Neue Gerichtsperiode: Oberster US-Gerichtshof könnte den Verwaltungsstaat aufmischen

Drei Fälle auf der Tagesordnung des Supreme Courts in den USA könnten die US-Behörden empfindlich treffen. Bislang erlaubten Gesetzeslücken den Behörden, vieles in ihrem Sinne zu entscheiden. Das öffnete Tür und Tor für Missbrauch. Ein Kommentar.
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Der Oberste Gerichtshof der USA in Washington, D.C.Foto: Madalina Vasiliu/The Epoch Times
Von 2. September 2023

Das Hauptthema der kommenden Gerichtsperiode des Obersten US-Gerichtshofs wird das Verwaltungsrecht sein. Die Gesetze, Vorschriften und Urteile, die die Struktur und die Arbeit der Verwaltungsbehörden der Bundesregierung regeln, lagen lange im Verborgenen. In den letzten Jahren zogen einige Fälle besondere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. So wurde der Plan, die Rückzahlung der Studentendarlehen aufzuheben, zu Fall gebracht sowie das Vorhaben, das Stromnetz des Landes auf erneuerbaren Energiequellen umzustellen.

Nun stehen drei Fälle auf der Tagesordnung, die das Fundament des Verwaltungsstaates neu gestalten könnten. Sie könnten die Macht der nicht gewählten Bürokratie über die amerikanische Bevölkerung und die Wirtschaft einschränken: Die Fälle Loper Bright Enterprises vs. Raimondo, Securities Exchange Commission (SEC, US-Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde) vs. Jarkesy und Consumer Financial Protection Bureau (US-Büro für Verbraucherfinanzschutz) vs. Community Financial Services of America (Kommunale Finanzdienstleistungen von Amerika).

In allen drei Fällen geht es um die Ermessensfreiheit und Unabhängigkeit der Behörden. So einfach es auch klingen mag, Behörden sind dazu da, um zu agieren. Sie handeln nicht nach eigenem Willen, sondern setzen die Befehle des Kongresses um und unterstützen den Präsidenten bei seiner verfassungsmäßigen Pflicht, die Gesetze des Kongresses gewissenhaft auszuführen.

Um effektiv zu sein, braucht ein Beauftragter einen gewissen Spielraum, um die Befehle des Auftraggebers auszuführen. Doch je größer der Spielraum ist, desto größer ist auch die Gefahr, dass der Beauftragte seine eigene Agenda über die des Auftraggebers stellt. Je mehr die Behörden Gesetze uminterpretieren, um ihren eigenen politischen Einschätzungen Raum zu geben, desto mehr scheinen die Behörden wie Richter oder Abgeordnete zu handeln, obwohl sie nach der Verfassung keiner von beiden sind.

Loper Bright Enterprises vs. Raimondo

Loper Bright befasst sich mit einer Ursache für dieses Ermessensdilemma: der Chevron-Defensivität. Diese Doktrin ist nach einer Entscheidung von 1984 benannt. Sie verlangt von den Gerichten, dass sie sich bei Unklarheiten und Zweideutigkeiten in einem Gesetz der Interpretation der Behörde unterwerfen. In der Praxis ermöglicht die Chevron-Defensivlehre den Behörden, ihre Befugnisse häufig zu überschreiten. Sie nutzen vage Formulierungen oder zweifelhafte Lücken in einem Gesetz als Rechtfertigung für Maßnahmen ihrem Sinne, die der Kongress aber nie so beabsichtigt hat.

In der Rechtssache Loper Bright entdeckte die Nationale Seefischereibehörde eine solche zweifelhafte Lücke im Magnuson-Stevens-Gesetz. Eine bis dahin unbekannte Verordnung verlangte von kleinen Fischereifahrzeugen, dass sie für ihre vom Bund beauftragten Beobachter auf See, welche die Beschränkungen für Fangmethoden und -mengen durchsetzen, zahlen.

Um diese finanzielle Belastung zu vermeiden, argumentieren die Fischer, dass die Bürger durch die Chevron-Rechtsprechung den Launen der Regulierungsbehörden ausgeliefert seien. Die Behörden entzögen den Gerichten das Recht, das Gesetz zu deuten und dem Kongress die Befugnis Gesetze zu erlassen. Sie fordern daher, dass das Gericht Chevron aufhebt oder seine Anwendung drastisch einschränkt.

Schon bevor der Fall der Fischer den Obersten Gerichtshof erreichte, schien die Chevron-Rechtsprechung immer weniger Anwendung zu finden. Der Oberste Gerichtshof hatte trotz der ständigen Flut von verwaltungsrechtlichen Fällen seit über sechs Jahren nicht mehr nach Chevron entschieden.

Zunehmend beruft sich der Oberste Gerichtshof auf die Doktrin der „wichtigen Fragen“. Sie verlangt von den Behörden, Entscheidungen von erheblicher politischer und wirtschaftlicher Bedeutung vom Kongress autorisieren zu lassen. Dieses Verfahren ersetzt die Chevron-Rechtsprechung in den wichtigsten Kontroversen, wie zum Beispiel bei der Corona-Impfpflicht, dem Räumungsmoratorium während der Pandemie und (in geringerem Maße) dem Versuch der US-Regierung, die Rückzahlung von Studentendarlehen zu streichen.

Die unteren Bundesgerichte sind jedoch nach wie vor von der Chevron-Doktrin angetan und stellen in etwa 70 Prozent der Fälle Unklarheiten in den gesetzlichen Regelungen fest. Der Oberste Gerichtshof scheint bereit zu sein, den falschen Respekt vor den Behörden einzuschränken, aber es bleibt ungewiss, wie weit das Gericht in Loper Bright gehen wird.

US-Börsenaufsicht gegen Jarkesy

Loper Bright wird erhebliche Auswirkungen auf Bürger haben, die vor Gericht gegen Verwaltungsbehörden vorgehen. Aber es wird keine großen Auswirkungen haben, wenn die Bürger ihre Fälle nicht vor Gericht bringen können. Die Fälle, die vor Gericht landen, werden von den Behörden in erster Instanz selbst bearbeitet. Schließlich sind die sogenannten Verwaltungsrichter, die über die Fälle entscheiden, auch Mitarbeiter der Behörde und wiederum andere Mitarbeiter der Behörde entscheiden über Berufungen.

Der Fall Jarkesys könnte die Nutzung solcher internen Gerichte einschränken. Die US-Börsenaufsicht verdächtigte George Jarkesy Jr. und seinen Anlageberater, Betrug begangen zu haben, und erhob gegen sie vor einem ihrer Richter eine Vollstreckungsklage.

Die Beklagten argumentierten, dass das interne Gericht ihr Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren nach dem siebten Verfassungszusatz verletze. Dieses Recht gelte für „Klagen nach allgemeinem Recht“, zu denen Betrug gehört. Daher, so argumentieren die Beklagten, verbiete die Verfassung der Börsenaufsicht, ihren Fall vor ihr internes Gericht zu bringen.

Sie argumentierten außerdem, dass der Kongress der Behörde einen zu großen Ermessensspielraum bei der Entscheidung eingeräumt habe, ob ein Fall vor ein Gericht oder vor einen Verwaltungsrichter kommt. Nach einer selten durchgesetzten Verordnung (Non-Delegation-Doktrin) darf der Kongress einer Behörde keine Befugnisse übertragen, ohne ihr „verständliche“ Grenzen zu setzen. In diesem Fall, so argumentierten die Beklagten, hat der Kongress der Börsenaufsicht keinerlei Grenzen festgelegt, wohin sie ihre Vollstreckungsfälle schicken.

Sollten die Beklagten mit ihrer Klage nach dem siebten Verfassungszusatz Erfolg haben, müssten die Behörden mehr ihrer Fälle an Bundesgerichte verweisen. Dies würde wahrscheinlich nicht so viele Fälle betreffen. Es gibt nicht viele Klagen nach allgemeinem Recht. Die meisten Behörden bringen sie nicht vor. Aber in den Fällen, in denen dies der Fall ist, würde ein Sieg der Beklagten mit den Gerüchten um die Voreingenommenheit der Verwaltungsrichter aufräumen, die in 90 Prozent der Fälle zu Gunsten ihrer Arbeitgeber entscheiden.

Sollten die Beklagten gewinnen, wäre die Zukunft der Verwaltungsgerichte noch fraglicher. Wären neben der Börsenaufsicht auch andere Verwaltungsrichter der Behörde betroffen? Wäre der Einsatz von Verwaltungsrichtern innerhalb der Behörden tabu, bis der Kongress deren Statuten ändert? Wenn nicht, wann könnten die Behörden sie einsetzen? Dies sind alles Fragen, die beantwortet werden müssen.

Zusammen mit der Rechtssache Loper Bright, welche die Chevron-Dependenz einschränkt, wäre eine Entscheidung für Jarkesy, die den Einsatz von Verwaltungsrichtern einschränkt, ein doppelter Schlag für Behörden, die wie eigenständige Gesetzgeber und Gerichte handeln wollen.

Verbraucherfinanzschutz vs. Kommunale Finanzdienstleistungen von Amerika

Während die Behörden oft versuchen, eigenständige Regierungen zu etablieren, hilft ihnen der Kongress manchmal auf die Sprünge. Die Behörde für Verbraucherfinanzschutz (CFPB) ist das dramatischste Beispiel dafür. Als der Kongress die Behörde im Jahr 2010 gründete, tat er alles, um sicherzustellen, dass die CFPB nur sich selbst unterstellt ist.

Damit hat der Kongress einen ungewöhnlichen Finanzierungsmechanismus für die CFPB geschaffen. Während die meisten Behörden ihr Geld aus den Mitteln des Kongresses erhalten, kann die CFPB so viel Geld wie sie will (vorbehaltlich einer lockeren Obergrenze) direkt von der Federal Reserve erhalten.

Dies macht die CFPB auf einzigartige Weise immun gegen die Kontrolle durch den Kongress. Und wie die SEC verfügt die CFPB sowohl über Befugnisse zur Regelsetzung als auch zur Strafverfolgung, die leicht dazu genutzt werden können, die eigene Agenda der CFPB und nicht die des Kongresses voranzutreiben. In der Tat wurde die CFPB stark kritisiert, weil sie sich der Kontrolle des Kongresses entzogen hat.

Unternehmen, die der CFPB-Regelung für Zahltagskredite unterliegen, behaupten, dass der Finanzierungsmechanismus der Behörde gegen die Bewilligungsklausel der Verfassung verstößt. Laut dieser Klausel dürfen keine Gelder aus der Staatskasse entnommen werden, es sei denn, sie werden vom Kongress bewilligt. Die Kläger argumentieren, dass dieses Selbstfinanzierungsmodell der CFPB die Klausel nicht erfülle. Die CFPB sieht das anders. Sie argumentiert, dass die Regelung für das Finanzierungsmodell vom Kongress selbst geschaffen wurde.

Die Herausforderer haben das bessere Argument. Die Bewilligungsklausel ist ein unverzichtbares Bollwerk der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung, das der 111. Kongress bewusst zu umgehen suchte, als er die CFPB schuf.

Im Hintergrund dieser Debatte über die verfassungsrechtliche Bedeutung lauert jedoch die Debatte über die praktischen Folgen. Andere Behörden  – wie unter anderem die Federal Reserve – haben ähnliche, wenn auch nicht identische Finanzierungsmechanismen. Ein Urteil gegen die CFPB könnte folglich auch diese Behörden betreffen. Es sei denn, das Gericht kann eine rechtlich bedeutsamen Unterschied feststellen.

Wenn die CFPB verliert, wird alles, was die Behörde seit ihrer Gründung getan hat, verfassungsrechtlich angreifbar sein. Damit die CFPB weiterarbeiten kann, muss der Kongress eingreifen und die Behörde wieder an die Leine nehmen, die er eigentlich lösen wollte.

Diese drei Fälle erinnern uns daran, wie übermäßige richterliche Ehrerbietung in Verbindung mit der Trägheit des Kongresses einen allmächtigen Verwaltungsstaat hervorgebracht hat. Loper Bright gibt dem Gericht die Möglichkeit, seinen Fehler zu korrigieren. Die beiden anderen Fälle geben ihm die Gelegenheit, den Kongress wachzurütteln und zwar mit dem einzigen Mittel, das dies bewirken kann: einer richterlichen Ohrfeige.

Nachdruck mit Genehmigung von „The Daily Signal“, einer Veröffentlichung der Heritage Foundation.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „3 Supreme Court Cases Could Shake Up the Administrative State“ (deutsche Bearbeitung jw/nh)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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