1817.Foto: Mit der freundlichen Genehmigung von National Archives/Newsmakers via Getty Images
Von 26. November 2021

Die USA waren schon immer parteilich gespalten – in manchen Epochen mehr, in manchen weniger. Und nur wenige von uns würden bestreiten, dass wir in einer besonders polarisierten Zeit leben. Zahlreiche Umfragen bestätigen das: Die Polarisierung nahm in den letzten Jahrzehnten zu.

Auch wenn sich viele Studien mit unserem derzeitigen Zustand und den Ursachen dafür beschäftigen, haben sich zu wenige ernsthaft mit der dringlichsten Frage auseinandergesetzt: Wie kommen wir aus der übermäßigen Parteilichkeit heraus? Dabei könnten uns die Lektionen von James Madison, dem Vater der US-Verfassung, helfen.

Auf den ersten Blick mag Madison nicht als der passende Lehrmeister erscheinen. Denn sein berühmtestes Argument lehrt uns, „die latenten Gründe für Fraktionen“ seien nicht situationsbedingt, sondern vielmehr „in der Natur des Menschen angelegt“. Da die Tendenz zur Fraktion in freien Regierungen nicht überwunden werden könne, müsse man „den Geist der Partei und der Fraktion in den notwendigen und gewöhnlichen Vorgängen der Regierung“ akzeptieren.

Außerdem spielte Madison eine nicht geringe Rolle bei der Gründung der ersten organisierten politischen Partei in der jungen Republik und prägte als Erster den Begriff „Republikanische Partei“. Er diente als Apparatschik für die Jeffersonianischen Republikaner und erlag oft demselben parteipolitischen Eifer, über den wir uns heute beklagen.

Doch gerade aus diesen Gründen können wir viel von Madison lernen. Da er wusste, dass Fraktionen in einer freien Regierung nicht beseitigt werden können, suchte er aktiv nach Wegen, sie zu entschärfen, um sie weniger destruktiv zu machen. 

Zudem sind es nicht Madisons voreingenommene Handlungen, die uns lehren, wie wir die Polarisierung überwinden können, sondern vielmehr die Geschichte seines gesamten Lebens und seiner Karriere. Madisons frühere Aktivitäten waren ein Grund dafür, dass die 1790er-Jahre als ein „jahrzehntelanges Schreiduell“ bezeichnet wurden. Doch als er 1817 aus dem Präsidentenamt ausschied, war es die „Ära der guten Gefühle“.

Mit anderen Worten: Madison erlebte nicht nur eine der schlimmsten Epochen amerikanischer Parteilichkeit, sondern trug auch dazu bei, das Land über diese unruhige Zeit hinaus zu mehr Harmonie zu führen. Deswegen lohnt es sich, seine Lektionen heute zu begutachten.

Lektion 1: Der Jugend klassische Rhetorik beibringen

Einigen Umfragen zufolge nimmt die Unterstützung der Redefreiheit in den USA ab, vor allem unter jungen Menschen. Solche Umfragen messen in der Regel die Toleranz junger Menschen gegenüber Rednern, die sie als beleidigend empfinden.

Schlimmer ist jedoch, dass die meisten Hochschulen ihren Studenten den Sinn der Redefreiheit nicht vermitteln. Selbst Hochschulabsolventen wissen nicht, dass der Sinn des Tolerierens widersprüchlicher Meinungen in der Suche nach der Wahrheit liegt. Auch nach einer teueren Ausbildung wissen viel zu viele nichts über die rationale Kunst der politischen Beredsamkeit. Ihnen wird beigebracht, alle Urteile seien subjektiv und dürften nicht rational bewertet, diskutiert und debattiert werden.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass eine Ausbildung in klassischer Rhetorik als wesentlicher Bestandteil einer aufgeklärten Selbstverwaltung angesehen wurde. Als Madison die Universität Princeton besuchte, hörte er Vorlesungen über „Moralphilosophie, Rhetorik und Beredsamkeit“.

Es ist nicht fair, die Studenten von heute als „Schneeflocken“ zu kritisieren. Ihnen wurde nie beigebracht, dass es auch bessere Möglichkeiten gibt, als Redner auf dem Campus, die ihre Vorstellungen hinterfragen, auszuladen, gegen sie zu protestieren oder sie niederzuschreien. Wenn der einheitliche Lehrplan klassische Rhetorik enthalten würde, wären sie in der Lage, sich logisch mit Rednern auseinanderzusetzen, die unterschiedliche Standpunkte vertreten – und selbst zu erkennen, ob der Redner ein Sophist oder ein Sokrates oder etwas dazwischen war.

Lektion 2: Kreative Wege finden, um unterschiedliche Meinungen zu fördern

Zeit seines Lebens hatte Madison großes Vertrauen in die Macht der freien Presse, um das Übel der „Fake News“, wie wir sie heute nennen, zu beseitigen.

Dennoch war Madison nicht naiv. Er war sich bewusst, dass „die einseitigen Berichte, die in bestimmten Zeitaltern vorherrschen“, eine „Täuschung“ in den Köpfen der Menschen hervorrufen, die nur Perspektiven vorfinden, die ihre eigene Meinung bestätigen. Sein skurriler Lösungsvorschlag war, die zwei Seiten jedes Zeitungsblatts von gegnerischen Parteien bedrucken zu lassen. Auf diese Weise würden die Leser beide Standpunkte kennenlernen, und „die Wahrheit hätte immer eine faire Chance“.

In Anbetracht der Engstirnigkeit und des bösen Umgangstons in der heutigen Medienlandschaft muss Madisons Vorschlag vielleicht noch verfeinert werden. Gegenwärtig schreiben beide Seiten in der politischen Debatte so polarisierend, dass ein Medienkonsum, der das Anhören der überhitzten Polemik der anderen Seite einschließt, wahrscheinlich niemanden mäßigen oder seinen Horizont erweitern würde. Studien zufolge kann dieser Versuch das Gegenteil bewirken.

Weitaus konstruktiver wären Beiträge oder Veranstaltungen, die eine höfliche Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Seiten fördern. Anstatt die Redefreiheit an Hochschulen zu fördern, indem die polarisierendsten oder sogar aufrührerischsten Redner eingeladen werden, sollten die Universitäten mehr überparteiliche Debatten anregen.

Lektion 3: Kontakte mit (politischen) Feinden knüpfen

In den Anfängen der Republik lebten die Mitglieder der verschiedenen Parteien in getrennten Pensionen und trafen sich nur selten außerhalb der politischen Kämpfe.

Madisons Regierung sorgte für einen gesellschaftlichen Wandel in der Hauptstadt der Nation, der vielleicht eher der temperamentvollen und charmanten Ehefrau des Präsidenten zu verdanken war. Dolley Madison führte regelmäßige „Salonabende“ am Mittwoch im Weißen Haus ein, zu denen jeder eingeladen war. Ihre überparteilichen Partys wurden so beliebt, dass sie als „Squeezes“ – Gedränge – bezeichnet wurden. 

Natürlich verschwand der parteipolitische Groll nicht auf magische Weise bei Kaffee und Kuchen, aber er wurde abgemildert. Man kann mit einem Tischnachbarn vehement streiten, aber es wird schwieriger, ihn zu verteufeln.

Anekdotische Belege deuten heute darauf hin, dass Politiker in Washington zu den schlimmsten Tendenzen der frühen Republik zurückgekehrt sind: Sie verkehren nur noch selten mit Mitgliedern der anderen Partei. Wenn sie sich Dolley Madisons überparteiliche gesellschaftlichen Tugenden zum Vorbild nähmen, würde das dem Land sehr zugutekommen.

Lektion 4: Politische Meinungsverschiedenheiten niemals persönlich werden lassen

Zu Madisons Zeiten war es eine Selbstverständlichkeit, dass Ehrenmänner ihre Gegner nicht persönlich verunglimpften. Diese Regel wurde natürlich nicht überall befolgt – die Zeitungen der damaligen Zeit waren berüchtigt für ihre bissigen Verhöhnungen von Personen. Anders als die Skandalmacher neigte die herrschende Elite jedoch dazu, an sich selbst einen höheren Maßstab anzulegen.

In seinen öffentlichen Reden konnte Madison seine politische Partei nachdrücklich vertreten, aber er ließ seine Kritik nie persönlich werden. Gegen Ende seines Lebens wurde Madison sogar noch behutsamer: Er verschwieg aktiv die Fehler, die er bei anderen sah. 

Dolley erklärte seine redaktionelle Praxis bei der Vorbereitung seiner privaten Schriftstücke für die Veröffentlichung: „Er bat mich, sie durchzulesen, und wenn mir irgendein Buchstabe, eine Zeile oder ein Wort auffiel, die die Gefühle von irgendjemandem verletzte oder an sich falsch war, sollte ich sie streichen“.

Madisons aktives Vermeiden aller persönlichen Beleidigungen, selbst bei politischen Meinungsverschiedenheiten, ist ein Verhaltensstandard, der dem heutigen politischen Diskurs leider fremd ist. Doch Argumentum ad hominem – ein Argument, mit dem man den Charakter des Diskussionsgegners angreift, um dessen Argumentation zu untergraben – gehört nicht ohne Grund zu den logischen Fehlschlüssen: Er verbessert niemals unser politisches Verständnis, sondern vergiftet unweigerlich die politische Stimmung.

Die Tatsache, dass Madison bissige Bemerkungen aus seiner früheren Korrespondenz entfernen musste, zeigt jedoch, dass er nicht immer seinen höchsten Anforderungen genügte. Und das führt uns zur allerwichtigsten Lektion.

Lektion 5: Reue

Als Madison älter wurde, bedauerte er schließlich einige seiner jugendlichen Exzesse. Vor allem wenn der jüngere Madison privat oder anonym schrieb, neigte er manchmal dazu, seinen politischen Gegnern böswillige Absichten zu unterstellen.

Später beschrieb Madison, dass er sich dessen bewusst wurde und seine früheren Worte bedauerte. Dennoch bereute er nicht die Standpunkte, die er verteidigt hatte: „Die Wut im Flugblatt wird, wenn auch nicht entschuldigt, durch die Aufregungen der Zeit erklärt“, schrieb Madison über seine Veröffentlichungen aus den 1790er-Jahren.

Eines der größten Probleme einer Zeit der übermäßigen Parteilichkeit besteht darin, dass sie Aufregungen hervorruft, die selbst fähige und wohlmeinende Menschen zu einem Fehlverhalten verleiten, das sie in einer besseren Zeit vielleicht nicht zeigen würden. Madison hatte recht: Es gibt keine Entschuldigung für solch boshaftes Verhalten. 

Letztendlich sind Reue, Bedauern und der Vorsatz, es in Zukunft besser zu machen, die einzige Lösung. Solange unsere politischen und gedanklichen Führer sich diese Lektion nicht zu eigen machen und ihren eigenen Beitrag zum heutigen giftigen politischen Klima nicht überdenken, gibt es keine Hoffnung auf Besserung.

Es steht viel auf dem Spiel, denn der sicherste und endgültige Weg zur Lösung der Polarisierung ist ein bewaffneter Konflikt. Die Ära der größten übermäßigen Parteilichkeit in unserer Geschichte waren nicht die 1790er-Jahre, sondern die 1850er-Jahre, die mit dem Bürgerkrieg endeten. Jeder Bürgerkrieg ist nichts anderes als eine aus dem Ruder gelaufene Parteilichkeit.

Lynn Uzzell lehrt amerikanische Politik und Rhetorik an der „University of Virginia“ und der „Washington and Lee University“. Vier Jahre lang war sie außerdem Stipendiatin am „Center for the Constitution“ in Montpelier, dem Landsitz von James Madisons. Ihre Schwerpunkte sind die verfassunggebende Versammlung von 1787 und das politische Denken von James Madison.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: Madison’s 5 Lessons for Overcoming Polarization (deutsche Bearbeitung von as)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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