Wahlkampf in Brasilien: Abgeordnete wandern aus linkem Lager ab

In Brasilien wird am 2. Oktober gewählt. Der Wahlkampf zwischen dem „Donald Trump Brasiliens“ und dem Sozialisten Lula da Silva hat viele Facetten.
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Jair Bolsonaro.Foto: SERGIO LIMA/AFP via Getty Images
Von 22. Mai 2022

Brasilien wählt im Oktober einen neuen Präsidenten, der Wahlkampf zwischen dem amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro und dem ehemaligen linken Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva hat begonnen.

Beide Kandidaten sind dem Volk bekannt, beide haben schon jeweils eine Regierungszeit amtiert. Was von ihnen zu erwarten ist, ist klar. Die Wahl steht – wie in vielen anderen Ländern – im Licht des Kampfes zwischen Konservativen und Linken.

Weichgespülte Emotionen – Kampagne der Linken

Am 7. Mai verkündete Lula da Silva (Arbeiterpartei PT, Partido dos Trabalhadores) auf einer Großveranstaltung in São Paulo seine Kandidatur. Er tritt gemeinsam mit Geraldo Alckmin an, einem ehemaligen Gouverneur des Bundesstaates São Paulo. Alckmin ist ein liberaler Politiker und früherer Rivale Lulas. Er steht der Brasilianischen Sozialistischen Partei (PSB) nahe. Es wird vermutet, dass er Wählerstimmen der politischen Mitte und der Wirtschaft für Lula da Silva gewinnen soll. Sowohl in linken als auch in konservativen Kreisen ist diese Strategie umstritten.

Wofür steht Lula da Silva? Der 76-jährige sozialistische Staatschef regierte Brasilien von 2003 bis 2011. Wegen der 2014 aufgedeckten Lava Jato-Korruptionsaffäre – dem größten Korruptionsfall der brasilianischen Geschichte rund um den staatlichen Ölkonzern Petrobras – und Geldwäsche wurde er 2018 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Lula da Silva setzt auf linke Ideale, eine neue zentrale lateinamerikanische Währung mit dem Namen „Sur“, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung des Mindestlohns. Kritik übt er an der Privatisierung verschiedener Wirtschaftsbereiche, er fordert Verstaatlichungen.

Der linke Kandidat will mit einer ähnlichen „Lulinha, paz e amor“-Kampagne wie bei früheren Wahlen erfolgreich sein. Geprägt hat diese Strategie vor Jahren der Kommunikationsguru der lateinamerikanischen Linken, João Santana. Der „Tagesspiegel“ charakterisierte diese Form als „Friede-Freude-Eierkuchen“-Kampagne. Gesetzt wird auf weichgespülte Emotionen und Harmonie statt sozialistischen Programm und deutlichem Klassenkampf. 2002 war diese Harmonie suggerierende Welt für Lula da Silva erfolgreich und führte ihn zum Präsidentenamt.

Auf dem Wahlkongress der Partei „Sozialismus und Freiheit“ klangen die Worte Lula da Silvas typischerweise so: „Ich bin mir sicher, dass wir die größte friedliche Revolution machen können, die die Welt je gesehen hat.“ Sein Wahlkampf stehe „im Zeichen der Liebe, des Miteinanders und der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit für ein glückliches, stabiles und tolerantes Brasilien.“

Konservative gewinnen Abgeordnete hinzu

Auch der aktuelle konservative Präsident Jair Bolsonaro (Liberale Partei, PL) hat sich für eine zweite Amtszeit beworben. Für das Amt des Vizepräsidenten bevorzugt er den früheren Verteidigungsminister und General Walter Souza Braga Netto statt den Amtsinhaber Hamilton Mourão.

Bolsonaro, der die Wahl 2018 gewann, verfolgt einen Anti-Korruptions- und Anti-Establishment-Kurs. Im Bereich von Fiskal- und Sozialpolitik kündigte er Reformen an. Die Agrarlobby, das bürgerliche Lager, Militärangehörige und christlich geprägte Menschen tendierten zu ihm. Im Laufe seiner Amtszeit konnte er nicht alle Reformen durchsetzen. Er verlor seit 2018 mehr als zwanzig Prozentpunkte der damaligen 55 Prozent der Wählerstimmen.

Aktuell verschiebt sich im Land die Kräfteverteilung eher untergründig zugunsten des bürgerlichen und konservativen Lagers. Ein offeneres Zeichen dafür ist das Abwandern der Abgeordneten im Parlament.

Die liberale Partei Bolsonaros gewann 33 neue Abgeordnete hinzu. Mit 75 Parlamentariern ist sie nun die stärkste Fraktion im Parlament. Lula da Silvas Arbeiterpartei (PT) ist mit 56 Abgeordneten nur noch zweitstärkste Partei. Weitere 50 Abgeordnete stellen die Progressistas, weitere 45 die Republikaner.

In Brasilien ist es Abgeordneten sechs bis sieben Monate vor einer Wahl möglich, einer anderen Partei beizutreten, ohne das laufende Mandat zu verlieren. Von dieser Möglichkeit machten zwischen März und April dieses Jahres insgesamt 132 Abgeordnete Gebrauch.

Die weniger starken konservativ-liberalen und sozialdemokratischen Parteien PSDB, União Brasil, Cidadania und Movimento Democrático Brasileiro wollten sich Anfang 2022 auf einen einzigen Gegenkandidaten einigen. Das gemeinsame Projekt kam nicht zustande. Ein dritter Kandidat ist derzeit unwahrscheinlich.

Die Lage im Land

Den Menschen im Land macht vor allem die Arbeitslosigkeit und Inflation zu schaffen. 2018 war Korruption das alles beherrschende Thema, 2022 sind es die Folgen von COVID-19. 

Ein Erfolg Bolsonaros ist die stark gesunkene Mordrate. Von 1985 (dem ersten Jahr einer Zivilregierung) bis 2018 stieg die Zahl der ermordeten Brasilianer unter den linken Regierungen um 257 Prozent.

Nachdem Bolsonaro Präsident wurde, begann die Mordrate drastisch zu sinken. Im ersten Jahr seiner Präsidentschaft sank sie im Januar und Februar 2019 um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch bei anderen Straftaten wurden Verbesserungen festgestellt: Vergewaltigungen, Fahrzeugdiebstähle, schwere Körperverletzungen und bewaffnete Raubüberfälle gingen stark zurück.

Bolsonaro selbst wurde 2018 während des damaligen Wahlkampfes Opfer eines Gewaltverbrechens. Während einer öffentlichen Kundgebung in der Stadt Juiz de Fora wurde er Opfer eines beinahe tödlichen Messerangriffs. Bei dem Angreifer handelte es sich um einen Linksextremisten, der Mitglied der PSOL (Partei des Sozialismus und der Freiheit) war, einer linksextremen Partei, die sich von der Arbeiterpartei des ehemaligen Staatschefs Lula abgespalten hatte. 

Abholzung des Regenwaldes ging um 72 Prozent zurück

Der amtierende Präsident beendete die korrupte linke Herrschaft im Land – was nicht nur Freunde macht. Nationale und internationale Mainstream-Medien stellen ihn oft als Bedrohung für die Umwelt und die Demokratie dar. 2019 wurde dem Konservativen das Narrativ von „beispiellosen Bränden im brasilianischen Regenwald“ in die Schuhe geschoben.

Befeuert wurde die Debatte um den brennenden Regenwald – was Bolsonaros Schuld sei – auch von Frankreichs Präsidenten Macron. Im August 2019 behauptete Macron, dass der Amazonas-Regenwald in Brasilien in einem noch nie da gewesenen Ausmaß brenne. Später wurde nachgewiesen, dass alles, was Macron gezeigt hat, begonnen bei dem auf seinem Twitter-Account geteilten Foto, falsch war. Schon das Bild stimme nicht, „man sieht keine Wälder, die so im Amazonas brennen“, stellte der Autor des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel, Dan Nepstad, fest. Nepstad ist einer der weltweit führenden Amazonas-Forstexperten.

Leonardo Coutinho, einer der führenden Umweltjournalisten Brasiliens, zitiert von „Forbes“, nannte die Berichterstattung in den Medien ebenfalls irreführend. „Es war unter Lula und Marina Silva (2003-2008), dass Brasilien die höchste Verbrennungsinzidenz hatte“ [Silva, damalige Umweltministerin]. Doch damals wurden „weder Lula noch Marina beschuldigt, den Amazonas gefährdet zu haben“.

Medien wie „Forbes“, CNN und „New York Times“ zogen sich später von diesem Medienhype zurück. CNN erklärte im August 2019: „Die Entwaldung ist weder neu noch auf eine Nation beschränkt“, die „New York Times“ berichtete: „Diese Brände wurden nicht durch den Klimawandel verursacht.“

In Wahrheit ging die Abholzung des Amazonas unter Bolsonaros Präsidentschaft um 72 Prozent zurück. Das bilanzierte Sergio Moreira Lima, Brasiliens Botschafter in Australien. Etwa 9,4 Millionen Hektar Urwald seien zudem vollständig regeneriert, auf weiteren zwei Millionen Hektar würden Wälder gepflanzt. 60 Prozent der brasilianischen Landschaft seien nach wie vor von einheimischer Vegetation bedeckt, geschützte Gebiete würden mehr als 25 Prozent der gesamten Landesfläche ausmachen. Zum Vergleich: In Deutschland gehörten Ende 2017 rund 6,3 Prozent der Fläche zu Naturschutzgebieten.

Gerichte „unglaublich politisiert“

Ein anderes brasilianisches Problem im Alltag der Menschen ist die Justiz. Der Rechtswissenschaftler Augusto Zimmermann untersuchte die Lage der Gerichte des Landes. Er beobachtet, dass sich einzelne Richter, darunter auch einige des Obersten Gerichtshof des Landes, „als über dem Gesetz stehend“ ansähen. Die Gerichte Brasiliens seien „unglaublich politisiert“. Zimmermann, Professor und Leiter des Fachbereichs Recht am Sheridan Institute of Higher Education in Perth, erklärt: 

„In Brasilien haben sich ehemalige Präsidenten, korrupte Politiker und eine zunehmend autokratische Justiz sowie notorisch voreingenommene Medien zusammengetan, um gegen einen demokratisch gewählten Führer zu kämpfen, der sich der international-sozialistischen Agenda widersetzt, die vom Weltwirtschaftsforum und der westlichen globalen Oligarchie gefördert wird.“

Ein Richter am Obersten Gerichtshof hob beispielsweise im März 2021 alle Urteile gegen den ehemaligen linken Präsidenten Lula de Silva auf. Internationale Schlagzeilen machte im April 2022 auch ein Urteil gegen den Kongressabgeordneten Daniel Silveira. Der Oberste Gerichtshof verurteile Silveira zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis – unter völliger Missachtung der parlamentarischen Immunität. 

Der frühere Polizist forderte in den sozialen Medien die Entlassung der Richter des Obersten Gerichtshofs, was mit Beleidigungen und Drohungen einherging. Einen Tag nach der Verurteilung begnadigte Bolsonaro den Abgeordneten „im Namen der Redefreiheit“.

Die Meinungsfreiheit wird durch das Oberste Wahlgericht eingeschränkt. Die eher links orientierte Institution hat vor der Präsidentschaftswahl Vereinbarungen mit sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube, WhatsApp, TikTok, Twitter und Telegram abgeschlossen. Auf diesem Weg will das Wahlgericht „Falschinformationen und Hetze“ unterbinden.

EU-Wahlbeobachter ausgeladen

Etwa 148 Millionen Wahlberechtigte sind in all diesen Schwierigkeiten zu den Wahlen am 2. Oktober aufgerufen. Ob die Wahlen mit dem vorhandenen elektronischen Wahlsystem fair ablaufen können, ist umstritten. Bolsonaro schlug nach den Erfahrungen der US-Wahl 2020 vor, die elektronischen Wahlurnen abzuschaffen und zu normalen Stimmzetteln zurückzukehren. Der Kongress lehnte den Vorschlag ab.

Europäische Wahlbeobachter wurden ausgeladen, wie die EU Anfang Mai bestätigte, das Oberste Wahlgericht Brasiliens zog seine Einladung zurück. Dahinter steht ein Einspruch Bolsonaro gegen das Vorgehen des Gerichts. Das Außenministerium begründete die Ausladung damit, dass Brasilien noch nie seine Wahlen von einer Organisation habe bewerten lassen, der das Land nicht angehöre. 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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