Hubertus Knabe: Mietenstopp und Enteignungen sind schon einmal gescheitert
Deutschlands berühmteste Hausbesetzerin residiert im Bundeskanzleramt. Sie trägt keine schwarzen Kapuzenpullis, sondern farbige Blazer. Denn die Frau, die 1981 mit einer Bohrmaschine die Tür einer leer stehenden Wohnung in Berlin aufbrach, heißt – Angela Merkel.
Die von ihr in Beschlag genommene Wohnung in der Templiner Straße 10 gehörte zum Bestand der Ost-Berliner Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV), einem der Volkseigenen Betriebe, denen über 40 Prozent des Wohnraums in der DDR gehörte. Da die KWV mehrere Hunderttausend Wohnungen betreute, bekam sie oft nicht mit, wenn ein Mieter auszog. Vor allem junge Leute, die von der Wohnungsnot im Sozialismus besonders betroffen waren, besetzten deshalb in den größeren Städten leer stehende Wohnungen, wie der Historiker Udo Grashoff in seinem Buch „Schwarzwohnen in der DDR“ beschreibt.
Die Wohnungspolitik der DDR, die dieses Phänomen hervorbrachte, erlebt derzeit eine Art Wiederauferstehung. Maßgebliche Politiker sind der Meinung, dass zwei ihrer zentralen Elemente – Mietenstopp und Enteignungen – helfen könnten, den Anstieg der Mieten zu bremsen. Im Juni beschloss der Berliner Senat, die Mieten in der Hauptstadt für fünf Jahre einzufrieren. Die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher – seit 1981 Mitglied der SED/PDS/DIE LINKE – wurde beauftragt, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Ein Ende August bekannt gewordenes Papier aus ihrem Haus sieht vor, die Mieten nicht nur einzufrieren, sondern radikal abzusenken – auf monatliche Quadratmeterpreise zwischen 3,42 und 7,97 Euro. Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und die Oppositionsparteien schlagen Alarm, weil sie das Ende von Neubau und Instandhaltung befürchten. Da die „Mieten-Sense“ unabhängig von der Lage der Wohnung gelten soll, würden zudem die Bewohner innerstädtischer Luxuswohnungen am meisten profitieren.
Mit Unterstützung der Linkspartei wurde Anfang Juli auch die erste Hürde für ein Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ genommen. Dieses sieht vor, private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu enteignen und deutlich unter Marktwert zu entschädigen. Betroffen wären mindestens 243.000 Wohnungen zehn großer Vermieter. Die Kosten für den Steuerzahler sollen bis zu 36 Milliarden Euro betragen. Auch auf Bundesebene gelten Enteignungen bei SPD und Grünen seit einiger Zeit als probates Mittel gegen Wohnungsmangel. So erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), Enteignungen seien ein möglicher Weg, Menschen zu einer Wohnung zu verhelfen. In ähnlicher Weise äußerte sich auch Grünen-Chef Robert Habeck. Es gibt also Anlass genug zurückzublicken, wozu staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt in der Vergangenheit geführt haben – zum Beispiel in der DDR.
Frühe Enteignungen
Die Vorstellung, man könnte das Problem hoher Mieten durch Enteignungen aus der Welt schaffen, findet sich schon in Friedrich Engels Schrift „Zur Wohnungsfrage“. Der Vordenker des Kommunismus meinte zwar, dass die Wohnungsnot erst dann beendet werden könnte, wenn Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse überhaupt beseitigt wären. Als Sofortmaßnahme empfahl er jedoch die „Expropriation“ und „Bequartierung“ der Wohnungen der besitzenden Klassen, sobald das Proletariat die Macht erobert hat.
Als dieser Fall in Ostdeutschland 1945 eintrat, hielt sich die Partei der Arbeiterklasse an Engels‘ Ratschläge. Im Zuge der sogenannten Bodenreform verloren über 7000 Gutsbesitzer nicht nur ihr Land, sondern auch Haus und Hof samt Inventar. Die weniger bekannte Industriereform führte zur ebenso vollständigen und entschädigungslosen Enteignung der 10.000 wichtigsten Industrieunternehmen, einschließlich der Wohnungen ihrer Besitzer. Beschlagnahmt wurden damals überdies mehr als eine halbe Million Wohnungen angeblicher ehemaliger NSDAP-Mitglieder. Die überfallartigen Räumungen erfolgten oft völlig ungerechtfertigt, nur weil ein Dritter eine Bleibe suchte.
Auf eine vollständige Enteignung des Wohnungsbestandes verzichteten die deutschen Kommunisten allerdings. Sie war auch nicht nötig, weil die Alliierten 1946 mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 18 alle Wohnungen unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt hatten. Für die Instandhaltung blieb zwar weiterhin der Eigentümer verantwortlich, doch nur das Wohnungsamt durfte darüber entscheiden, wer wo einzog. Während in Westdeutschland diese Entmündigung von Mietern und Vermietern, die auf eine Regelung der Nationalsozialisten zurückging, nach und nach abgebaut wurde, bestand sie in der DDR bis zuletzt fort. Die mehrfach novellierte Verordnung über die Lenkung des Wohnraums bedeutete nichts anderes als eine Enteignung auf kaltem Wege.
Folgen des Mietendeckels
Zur Wohnungszwangswirtschaft in der DDR gehörte auch die Mietpreisbindung – die ebenfalls auf das NS-Regime zurückging. Am 20. April 1936 hatte die Reichsregierung angeordnet, die Mieten in Deutschland einzufrieren. Hitlers Mietendeckel blieb auch unter den Alliierten in Kraft und wurde durch die Preisanordnung Nr. 415 vom 6. Mai 1955 schließlich zu DDR-Recht. Doch während die Nationalsozialisten auch alle anderen Preise einfroren, wurden in der DDR Löhne und Preise wiederholt neu festgesetzt. DDR-Bürger mussten deshalb im Laufe der Zeit einen immer geringeren Teil ihres Nettoeinkommens für Wohnzwecke aufwenden (1989 rund drei Prozent). Ähnliches galt für die Mietnebenkosten. Gleichzeitig nahmen die Kosten jedoch beständig zu, so dass das jährliche Mietaufkommen 1989 nur noch ein Viertel der staatlichen Ausgaben deckte.
Die auseinanderklaffende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben machte es erforderlich, die Wohnungswirtschaft in der DDR immer stärker zu bezuschussen. Mit 16 Milliarden Mark lagen die Subventionen 1988 bereits mehr als fünfmal so hoch wie 1970. Die Deckungslücke musste durch immer höhere Kredite der DDR-Staatsbank geschlossen werden. Trotz eines großzügigen Schuldenerlasses im Jahr 1993 lasten dadurch bis heute riesige Altschulden auf den kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften im Osten. Allein in Mecklenburg-Vorpommern betragen diese derzeit rund 520 Millionen Euro.
Die privaten Wohnungsbesitzer konnten indes nicht so einfach ihre Kosten auf künftige Generationen verlagern. Um ihre Häuser instandzuhalten, fehlte ihnen nicht nur das Geld, sondern auch der Zugang zu Baumaterial und Handwerkern. Denn in der Planwirtschaft befand allein die SED darüber, wo investiert wurde. Der Altbaubestand in der DDR war deshalb einem immer stärkeren Verfall ausgesetzt. Klein- und Mittelstädte waren besonders betroffen, aber auch in Leipzig bestanden ganze Straßenzüge zum großen Teil aus Ruinen. Nach staatlichen Erhebungen waren 1989 40 Prozent der Mehrfamilienhäuser in der DDR schwer geschädigt und elf Prozent sogar gänzlich unbewohnbar. Dabei waren bereits 1,3 Millionen verfallene Wohnungen abgerissen worden – wodurch, wie ein ZK-Papier vorrechnete, mehr Schutt entstand als durch den Zweiten Weltkrieg. Unter diesen Bedingungen schenkten viele Wohnungsbesitzer in der DDR ihre Häuser lieber dem Staat.
Als Folge und Ziel staatlicher Wohnungspolitik in der DDR schrumpfte der Anteil privater Wohnungen am Wohnungsbestand in 40 Jahren von 92 auf 41 Prozent. Dass er in Ost-Berlin 1989 mit 23,8 Prozent noch niedriger lag, war vor allem eine Folge des staatlichen Wohnungsbaus, der sich zum Leidwesen der Bezirke zu einem erheblichen Teil auf die Hauptstadt der DDR konzentrierte. Die ständig wachsende Staatsquote beim Wohnraum führte allerdings keineswegs zu einem Ende des Wohnungsmangels in der DDR – trotz mehrfacher Ankündigung durch die politische Führung.
Großspurige Versprechungen
Schon 1959 hatte SED-Chef Walter Ulbricht großspurig versprochen, dass „die seit Jahrhunderten bestehende Wohnungsnot“ mit Hilfe des neuen Siebenjahresplans in der DDR erstmals in einem Teil Deutschlands beseitigt werde. Durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität wollte die SED-Führung die Bundesrepublik auch beim Pro-Kopf-Verbrauch einholen und sogar überholen. Doch der Wohnungsneubau in der DDR blieb um mehr als ein Viertel hinter den Planvorgaben zurück – obwohl die SED die durchschnittliche Wohnungsgröße bald von 55 auf 50 Quadratmeter absenkte und nur noch Fünf-Geschosser ohne Lift mit einer Straßenfront von mindestens 100 Metern zuließ. Wie Hannsjörg F. Buck in seinem aufschlussreichen Buch über die Wohnungspolitik der DDR schildert, musste der unrealistische Plan 1963 vorzeitig abgebrochen werden.
Welche Folgen es haben kann, wenn ideologische Prämissen die Politik bestimmen, zeigte sich auch an einem anderen Punkt: Da getreu der Marxschen Lehre der Boden keinen Wert hat, weil er nicht das Ergebnis von Arbeit ist, wurde er bis Mitte der 1960-er Jahre bei Bauvorhaben kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies führte nicht nur zur Verschwendung großer landwirtschaftlicher Nutzflächen, sondern zog auch enorme Erschließungskosten nach sich, weil es sich für die Betriebe am Stadtrand leichter bauen ließ. Als Illusion stellte sich ebenso Ulbrichts Vorstellung heraus, Nahrungsaufnahme, Wäschewaschen und Kinderaufzucht würden in den sozialistischen Neubauvierteln nur noch gemeinschaftlich erfolgen – es fehlte schlichtweg an entsprechenden Versorgungseinrichtungen.
Auch Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker kündigte 1973 an, die Wohnungsfrage bis 1990 zu lösen. Zu diesem Zweck setzte die SED auf noch größere industriell vorgefertigte Wohngebiete am Stadtrand, die im Volksmund als „Arbeiterschließfächer“ bezeichnet wurden. Wegen häufiger Probleme bei den Produktionsabläufen ging deren Bau allerdings auch nicht schneller voran als bei der herkömmlichen Bauweise. Außerdem entstanden erhebliche Folgekosten für die neu zu schaffende Infrastruktur wie Straßen, Versorgungsleitungen und Abwasserkanäle. Obwohl die SED erneut Wohnungsgrößen und Ausstattung reduzieren ließ, verfehlte sie auch dieses Mal die Planvorgaben. Um ihr Scheitern zu vertuschen, ließ sie die Statistik manipulieren und zählte selbst Plätze in Alters- und Arbeiterwohnheimen als „Wohneinheit“.
Zwar wurden in der Honecker-Ära netto gut 2,1 Millionen Wohnungen neu errichtet. Doch wegen der Vernachlässigung des Altbaubestandes gingen im selben Zeitraum zugleich 1,1 Millionen Wohnungen verloren. Auch nach 40 Jahren Sozialismus hatten die staatlichen Eingriffe deshalb nicht die Wohnungsfrage gelöst. Im Gegenteil: Mit nahezu 800.000 geprüften Anträgen auf umgehende Zuweisung einer Wohnung lag die Zahl der Wohnungssuchenden Ende 1989 sogar höher als 1950. Denn nur wenige DDR-Bürger konnten das Problem so lösen wie einst Angela Merkel.
Der Autor Dr. Hubertus Knabe, Historiker, war von 2001 bis 2019 Leiter der Stasi-Gedenkstätten Stiftung Berlin-Hohenschönhausen. Diese symbolisiert wie kaum ein anderer Ort die politische Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR. Seine Website www.hubertus-knabe.de
Dieser Artikel wurde in gekürzter Fassung zuerst veröffentlicht in der FAZ unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/enteignung-und-mietentsopp-die-ddr-ist-kein-vorbild-16311891.html
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