Roger Letsch: Kauders Abgang und noch kein Neuanfang

Gegenkandidaten für das Amt des Fraktionschefs gab es in der Union seit Jahrzehnten nicht, was ein seltsames Bild auf die demokratische „Normalität“ in einer Bundestagsfraktion wirft – oder aber auf Aufgabe und Zweck eines Fraktionsvorsitzenden, der eben kein demokratisches Amt innehat, sondern ausschließlich Exekutor von Kanzler und oder Parteichef ist.
Titelbild
Brinkhaus und Merkel im Bundestag.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 27. September 2018

Donnerwetter, Union! Das hätte ich euch gar nicht zugetraut: Volker Kauder, Merkels Fraktionswadenbeißer der ersten Stunde, erhielt eine deutliche Klatsche bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden, anders kann man das Ergebnis von 125:112 gegen ihn wohl kaum werten. Dabei sollte seine Wiederwahl wie immer eine Formsache werden, wenn, ja wenn da nicht plötzlich jemand, der auch noch sein Stellvertreter war, den Fehdehandschuh aufgenommen hätte, was die Presse unisono nur belächelte.

Allein diese Tatsache zeigt, wie eng verzahnt die Hirne der Journalisten und der politischen Entscheider in Berlin mittlerweile sind, denn das glaubten die Politiker um Merkel und Kauder schließlich auch. Das mit den Gegenkandidaten ist aber so eine Sache, die man in der Union (und anderswo leider auch) nur allzu gern vermeidet, wenn’s sich irgendwie machen lässt. Hans Michelbach (CSU) sprach im „ZDF Spezial“ am 25.9.2018 zwar beruhigend von einem „normalen demokratischen Vorgang“, der jedoch ist seit 1973 nicht mehr ausprobiert worden.

Gegenkandidaten für das Amt des Fraktionschefs gab es in der Union seit Jahrzehnten nicht, was ein seltsames Bild auf die demokratische „Normalität“ in einer Bundestagsfraktion wirft – oder aber auf Aufgabe und Zweck eines Fraktionsvorsitzenden, der eben kein demokratisches Amt innehat, sondern ausschließlich Exekutor von Kanzler und oder Parteichef ist.

Das hat aber mit Demokratie nichts zu tun, sondern ist vom Berufsbild eher verwandt mit Berufsberater, Dompteur oder Scharfrichter. Wahlen sind halt immer eine unsichere Sache, weshalb man sie, wo immer es geht, durch Proklamation ersetzt, die man dann Wahl nennt, damit es netter aussieht.

Ich erinnere nur an das unwürdige Geschacher um das Amt des Bundespräsidenten, die „Wahl“ Katrin Göring-Eckardts zur Spitzenkandidatin der Grünen oder die „Wahl“ des SPD-Lockführers, die Schulz mit 100% gewann. Geht es in den Wahlen mit plebejischer Beteiligung noch halbwegs demokratisch zu, schwindet mit zunehmendem Abstand vom Wahlvolk die Neigung, es zu Alternativen überhaupt kommen zu lassen. Gerade in der CDU regiert seit 13 Jahren die personifizierte Alternativlosigkeit, die längst das einzig verbliebene politische Programm ist. Abwechslung gibt es allenfalls in den Prinzipien und Grundhaltungen, die stehen in der CDU seit Jahren unter der Wahl der Opportunität.

Alles geht irgendwann zu Ende, sogar die Nacht. (Michel Houellebecq)

Nun kann man einwenden, dass es ja nichts bringe, den Dackel zu treten, der brav an Frauchens Leine läuft. Der arme Hund sei schließlich nichts als ein Befehlsempfänger. Auch gab es bei der Wahl zugegebenermaßen eine Menge Gratismut, da man in einer geheimen Abstimmung gegen die Wünsche der Chefin votierte. Niemand kann jetzt für mangelnden Kaudervergehorsam zur Rechenschaft gezogen werden.

Wenn ich nichts übersehen habe, hat sich außer Brinkhaus selbst noch niemand dazu bekannt, Kauder nicht gewählt zu haben. Es erinnerten sich wohl noch zu viele Parlamentarier an 2016, als 50 CDU’ler mit der Funktion des Volker Kauder in ganz besonderer Weise in Kontakt kamen. Man ist sich auch jetzt noch nicht sicher, ob Kauder wirklich nie wieder beißen kann, oder ob Merkel sich eine nicht minder gefährliche Anschlussverwendung für ihn überlegt.

Anfang 2016 jedenfalls unterschrieben 50 Abgeordnete der Unionsfraktion einen offenen Brief an die Kanzlerin, in der sie eine Kehrtwende in deren Flüchtlingskurs forderten. Und es war Volker Kauder, der Fraktionschef, der verkündete, dass die „deutliche Mehrheit“ der Unionsfraktion hinter Merkel stehe. Dafür wurde gesorgt. Die Abtrünnigen wurden in persönlichen Gesprächen nach Strich und Faden „gekaudert“. Wer von den 50 kein Direktmandat hatte und auch keine Aussicht, bei der nächsten Wahl eines zu erringen, der durfte sich nach den persönlichen Gesprächen mit dem Fraktionschef im klaren darüber sein, wo am Horizont sein zukünftiger Listenplatz sein könnte – und so kam es dann ja auch. Von den 50 Rebellen sind meines Wissens nur noch einige mit Direktmandat im Bundestag vertreten. Ein starkes Argument für ein verändertes Wahlrecht in unserem Land, wie ich nebenbei bemerkt finde.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. (Hermann Hesse)

Was wird sich denn ändern, mit dem neuen Einpeitscher? Nun, es dürfte schon einen Unterschied machen, wenn die Peitsche ruhen würde. Eine Revolution ist von Ralph Brinkhaus sicher nicht zu erwarten. „Kein Blatt Papier“ passe zwischen ihn und die Kanzlerin, sagte er noch am Wahlabend. Aber er hat seinen Teil getan, der CDU einen Neuanfang ohne Merkel zu ermöglichen. Er ist im Moment der einzige, der seine Rolle in der hoffentlich bald anbrechenden Post-Merkel-Zeit kennt, weil alle anderen sich noch nicht entscheiden können, weit genug von der Kanzlerin abzurücken.

Es könnte ja noch jahrelang so weiter gehen und dann wäre es doch blöd, sich zu früh in die Opposition und damit in den Schatten der Kanzlerin begeben zu haben. Die Kanzlerin selbst sieht jedenfalls keine Gründe, irgend etwas zu verändern. Im Gegenteil, sie hängt wie ein Mühlstein am Hals ihrer Partei. Brinkhaus werde sie „wo immer ich das kann…unterstützen“, so Merkel. Was nichts anderes heißt, als dass sie keineswegs immer die Absicht haben wird, zu können.

Angela Merkel ließ heute über ihren Regierungssprecher erklären, dass sie nicht gedenke, die Vertrauensfrage zu stellen, auch wenn ihr de facto mit der Verweigerung ihres Kandidaten die Mehrheit der eigenen Fraktion das Vertrauen bereits entzogen hat. Bei Vertrauensfragen wird im Bundestag für gewöhnlich namentlich abgestimmt und es ist durchaus zweifelhaft, ob die 125 Kaudermörder dann immer noch den Mut aufbrächten, gegen den Stachel zu löcken.

Es bleibt also beim Patt und 125 unbekannten Dolchen in Merkels Rücken. Denn wenn das alles ein „demokratischer Vorgang“ wäre, müssten sich die Brinkhaus-Unterstützer jetzt nicht in der Anonymität verstecken. Doch man hat wohl gelernt in der CDU, spätestens seit dem Umgang mit den 50 Abtrünnigen von 2016: jeder, der Merkel offen angreift, landet im Staub – doch genau dafür brauchte sie Kauder.

Helmut Schmidt und Gerd Schröder gingen bekanntlich den anderen, direkteren Weg über das Misstrauensvotum, was beiden – obwohl sie als Verlierer aus dem Amt schieden, im Licht der Geschichte eher genützt als geschadet hat. Angela Merkel hingegen wird in die Geschichte als die Politikerin eingehen, die für Ihre Fehler „Verantwortung übernommen“ hat und gleichzeitig wie Kaugummi an ihrem Amt kleben blieb.

Und so wie „kaudern“ als Synonym für politische Züchtigung von Parteifreunden vielleicht einst im Duden zu finden sein wird, ist „merkeln“ der heißeste Kandidat für die Beschreibung eines Jockeys, der sein Pferd bis in den Tod reitet und selbst dann noch nicht absteigen will.

Im Original erschienen auf dem Blog von Roger Letsch unbesorgt.de

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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