Datenanalyst: „Corona ist nicht für Überlastung verantwortlich“

Am 16. November 2021 wurden 3.280 Corona-Patienten intensivmedizinisch behandelt, über 150 weniger als am gleichen Tag des Vorjahrs. Allerdings gibt es dieses Jahr rund 3.300 Intensivbetten weniger.
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Datenanalyst Tom Lausen erweitert seine Analysen zu den Intensivbetten.Foto: Getty Images/Privat
Von 24. November 2021

Seit Beginn der Corona-Krise wird die 7-Tage-Inzidenz für die Bewertung des Infektionsgeschehens genutzt, Grundrechtseinschränkungen wurden mit ihr gerechtfertigt. Bereits im Oktober 2020 legte Professor Dr. Werner Bergholz dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages dar, welche Schwächen diese Kennzahl hat. Im Mai 2021 folgte eine detaillierte Analyse von Prof. Bergholz für den Bundestag.

In seinem Fazit führt er aus, dass die Inzidenzzahl „mathematisch und messtechnisch fehlerhaft konstruiert“ ist und das Infektionsgeschehen „nur sehr diffus und verzerrt wiedergibt“. Immer mehr Experten fordern, die Anzahl der schweren Verläufe zu erfassen statt dem Infektionsgeschehen.

Dies könne durch die Messgrößen der Aufnahmen in Krankenhäusern und Intensivstationen erfolgen, wie Professor Helmut Küchenhoff am 9. August 2021 sagte. Ihm zufolge sind hohe Inzidenzen in den jüngeren Altersgruppen nicht besonders gefährlich, da es dort nur sehr wenige schwere Verläufe gibt.

Mittlerweile ist auch das Bundesgesundheitsministerium stärker daran interessiert, die Corona-Krise anhand der tatsächlichen Erkrankungen zu bewerten. Daher nun ein Blick auf die Zahlen: Wie viele Intensivbetten bestehen insgesamt, wie viele sind belegt, wie viele davon mit COVID-Patienten? Wie sind die aktuellen Zahlen im Vergleich zum letzten Jahr? Wie wird die mehrere Hundert Millionen Euro teure Notfallreserve von Intensivbetten berücksichtigt?

Die Entwicklung der COVID-Erkrankungen in Zahlen

Der Datenanalyst und Informatiker Tom Lausen wurde am 8. Juli 2021 im Bundestag als Einzelsachverständiger zu Manipulationen der Intensivbetten-Zahlen angehört. Seit Beginn der Corona-Krise wertet er die offiziellen Zahlen der Corona-Erkrankungen sowie die Daten der Krankenhäuser aus.

Seine Auswertungen, wie beispielsweise die Entwicklung der COVID-Todesfälle je Altersgruppe oder der Intensivbetten-Kapazitäten, sind unter www.intensivstationen.net einsehbar. Zuletzt veröffentlichte er ein Tool, das einen direkten Vergleich der Zahlen von 2020 und 2021 ermöglicht. Hierin werden die tagesaktuellen Zahlen der stationär behandelten COVID-Erkrankungen zusammen mit der Auslastung gegenübergestellt.

Vergleicht man die Zahlen vom 16. November der Jahre 2020 und 2021, so ist eine höhere prozentuale Auslastung der Intensivbetten zu erkennen. Am 16.11.2020 lag die gesamte Auslastung der Intensivbetten bei 75 Prozent, aktuell, ein Jahr später, bei 87 Prozent.

Allerdings gibt Lausens Auswertung noch mehr her. So ist zu erkennen, dass sich die Gesamtzahl der Intensivbetten von 28.305 im Jahr 2020 auf 24.971 Betten im Jahr 2021 reduziert hat. Die Anzahl der Gesamtbelegung ist im Vergleich zu 2020 mit 21.355 um 400 Belegungen auf 21.755 im Jahr 2021 gestiegen.

Betrachtet man den Anteil der COVID-Patienten, ist ein Rückgang zu verzeichnen: Waren es zum Stichtag 2020 noch 3.436 Patienten, werden ein Jahr später 3.280 Menschen mit positivem COVID-Befund intensivmedizinisch behandelt.

Folglich besteht zum Stichtag 2021 eine um 12 Prozentpunkte höhere Auslastung der Intensivbetten, während bundesweit weitere 400 Patienten intensivmedizinisch behandelt wurden – jedoch die Belegung mit COVID-Patienten in der Gesamtbetrachtung abnahm.

Diese Betrachtung zeigt, dass die geringere Zahl von COVID-Patienten nicht zu einer erhöhten Gesamtauslastung beigetragen hat, sondern vielmehr der Abbau mehrerer Tausend Intensivbetten ursächlich ist.

Tom Lausen arbeitet an einer Übersicht, welche die auf den Stichtag bezogenen Daten für einen längeren Zeitraum darstellt. Gegenüber Epoch Times berichtete er, dass die täglichen Beobachtungen der Daten, dem Muster des Stichtages vom 16. November weitestgehend ähneln.

Die Auslastung im Verhältnis zu COVID-Patienten

Die neueste Programmierung von Lausen ermöglicht es zudem, die Auslastung der Kliniken ins Verhältnis zu den intensivmedizinisch behandelten COVID-Patienten zu setzen.

Für den Stichtag 16. November 2021 ist zu erkennen, dass von insgesamt 3.280 COVID-Patienten, 2.887 Patienten in Kliniken liegen, die über 80 Prozent ausgelastet sind. Am 16. November 2020 waren es lediglich 475 der 3.436 COVID-Patienten, die von Kliniken mit einer Auslastung von über 80 Prozent versorgt wurden.

De facto müssen zum Stichtag im Jahr 2021 wesentlich mehr COVID-Patienten von bereits stark ausgelasteten Intensivstationen behandelt werden, als es noch im Vorjahr der Fall war. Obwohl also weniger COVID-Patienten als im Vorjahr zu verzeichnen sind, wirken sie sich dennoch auf eine höhere Belastung der Intensivstationen aus.

Bundesregierung: Behandlungskapazitäten sind ausreichend

Am 9. September 2021 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion. Gegenstand der Anfrage war unter anderem, wie die rückläufige Anzahl der Intensivbetten zu erklären ist und welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um einen höheren Bedarf an intensivmedizinischen Kapazitäten im Herbst/Winter 2021/2022 zu gewährleisten.

Die Bundesregierung führte in ihrer Antwort aus, dass Schwankungen der betriebsbereiten Intensivbetten nicht ungewöhnlich sind, da sie anhand der realen „Einschätzung der Kapazitätslage aller Ressourcenaspekte“ ermittelt werden. Hierzu zählen unter anderem Personalausfälle, Quarantänefälle oder auch die technische Ausstattung verfügbarer Beatmungsgeräte.

Für die nächste kritische Zeit von Herbst und Winter 2021/2022 hingegen sei das Gesundheitssystem gut gewappnet, da zusätzlich zu den aktiven Kapazitäten der Intensivstationen die sogenannte „Notfallreserve“ besteht. Diese umfasst mit Stand vom 6. September 10.806 weitere Intensivbetten, die aktuell zwar inaktiv sind und nicht betrieben werden, allerdings laut Bundesgesundheitsministerium innerhalb „von sieben Tagen personell und strukturell betrieben werden können“.

Aufgrund der Notfallreserve sieht die Bundesregierung zudem keinen weiteren Bedarf, intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten zu erweitern.

Mit Stand vom 16.11.2021 sind nach offiziellen Zahlen des DIVI-Intensivregisters noch 9.980 Betten in der Notfallreserve. Doch wann tatsächlich auf die Notfallreserve-Betten zurückgegriffen wird und ob der bayerische „K-Fall“ derartige Reserven aktiviert, ist unklar.

Bis die Notfallreserve genutzt wird, bleibt die reguläre Gesamtauslastung hoch und erneut werden Befürchtungen von Intensivmedizinern laut, das Gesundheitssystem könnte in kurzer Zeit überlastet werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Inter­nis­tische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) kritisierte am 4. November 2021, dass sich der Personalmangel auf den Intensivstationen weiter verschärft. Carsten Hermes, Sprecher für Pflege in der DGIIN gab an, dass es nur eine Frage von Wochen sei, bis die Intensivstationen so stark ausgelastet seien, dass das Personal an seine psychischen und physischen Grenzen stoßen werde.

Es besteht keine Regelung, wie lange die Notfallreserve von den Krankenhäusern freigehalten werden muss. Datenanalyst Tom Lausen stellt die Frage, ob die Notfallreserve mit dem Ende der epidemischen Lage nationaler Tragweite nicht mehr freigehalten wird.

„Ich vermute, dass das gesetzliche Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite den Startschuss für das Verschwinden der Notfallreserve-Betten darstellen wird. Die Kliniken werden sich für die 50.000-Euro-Betten nur bis zum Ende der epidemischen Lage verpflichtet sehen, diese vorzuhalten. Zwar hat der Steuerzahler insgesamt über 15 Milliarden Euro für Krankenhausbetten gezahlt, doch ich prognostiziere, dass die Kliniken dann hohe neue Geldsummen fordern können und werden“, so Lausen.

„An und mit COVID“ Verstorbene

Im Gegensatz zu den täglichen Meldungen der absoluten Anzahl der „an und mit COVID“ Verstorbenen bietet intensivstationen.net eine Differenzierung der wöchentlichen Todesfälle, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen.

Insgesamt ist zu erkennen, dass im Jahr 2021 in allen Altersgruppen mehr Todesfälle von Personen zu verzeichnen sind, die zuvor positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden.

Dabei liegt der Altersmedian der als COVID-19 verzeichneten Todesfälle mit Stand 25. Oktober 2021 bei 83,5 Jahren, während der Alters-Median der intensivmedizinisch behandelten Patienten bei 66 Jahren liegt.

Auf der Website des Datenanalysten ist zudem „eine Information, die nicht sehr bekannt ist“, abrufbar: Von insgesamt 97.715 offiziellen COVID-Todesfällen, sind lediglich 36.087 auf Intensivstationen verstorben. Demnach sind 61.628 Personen in die Statistik der COVID-Todesfälle eingegangen, die nicht auf einer Intensivstation verstorben sind (Stand 16.11.2021, Daten des Robert Koch-Instituts). Schwere und kritische COVID-Verläufe werden stationär behandelt und können zum Tod führen.

Eine Überlastung der intensivmedizinischen Ressourcen ist laut Bundesgesundheitsministerium nicht eingetreten, vielmehr konnte „jedem Patienten die notwendige Behandlung“ (einschließlich Patienten aus Nachbarländern) gewährt werden.

Nun stellt sich die Frage, weshalb 61.628 Personen in die Statistik der „an und mit Corona Verstorbenen“ aufgenommen werden, wenn diese keine Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Versorgung hatten. Ein Teil hiervon stellen ältere Menschen dar, die per Patientenverfügung erklärten, ihr Lebensende nicht auf der Intensivstation verbringen zu wollen. Die Anzahl derjenigen, die zweifelsfrei „an COVID“ verstorben sind, bleibt bis dato jedoch ungewiss.

Interview mit Tom Lausen zu #DIVIGate2.0:



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