Blick nach Schweden: Ist der deutsche Lockdown alternativlos?

Ist der „schwedische Weg“ wirklich gescheitert? Unser Gastautor Sören Padel lebt in Schweden und hat die Zahlen für Epoch Times unter die Lupe genommen: Sein Fazit: „Ob es 2020 eine Übersterblichkeit in Schweden gab, ist davon abhängig, was man als Übersterblichkeit definiert und wie groß der Vergleichszeitraum sein soll. [...] Bei längeren Zeiträumen tendiert die Übersterblichkeit gegen null.“
Titelbild
Am 6. März 2021 bei einem Protest in Stockholm gegen die neuen Maßnahmen der schwedischen Regierung zur Bekämpfung des Coronavirus. Die Proteste wurden von der Polizei aufgelöst, da keine Genehmigung für öffentliche Versammlungen vorlag.Foto: HENRIK MONTGOMERY/TT News Agency/AFP via Getty Images
Von 8. März 2021

Was ist eigentlich „Übersterblichkeit“? Eigentlich ja nur der Vergleich zwischen der tatsächlichen Anzahl Toter einer definierten Gruppe und der Anzahl, die aufgrund der empirischen Datenlage zu erwarten wäre. Dabei können verschiedene Zeiträume einer Region oder auch die Entwicklung zwischen verschiedenen Gruppen beobachtet werden.

Wir konzentrieren uns hier auf die Bevölkerung von Staaten, im konkreten Fall Schwedens. Bleibt immer noch die Frage: Übersterblichkeit in Bezug auf was? Die „reine“ Übersterblichkeit bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung. Hier werden nur die absoluten Zahlen verglichen, ohne Rücksicht auf die Altersstruktur oder extreme Ereignisse.

Das Sterberisiko einer Altersgruppe

Schwieriger wird es, wenn wir die Übersterblichkeit in Bezug auf epidemisch auftretende Krankheiten oder Katastrophen berechnen wollen. Hier müssen wir uns fragen, wie hoch ist der Einfluss des untersuchten Faktors und wie hoch ist der Einfluss der Bevölkerungsdynamik.

Will sagen, wenn das Sterberisiko einer Altersklasse (Anzahl Todesfälle geteilt durch Anzahl der Mitglieder der Gruppe) konstant ist, die Gruppe aber quantitativ zunimmt, muss die Anzahl der Toten auch ohne Epidemie steigen. Dieser Effekt kann temporär durch eine sich erhöhende Lebenserwartung abgebremst werden. Diese kann jedoch nicht ewig anhalten.

Das konkrete individuelle Risiko ergibt sich also nicht aus der absoluten Anzahl der Toten, sondern aus dem Sterberisiko der Altersgruppe. Wird dies durch eine epidemisch auftretende Krankheit nicht erhöht, besteht auch keine zusätzliche erhöhte individuelle Gefährdung, trotz der Epidemie.

Daher ist es am einfachsten, die tatsächlichen Altersklassen modellhaft zu schichten und dann mit Hilfe des tatsächlichen Sterberisikos vergleichbare, wenn auch hypothetische Sterbezahlen zu generieren. Diese dienen allerdings nur dem Vergleich zwischen den verschiedenen Jahren!

Eine Möglichkeit ist die sogenannte Europastandardbevölkerung [1]. Neben den Neugeborenen (Säuglingssterblichkeit!) und den 0-4-Jährigen gibt es bis zum Alter von 90 bzw. 95 Jahren Fünf-Jahres-Altersklassen. Alle die älter als 90 bzw. 95 sind, landen in der Altersklasse 90+ bzw. 95+. Die Altersklassen haben eine Größe von 1.000 bis 7.000 Mitgliedern und spiegeln in etwa die gängigsten Altersstrukturen in Europa wider. Die gesamte Bevölkerung hat 100.000 Mitglieder. Außerdem gibt es geschlechterspezifische Werte, auf die hier nicht eingegangen werden soll.

Im Fall Schweden ist es sinnvoll, diese Werte mit 100 zu multiplizieren. Man kommt dann auf eine Gesamtbevölkerung von 10 Millionen Menschen, was in etwa der schwedischen entspricht, sodass die hypothetischen Zahlen sehr anschaulich werden.

Statistische Fallen: Der Zeitrahmen

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zeitperspektive. Das RKI in Deutschland nimmt nur vier Jahre in seine Berechnungen, das Statistiska Centralbyrå (SCB) fünf. Ich halte eine Zeitperspektive von vier bzw. fünf Jahren für zu niedrig, weil extreme Jahre, die so bald nicht wieder zu erwarten sind, das Ergebnis zu stark beeinflussen.

Nehmen wir nur die starken Grippejahre in Deutschland in den 2010er Jahren oder die extrem niedrige Anzahl Toter im Schweden des Jahres 2019. Ich halte einen Gesamtzeitraum von zehn Jahren für ideal, weil sozio-ökonomische Faktoren da in aller Regel einigermaßen konstant sind, ihre Dynamik die Vergleichbarkeit also nicht beeinflussen, andererseits aber statistische Ausreißer nicht so stark ins Gewicht fallen bzw. sich gegeneinander aufwiegen.

Das schwedische SCB lehnt eine längere Perspektive als fünf Jahre ab, weil die Veränderung der Lebenserwartung die Vergleichbarkeit beeinträchtigen würde. [2] Dies halte ich für methodisch falsch. Die zu erwartende Lebenserwartung ist letztendlich ein Derivat des Sterberisikos, sollte also bei allen Betrachtungen der risikobedingten Übersterblichkeit keine Rolle spielen, weil sie inhaltlich nichts einbringt, aber statistische Abweichungen aufbläht. Außerdem ist es eine statistische Binsenwahrheit, dass mit steigender Anzahl der Vergleichswerte Abweichungen an Gewicht verlieren.

Womit die Frage, warum das SCB durchaus auf eine Übersterblichkeit kommt, schon fast beantwortet wäre.

Die Behörde vergleicht nur die letzten fünf Jahre, allerdings ohne Berücksichtigung der Altersstruktur (sie nehmen also die tatsächlichen Größen der Altersgruppen). Außerdem bauen sie Prognosen der Lebenserwartung in ihre Berechnungen ein, was ich wie angeführt unsinnig finde, da die Lebenserwartung direkt aus den Sterberisiken abgeleitet wird. Damit kommen sie zu dem (sachlich ja durchaus richtigen) Schluss, dass verglichen mit den fünf Jahren davor, im Jahr 2020 7,9 Prozent mehr Menschen gestorben sind. [3]

Sie schreiben dort weiterhin, dass es schwierig sei, diese Zahlen historisch zu vergleichen, weil sich die Bevölkerungsgröße und die Altersstruktur stark verändert hätten, was so ja auch zutrifft. Aber genau dafür ist doch das Modell der Standardbevölkerung geschaffen worden. Warum man es beim SCB nicht anwendet, konnte mir der für diese Statistik verantwortliche Mitarbeiter des SCB nicht sagen und ehrlich gesagt, ich verstehe es nicht.

Das Problem hierbei ist, dass die oben gemachte Aussage als „Übersterblichkeit“ kommuniziert wird (zum Beispiel [4]), obwohl in der Quelle das Wort nicht verwendet wird. Danach wird dann medial mit der „Übersterblichkeit“ in anderen Ländern verglichen, was ja in Relation zu COVID-19 in der Form nicht zielführend ist. Natürlich wird die Zahl ins Ausland kommuniziert, was zu Fehlinterpretationen einlädt.

Ein Blick auf die Zahlen

Aber schauen wir uns die Zahlen an. Als erstes die Todesfälle.

Dazu möchte ich erwähnen, dass ich die Daten des schwedischen Statistikamtes SCB (Statistiska Centralbyrå) [5] benutze, das mit seinen Werten zu einem völlig anderen Ergebnis kommt als ich. Aber dazu später. Nur der Vollständigkeit möchte ich hinzufügen, dass ich selbstverständlich bei allen Statistiken die Daten der Periodenanalyse verwende, nicht die der Kohortenanalyse, wie es einige allen Ernstes anbieten.

Todesfälle in Schweden. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Hier haben wir tatsächlich 2020 einen signifikant höheren Wert als in den Jahren davor (die prozentualen Angaben beziehen sich auf die neun Jahre vor 2020; der Durchschnittswert wäre der für 2020 zu erwartende gewesen). Betrachte man die fünf Jahre davor als Basis, kommt man auf die 7,9 Prozent des SCB.

Also werfen wir mal einen kurzen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung:

Bevölkerungsentwicklung in Schweden in den letzten Jahren. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Wir sehen einen starken Anstieg der Bevölkerung, speziell der Altersgruppen über 70 (um fast 30 Prozent) und über 80 (um fast 10 Prozent).

Absolute (rechte Skala) und relative (linke Skala) Entwicklung der Altersklassen 80+ und der Todesfälle in Schweden in den letzten Jahren. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Aus Einwohner- und Sterbefallzahlen nach Altersklassen ergibt sich der Anteil der Gestorbenen jeder Altersklasse. Dieses Sterberisiko über die Jahre zeigt folgende Tabelle:

Sterberisiko nach Altersklassen in Schweden in den vergangenen Jahren. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Lediglich das Sterberisiko der Altersgruppe 90-94 ist höher als in allen Vorjahren (was zu einem großen Teil an der geringen Sterblichkeit des Vorjahres liegt).

Sterberisiko der Altersklassen 60+ in Schweden in den vergangenen Jahren. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Gab es im Jahr 2020 eine Übersterblichkeit?

Europäische „Standardbevölkerung“ für Schweden. Foto: Sören Padel

Oben sehen wir die „schwedische Standardbevölkerung“.

Die Werte werden mit dem Sterberisiko der Altersgruppen multipliziert, was zwar hypothetische aber gut vergleichbare Werte für Schweden in den letzten zehn Jahren ergibt.

Hier nun der Vergleich der Todesfälle auf Basis der altersbereinigten Europastandardbevölkerung.

Zu erwartende Sterbefälle in Schweden nach EU-Standardbevölkerung. (Zum Vergrößern klicken, Bild öffnet in neuem Tab) Foto: Sören Padel

Nehmen wir die neun Jahre vor 2020 als Basis der Berechnungen, landet 2020 ziemlich genau auf dem Punkt, will sagen, wo es zu erwarten gewesen wäre. Selbst wenn man wie das SCB nur die fünf Jahre davor rechnet, liegt die Übersterblichkeit bei 3 Prozent und damit im Bereich der zufälligen Schwankungen (gewissermaßen als Ausgleich für die -5,8 Prozent des Vorjahres)

Nehmen wir einmal an, wir hätten im Jahre 2020 die Sterberisiken gehabt (bezogen auf die tatsächliche Bevölkerung des Jahres 2020), die dem des Durchschnitts der neun Jahre davor entsprochen hätten. Wie würde das aussehen:

Zu erwartende Sterbefälle 2020 in Schweden, ermittelt anhand der durchschnittlichen Sterberisiken der vergangenen Jahre. Foto: Sören Padel

Insgesamt hat es nur 425 oder 0,4 Prozent mehr Tote gegeben, als es mit den Durchschnittswerten der neun vorhergehenden Jahren gegeben hätte. Nur in den Altersgruppen über 90 hat es ein signifikant höheres Sterberisiko gegeben, dafür aber in anderen Teilen der Risikobevölkerung teilweise sehr deutlich niedrigere Sterberisiken und Todeszahlen.

Die Frage, ob es eine Übersterblichkeit 2020 in Schweden gab, ist also davon abhängig zu beantworten, was man überhaupt als Übersterblichkeit definiert und wie groß der Vergleichszeitraum sein soll.

In Bezug auf eine Epidemie (durch COVID-19 verursachte Übersterblichkeit) müssen natürlich die aus der veränderten Altersstruktur herrührenden Effekte rausgerechnet werden, da diese die Sterblichkeit unabhängig von der Epidemie beeinflussen.

Und natürlich muss man sich die Frage stellen, wie viele Jahre sinnvollerweise als Berechnungsgrundlage herangezogen werden sollen. Altersbereinigt ist in keinem Fall eine Übersterblichkeit größer als 3 Prozent und damit als signifikant erkennbar. Bei längeren Zeiträumen tendiert die Übersterblichkeit gegen null.

Quellen

[1] https://www.gbe-bund.de/gbe/pkg_isgbe5.prc_menu_olap?p_uid=gast&p_aid=49083186&p_sprache=D&p_help=0&p_indnr=1000&p_indsp=&p_ityp=H&p_fid=

[2] Interview mit dem zuständigen SCB-Mitarbeiter (2. März 2021)

[3] https://www.scb.se/hitta-statistik/statistik-efter-amne/befolkning/befolkningens-sammansattning/befolkningsstatistik/pong/statistiknyhet/befolkningsstatistik-helaret-2020/

[4] https://sverigesradio.se/artikel/nastan-8-procents-overdodlighet-under-2020

[5] http://www.statistikdatabasen.scb.se/pxweb/sv/ssd/START__BE__BE0101/

Über den Autor

Sören Padel lebt in Schweden und hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeographie (Abschluss als M.A.) sowie Geschichte (Abschluss als K.A.) an der Mittuniversität (Sundsvall und Härnösand) studiert. Mit drei abgeschlossenen Berufsausbildungen arbeitete er unter anderem in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium). Darüber war/ist er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig. Auf seinem Blog „Corona-Schwede“ berichtet er regelmäßig über die Situation in Schweden.



Unsere Buchempfehlung

Alle Völker der Welt kennen den Teufel aus ihren Geschichten und Legenden, Traditionen und Religionen. Auch in der modernen Zeit führt er – verborgen oder offen – auf jedem erdenklichen Gebiet seinen Kampf gegen die Menschheit: Religion, Familie, Politik, Wirtschaft, Finanzen, Militär, Bildung, Kunst, Kultur, Medien, Unterhaltung, soziale Angelegenheiten und internationale Beziehungen.

Er verdirbt die Jugend und formt sich eine neue, noch leichter beeinflussbare Generation. Er fördert Massenbewegungen, Aufstände und Revolutionen, destabilisiert Länder und führt sie in Krisen. Er heftet sich - einer zehrenden Krankheit gleich - an die staatlichen Organe und die Gesellschaft und verschwendet ihre Ressourcen für seine Zwecke.

In ihrer Verzweiflung greifen die Menschen dann zum erstbesten „Retter“, der im Mantel bestimmter Ideologien erscheint, wie Kommunismus und Sozialismus, Liberalismus und Feminismus, bis hin zur Globalisierungsbewegung. Grenzenloses Glück und Freiheit für alle werden versprochen. Der Köder ist allzu verlockend. Doch der Weg führt in die Dunkelheit und die Falle ist bereits aufgestellt. Hier mehr zum Buch.

Jetzt bestellen - Das dreibändige Buch ist sofort erhältlich zum Sonderpreis von 50,50 Euro im Epoch Times Online Shop

Das dreibändige Buch „Wie der Teufel die Welt beherrscht“ untersucht auf insgesamt 1008 Seiten historische Trends und die Entwicklung von Jahrhunderten aus einer neuen Perspektive. Es analysiert, wie der Teufel unsere Welt in verschiedenen Masken und mit raffinierten Mitteln besetzt und manipuliert hat.

Gebundenes Buch: Alle 3 Bände für 50,50 Euro (kostenloser Versand innerhalb Deutschlands); Hörbuch und E-Book: 43,- Euro.

Weitere Bestellmöglichkeiten: Bei Amazon oder direkt beim Verlag der Epoch Times – Tel.: +49 (0)30 26395312, E-Mail: [email protected]

Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion