Heimspiel für Kühnert bei „Anne Will“: Kapitalismus und Klimarealismus haben keine Lobby
Die Zusammensetzung, der Verlauf und die mediale Aufbereitung der Fernsehdebatte am gestrigen Sonntagabend (5.5.) bei „Anne Will“ geben einen Eindruck davon, warum bestimmte Entscheidungsprozesse in Deutschland so verlaufen, wie sie verlaufen – und warum sich Politiker wie Kevin Kühnert ermutigt fühlen, als vermeintliche Schrittmacher durch immer radikalere Forderungen und Aussagen den Takt vorzugeben.
Tragende Themen waren der „Klimaschutz“ und die bis weit in die CDU hinein unterstützte CO2-Steuer – und keiner der Gäste stellt, wenn schon nicht den Narrativ von der „menschengemachten Erderwärmung“ selbst, so zumindest irgendwelche apokalyptischen Szenarien infrage, die sich um diese ranken, oder inwieweit Deutschlands Emissionen real überhaupt ins Gewicht fielen.
Immerhin war mit Ioannis Sakkaros der Wortführer der Stuttgarter Proteste gegen Dieselfahrverbote im Studio zu Gast und konnte darlegen, warum er den Schwüren nicht traue, wonach die CO2-Steuer etwas Positiveres bewirken solle als bereits bestehende Öko-Abgaben – und dass er den Ankündigungen, die Ärmeren würden von den zusätzlichen Kosten entlastet, keinen Glauben schenke.
Grünen-Sprecherin Annalena Baerbock versicherte ihm, sie könne seinen Frust verstehen – um ihm prompt zu versichern, dass nicht die Belastungen, die Deutschlands ökologistisch motivierte Gesellschaftsexperimente für Menschen wie ihn nach sich ziehen, das tatsächliche Problem wären, sondern die „Klimakrise“ und dass die „Konzerne“ immer noch nicht genug dazu beitrügen.
Es war wieder nicht der richtige Sozialismus
Zudem reiche eine CO2-Steuer nicht aus, sondern man brauche auch ein „Kohleausstiegsgesetz“ und den „Abbau fossiler Subventionen“. Im Kern also eine Argumentation, als würde man jemandem, der in einem dunklen Raum eingeschlossen ist und danach verlangt, man möge ihm endlich die Tür öffnen, erklären, wie schlecht heutzutage die Schlüsseldienste arbeiteten und dass es eigentlich, wenn er ohne Licht dort drin ohnehin nichts anfangen könne, auch noch sinnvoll wäre, in seinem Raum die Heizung und die Luftzufuhr zu drosseln.
Auch Sozialismus-Apologet Kevin Kühnert und Regierungsberaterin Maja Göpel bevorzugten es, bewusst an jedwedem Einwand gegen ihre Forderungen nach radikalen Maßnahmen – die sie auch selbst als solche bezeichneten, zumal sie diese für notwendig hielten – vorbeizureden.
Dabei waren es nicht einmal viele Einwände, die kamen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gab eindeutig zu erkennen, dass er weder Maßnahmen wie den Atom- oder Kohleausstieg noch die „Klimaschutz“-Doktrin selbst infrage stellen würde, er warnte lediglich davor, durch ein zu rücksichtsloses Vorpreschen und die CO2-Steuer den breiten Konsens für das Thema zu gefährden.
Auch kritisierte er Kühnert für dessen Enteignungs-Fantasien und dessen allzu unverblümte Missachtung des Rechts auf Eigentum, wobei er darauf hinwies, dass er 15 Jahre lang selbst Sozialismus erlebt habe und dieser eine „furchtbare“ Staatsform sei – worauf Kühnert entgegnete, Kretschmer habe „die DDR erlebt, aber nicht den Sozialismus“.
Sternstunde gelungenen Gaslighting
Die Ideologen in der Sendung haben leichtes Spiel: Die per Gaslighting behauptete Wucht des angeblichen Problemdrucks – zum einen der vermeintlich bevorstehenden Katastrophe durch das „Klima, das nicht mit sich verhandeln lässt“, zum anderen des „Kapitalismus“ und der Marktmechanismen, die „zu tief in unsere Gesellschaft eingedrungen“ seien – überrollt alle Appelle an politische Vernunft und Augenmaß.
„Was die Menschen aufbringt, sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben“, wirft Kühnert in den Raum – und spricht von einem Land, das immerhin noch weltweit unter den Top 20 beim Durchschnittseinkommen rangiert und dessen Umweltbilanz sich nicht zuletzt seit dem Ende des letzten planwirtschaftlichen Experiments deutlich verbessert hat.
Und was sind auch schon ein paar tausend Arbeitsplätze oder der finanzielle Spielraum einer Mittelschichtfamilie gegen die alles vernichtende Apokalypse, die erstmals im Jahr 1989 für das Jahr 2000 prophezeit worden war und uns aktuell in zehn Jahren ins Haus stehen soll?
„Wenn der Markt so toll funktionieren würde, dann hätten wir längst die nötige Technologie, dann hätten wir längst die tollen Autos, dann hätten wir Bahnstrecken, auf denen wir gerne länger unterwegs sind“, polterte Kühnert und das Studio tobte. Die Gegenfrage, welche staatliche Planungsbehörde einst den Katalysator oder die ersten Luftfilteranlagen für die Industrie erfunden habe, blieb aus.
Steingart als Kühnert-Versteher
Einen unerwarteten Verbündeten hat Kühnert auch im Publizisten und Medienmanager Gabor Steingart gefunden, der diesem in seinem Morning Briefing zwar „vulgäre Kollektivierungsfantasien“ attestierte, aber auch die Wall Street mit der DDR-Bonzensiedlung Wandlitz verglich.
„Risiko und Verantwortung haben die globalen Finanzeliten – ähnlich wie die Führer in Pjöngjang, Havanna und Ost-Berlin – für sich persönlich entkoppelt“, schreibt Steingart. „Die Champagner-Gläser blieben auch dann gefüllt, als die Weltwirtschaft 2008 in die Große Depression abstürzte. Es kam zur Umkehr der Verhältnisse: Die Kleinen retteten die Großen, wofür sich diese – als der Spuk vorbei war – natürlich nicht revanchierten.“
Dass staatliche Interventionen in die Kreditvergabe und eine verfehlte Zentralbankpolitik die Hypothekenkrise in den USA erst hervorgerufen hatten und die staatliche Rettungspolitik für Banken und Großkonzerne gerade das Gegenteil von marktwirtschaftlichem Vorgehen war, blieb unerwähnt.
„Der Mittelweg einer sozialen Marktwirtschaft, den Ludwig Erhard uns gewiesen hat, wirkt zuweilen wie verschüttet“, meint Steingart weiter. „Außerhalb der deutschen Landesgrenze verliert er sich im Nirwana. So gesehen funktioniert Kevin Kühnert wie ein Spürhund im Erdbebengebiet. Er rettet nicht, aber er schlägt an. Er kennt nicht die Lösung, aber er weist uns darauf hin, dass tief in der Gesellschaft ein sehnsüchtiges Herz schlägt.“
Offenbar handelt es sich dabei um die Sehnsucht, wieder Teil eines großen Projekts, einer großen Gemeinschaftsidee zu sein, in der der Einzelne seine Individualität abstreifen kann und von der Last der Eigenverantwortung befreit wird, die Freiheit mit sich bringt. Ob der Verzicht auf die grundsätzliche Hinterfragung solcher Ideen oder ein kleinlautes „Ja, aber“ ein tauglicher Weg ist, den potenziell toxischen Fallout solcher „großen Projekte“ abzufedern, bleibt offen.
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