Spekulative Studie: Stand Stonehenge vorher in Wales?
Laut einer neuen Studie in der Online-Zeitschrift Antiquity sollen die Megalithe aus Stonehenge kurzzeitig in Wales, unweit ihres Abbauortes gestanden haben. Erst später sollen die Menschen sie an ihren heutigen und endgültigen Bestimmungsort in Salisbury Plain transportiert haben.
„Banc du“ als temporäres Denkmal
Genauer gesagt, soll der Steinkreis in einer Stätte namens „Banc du“, am Westende der Preseli-Berge, nördlich von Pembrokeshire, gestanden haben. Ein paar Meilen südwestlich davon befinden sich zwei Steinbrüchen. Aus ihnen haben die Erbauer das Material für den Bau des neolithischen Monuments gewonnen.
Bislang war bekannt, dass die Menschen den Ort etwa 700 Jahre vor dem Bau von Stonehenge als eine Art Treffpunkt nutzten. Jüngste 14-C-Untersuchungen von Holzkohle zeigen jedoch, dass der Standort auch später, genauer gesagt um 3000 vor Christus, genutzt wurde. Die Datierung fällt somit genau auf die Erbauungszeit von Stonehenge.
„Ich denke, das Wichtigste ist zu erkennen, dass die Steinbrüche nicht von ihrem Umfeld isoliert waren. Sie sind eigentlich ein Teil einer größeren zeremoniellen Landschaft, zu der auch der Treffpunkt gehört“, sagte der leitende Studienforscher Michael Parker Pearson, Professor am Institute of Archaeology am University College London, gegenüber Live Science. „Es gibt auch eine Konzentration von neolithischen Gräbern in diesem Gebiet.
„Banc du“ bei Pembrokeshire in Wales.
Eine seit Langem bekannte Theorie
Pearson und seine Kollegen sind nicht die Ersten, die behaupten, dass die Menschen die sogenannten Blausteine in einem temporären Denkmal aufstellten, bevor sie Stonehenge aufsuchten. „Vor fast 100 Jahren spekulierte der Geologe S.H. Thomas, dass die Blausteine zunächst irgendwo in Preseli in einen „verehrten Steinkreis“ eingearbeitet worden seien, bevor sie ihre bedeutsame Reise in die Salisbury Plain machten“, schrieben die Forscher in der neuen Studie.
Dieses Stück verbrannte Holzkohle aus der Zeit des ersten Baus von Stonehenge ist jedoch derzeit das einzige Beweisstück für ein temporäres Stonehengedenkmal am Banc du. Und die Forscher der Studie sind die Ersten, die zugeben, wie spekulativ die neue Theorie ist. „Wir haben noch keine konkreten Antworten“, sagte Pearson.
Die Abbaustätten in Wales
Als Teil der neuen Studie haben Pearson und seine Kollegen auch hart daran gearbeitet, herauszufinden, wann, wo und wie neolithische Menschen die berühmten Blausteine von Stonehenge gewonnen haben. „Das wirklich Spannende an diesen Entdeckungen ist, dass sie uns dem größten Geheimnis von Stonehenge einen Schritt näher bringen – warum die Steine von so weit her kamen“, erklärte Pearson in einer Pressemitteilung.
Es wird allgemein angenommen, dass Stonehenges riesige, 22,6 Tonnen schwere Sarsen-Steine bei Marlborough Downs, etwa 32 Kilometer nördlich der Salisbury Plain, abgebaut wurden. Aber seine 42 kleineren Blausteine kamen wahrscheinlich von den Preseli-Bergen im Westen Wales, 230 Kilometer nordwestlich der Salisbury Plain.
Der Archäologe fügte hinzu: „Jedes andere neolithische Monument in Europa wurde aus Megalithen gebaut, die aus einer Entfernung von nicht mehr als 16 Kilometern stammen. Wir wollen nun herausfinden, was vor 5.000 Jahren an den Preseli-Bergen so besonders war und ob es hier wichtige Steinkreise gab, die gebaut wurden, bevor die Blausteine nach Stonehenge kamen.“
Die Preseli-Berge in Wales.
Die Forscher hatten zuvor zwei Steinbrüche in den Preseli-Bergen identifizieren können, in denen die Jungsteinzeitmenschen die bis zu 4 Tonnen schweren Blausteine abbauten. Eine befand sich auf dem Felsvorsprung von Carn Goedog, während sich die andere in einem Tal darunter, am Aufschluss von Craig Rhos-y-felin befand. Beide Orte haben von Natur aus säulenartige Blausteine gebildet.
Laut dem Geologen Dr. Richard Bevins vom National Museum of Wales stammen mindestens fünf von Stonehenges Blausteinen aus Carn Goedog. „Wahrscheinlich kamen noch mehr aus Carn Goedog“, so der Geologe.
Wie haben die neolithischen Menschen das Material aus den Felsvorsprüngen herausgearbeitet?
In der aktuellen Studie erläutern Pearson und seine Kollegen zudem, dass sie Plattformen gefunden haben. Diesen sollen in beiden Aufschlüssen von Menschen hergestellt wurden sein und ihnen einen besseren Zugang zu den Säulen ermöglichen.
Außerdem fanden die Forscher keil- und hammerförmige Steinwerkzeuge, mit denen die Arbeiter wahrscheinlich in Risse stießen, um die Säulen voneinander zu trennen. Auch Holzwerkzeuge und Seile seien denkbar, allerdings aufgrund des sauren Bodens in beiden Abbaustätten nicht erhalten, so Pearson.
Dank der Holzkohle, die die Forscher in Carn Goedog fanden, konnten sie die neolithische Nutzung auf etwa 3000 vor Christus datieren.
In Craig Rhos-y-felin fanden die Forscher außerdem einen Weg, der direkt zu dem Felsvorsprung führte. „Das ist wahrscheinlich der Weg, auf dem die neolithischen Menschen die Blausteine entlang führten“, fügte Pearson hinzu. Diese Fahrbahn war mit Schlamm aus einem nahe gelegenen Fluss gefüllt.
„Dieser Schlamm enthielt Holzkohle, die ebenfalls auf etwa 3000 vor Christus datiert“, sagte er. Diese Datierung sei, laut dem Forscher, ein wertvoller Hinweis, da auch Stonehenge aus dieser Zeit stammt.
Kein Transport von Stonehenge auf dem Seeweg
In der neuen Studie fassen Pearson und seine Kollegen all diese Beweise zusammen. Sie versuchen so, die mögliche Reiseroute der Blausteine von ihrer Herkunft bis zu ihrem endgültigen Standort nachzuvollziehen.
In ihrer Theorie transportierten die Menschen die Säulen nach dem Abbau in den Preseli-Hügeln ins Landesinnere nach Salisbury Plain. Dabei könnten sie in Banc du angehalten haben. Von dort aus ist es wahrscheinlich, dass sie die Blausteine in den sogenannten Aubrey-Löchern in Stonehenge platzierten, so die Forscher.
Aubrey-Löcher: Ein Ring aus 56 Kalksteingruben in Stonehenge.
Die Blausteine wurden später aus den Aubrey Holes entfernt. Stattdessen wurden hier, laut einer weiteren Studie von Pearson und seinen Kollegen von 2018, die verbrannten Überreste der Menschen platziert. Diese sollen ebenso wie die Steine aus Wales stammen.
Für Alasdair Whittle, Professor für Archäologie an der Cardiff University in England, sei die Studie sehr „fundiert.“ Er selbst war an der Forschung nicht beteiligt. Allerdings sei für ihn „die Frage nach einem temporären oder ehemaligen Denkmal irgendwo im Südwesten von Wales“ sehr spekulativ.
Die PDF zur Studie finden Sie hier (Englisch): Megalith quarries for Stonehenge’s bluestones
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