Robert Habeck: Wunschkanzler der Deutschen oder nur einer lautstarken Minderheit?

Ist Grünen-Sprecher Robert Habeck, wie mehrere Meinungsforscher es darstellen, tatsächlich der beliebteste Politiker des Landes – oder nur die Regine Hildebrandt der westdeutschen Bildungsbürger? Demoskopen sprechen von einem Phänomen, das es zuvor nur bei der ostdeutschen Sozialpolitikerin gegeben hätte.
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Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Ist er tatsächlich so beliebt, wie die Forschungsgruppe Wahlen angibt?Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Von 25. April 2019

Glaubt man jüngsten Umfrageergebnissen, können die Grünen nicht nur bei den bevorstehenden Europawahlen mit einem Ergebnis von mehr als 20 Prozent rechnen. Zudem weisen mehrere Forschungsinstitute ihren Parteisprecher Robert Habeck als beliebtesten Politiker des Landes aus. Kein Wunder, dass erste Stimmen laut werden, die den Grünen anraten, mit Blick auf die Bundestagswahlen 2021 einen eigenen offiziellen Kanzlerkandidaten zu nominieren.

Und doch melden sich in sozialen Medien vielfach Nutzer zu Wort, die bekennen, in ihrem Bekanntenkreis niemanden zu kennen, der von sich sagen würde, die Grünen zu wählen oder sie überhaupt für wählbar zu halten. Auch Erfahrungen von mehreren Wahlen zeigen, dass die Grünen in Umfragen oft überschätzt werden und am Wahltag selbst deutlich schlechtere Ergebnisse erzielen als zuvor prognostiziert.

Tendenziell gegenteilig ist der Effekt bei der AfD, und bei vor ihr präsenten rechtsgerichteten Parteien war er noch stärker ausgeprägt: In diesem Fall liegen entweder die tatsächlichen Wahlergebnissen oft über den vorhergesagten oder es ist ein sprunghafter Anstieg der Umfrageresultate in den letzten Wochen vor den Wahlen zu verzeichnen. Ganz so, als ob die Institute versuchten, eine Stimmung abzubilden, die sich nicht in den erhobenen Rohdaten widerspiegelte, aber die man bemerkt und einzufangen versucht.

Schweigespirale wirkt in beide Richtungen

Elisabeth Noelle-Neumann hatte bereits in den 1970er Jahren mit ihrer Theorie von der Schweigespirale eine Erklärung für dieses Phänomen geliefert. Insbesondere in einer Zeit extremer Moralisierung des öffentlichen Diskurses scheuen Bürger davor zurück, sich offen zur vermeintlich „falschen“ Position zu bekennen. Die Angst vor sozialer Isolation wiege in diesem Fall schwerer als die Ehrlichkeit über die eigenen Überzeugungen. Dass die sozialen Medien zur Folge hatten, dass mehr Menschen in der Öffentlichkeit rechtsgerichtete Positionen offen und selbstbewusst vertreten, könnte zu einer Verringerung des „verschwiegenen“ Anteils beigesteuert haben.

Umso bekenntnisfreudiger waren und sind hingegen diejenigen, die auf der Seite des vermeintlich „Guten“ stehen. Ungeachtet sozialer und alternativer Medien sind immer noch die etablierten Massenmedien die entscheidende Instanz, die einen Eindruck darüber vermitteln, welche Meinungen die tatsächlich in der Öffentlichkeit vorherrschenden seien.

Der in Teilen der Bevölkerung verbreitete Eindruck, die Grünen und deren Themen wären in den etablierten Medien besonders stark präsent und aus Beiträgen spreche ein erhebliches Maß an Sympathie für die Lösungen, die diese Partei anbiete, wird durch mehrere Untersuchungen über die politischen Präferenzen von Journalisten gestützt. Eine aus jüngerer Zeit ist die Studie „Journalismus in Deutschland“, die eine deutliche Mehrheit links der Mitte unter deutschen Journalisten ausweist. Fazit: Wer sich öffentlich zu den Grünen bekennt, kann sich als im Einklang mit dem empfinden, was die dominanten Teile der Medienmeinung als richtig und geboten empfinden.

Wie geht man mit Befragten um, die einen Politiker nicht kennen?

Aber ist Robert Habeck deshalb wirklich der Wunschkanzler einer Mehrheit der Deutschen? Eine Umfrage von Kantar Public, auf die „Spiegel online“ Bezug nimmt, stellt dies in Abrede. Auch eine häufige Präsenz Habecks in Fernsehtalkshows konnte nichts daran ändern, dass der grüne Parteisprecher dort lediglich auf Platz 16 im Politikerranking liegt, sogar noch hinter Julia Klöckner oder Andrea Nahles.

Ist demnach in jenen Umfrageinstituten, die Habeck als beliebtesten Politiker des Landes ausweisen, der Geist des Claas Relotius eingekehrt und Mitarbeiter backen sich ihre Befragten selbst? Dem ist nicht so. Da die Demoskopie jedoch ihrem Wesen nach keine exakte Wissenschaft darstellt, müssen Umfrageinstitute ihre Rohdatenergebnisse auf Plausibilität prüfen, hochrechnen, interpretieren. Auch ihre Statistiker wissen um mögliche Unschärfen und Fehlerquellen. Immerhin kommt die Theorie von der Schweigespirale aus der Demoskopie selbst.

Wie die Forschungsgruppe Wahlen, von der die Datengrundlage für das ZDF-Politbarometer stammt, darauf kommt, dass Robert Habeck der beliebteste Politiker des Landes ist, ist leicht erklärt: Die Befragten stuften alle abgefragten Politiker auf einer Skala zwischen minus fünf und plus fünf ein, die Forscher addieren die Werte.

Liebling der „Politikkundigen“

Demnach ist Robert Habeck – je nach Betrachtungsweise – der Politiker im Land, der den Deutschen am meisten sympathisch oder zumindest am wenigsten unsympathisch ist. Das Problem am Ranking der Forschungsgruppe Wahlen: Nur 51 Prozent der Befragten kennen ihn überhaupt. Die Demoskopen gehen nun davon aus, dass sich unter den Befragten, auf die dies zutrifft, die Mehrheiten bezüglich Sympathie oder Antipathie ähnlich verteilen würden wie unter jenen, die ihn kennen.

Dass dies nicht unproblematisch ist, räumt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen selbst ein. Gegenüber dem „Spiegel“ erklärt er, dass Habeck unter den „Politikkundigen“ beliebter sei als unter den übrigen Befragten, die ihn kennen. Ein Phänomen wie Habeck, dass ein Politiker bundesweit wenig bekannt sei, aber unter jenen, die ihn kennen, überdurchschnittlich beliebt, habe es zuvor nur im Fall der brandenburgischen SPD-Politikerin Regine Hildebrandt gegeben.

Offen bleibt, ob Regine Hildebrandt, die insbesondere als Versteherin der Mentalität ostdeutscher Wendeverlierer galt, tatsächlich im Westen, wäre sie dort bekannter gewesen, ähnliche Zustimmungswerte erzielt hätte. Robert Habeck hingegen mag bei westdeutschen Bildungsbürgern besonders hoch angesehen sein, die sich vor allem deshalb so aktiv für Politik interessieren, weil sie mit der Art und Weise, wie in Deutschland Politik betrieben wird, entsprechend zufrieden sind.

Hingegen ist politisches Desinteresse nicht selten auch einem generellen Misstrauen und Argwohn gegenüber der etablierten politischen Klasse des Landes insgesamt geschuldet. Dass viele derjenigen, die Habeck nicht kennen, ihn auch gar nicht kennen wollen, ist vor diesem Hintergrund kaum von der Hand zu weisen. 

Unschärfen gehören zum Wesen der Demoskopie

Kantar Public hingegen stellt die Frage, für welchen Politiker künftig eine „wichtige Rolle“ gewünscht wird. Hier kam Habeck auf 27 Prozent, 26 Prozent wollten dies explizit nicht. In diesem Fall gaben 43 Prozent an, ihn nicht zu kennen. Das Institut wertete nur die 27 Prozent, weil die Erfahrung zeige, dass unbekannte Politiker auch schlechtere Wahlchancen hätten.

Meinungsforscher versuchen auf unterschiedliche Weise, mit Phänomenen wie der „Schweigespirale“, politischen Nischenangeboten oder polarisierenden Politikern umzugehen. Die Quintessenz bleibt jedoch: Umfragen sind Momentaufnahmen. Sie bilden keine exakten Verhältnisse ab, sondern weisen gewisse Trends aus. Und sie müssen mit einer Reihe schwer kalkulierbarer Unsicherheitsfaktoren rechnen.

Was im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen 2012 und 2016 viele Institute aufs Glatteis geführt hatte, könnte auch in Deutschland immer stärker zum Tragen kommen: Nicht alle Politiker, die innerhalb der Bevölkerung insgesamt beliebt sind, haben auch Erfolgschancen bei Wahlen.

So galt der Republikaner Mitt Romney 2012 auch bei vielen Demokraten als respektiert und die Republikaner nominierten ihn, weil sie sich erhofften, in der Mitte die Wahlen zu gewinnen. Am Ende unterlag er Amtsinhaber Barack Obama deutlich, weil gerade republikanische Stammwähler zu Hause blieben.

Donald Trump hingegen galt von Beginn an als Hassfigur der Medien und der – wie es die Forschungsgruppe Wahlen nennt – „Politikkundigen“. Hingegen elektrisierte er die eigene Wählerschaft. Diese strömte in Scharen zu den Urnen und sicherte ihm seinen weithin nicht für möglich gehaltenen Sieg.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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