Ex-Regierungsberater: Westliche Befürchtungen über türkische Annäherung an Moskau übertrieben

Regierungsbeamte befürchten die Annäherung der Türkei an Russland. Experten geben jedoch Entwarnung: Die Austauschbeziehungen beider Länder beruhen lediglich auf einem pragmatischem Ansatz.
Titelbild
Der russische Präsident Wladimir Putin (rechts) trifft sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (links) in Sotschi am 5. August 2022.Foto: Vyacheslav Prokofyev/AFP via Getty Images
Von 17. August 2022


Die westlichen Regierungen sind zunehmend beunruhigt über die sich vertiefenden Beziehungen zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin. Sie stellen Strafmaßnahmen gegen das NATO-Mitglied in Aussicht, wenn es Russland hilft, Sanktionen zu umgehen. 

Experten, die mit der Epoch Times sprachen, bestreiten diese Behauptung jedoch. Sie sagen, dass die Treffen zwischen den beiden Ländern und die Ergebnisse daraus lediglich Ankaras pragmatischen Ansatz im Umgang mit Russland widerspiegeln.

„Seit der osmanischen Ära war die türkische Außenpolitik in Bezug auf Russland immer auf einen Ausgleich der Interessen ausgerichtet“, sagte Matthew Bryza, ein Ex-Beamter des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums.

„Die offensichtliche Annäherung in Sotschi [das Treffen war am 5. August] sei eine Fortsetzung dieses Balanceakts“, fügte er hinzu.

Gaszahlungen der Türkei teilweise in Rubel

Am 5. August traf sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Wochen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Schlagzeilen machten vor allem ihre wirtschaftlichen Absprachen.

Erdoğan bestätigte nach seiner Rückkehr aus Sotschi, dass fünf türkische Banken das russische MIR-Zahlungssystem eingeführt haben. Mit diesem können russische Touristen in der Türkei Hotels bezahlen und andere Einkäufe tätigen.

Zudem soll die Türkei das russische Erdgas zumindest teilweise in russischer Währung bezahlen. Seit dem 31. März verlangt Putin, dass „unfreundliche Länder“ russisches Gas in Rubel bezahlen. Damit spielt er auf die westlichen Länder an, welche die Sanktionen gegen Russland im Ukrainekrieg unterstützen.

Die Türkei steht nicht auf dieser Liste. Ankara bezeichnete zwar den russischen Angriff in der Ukraine als inakzeptabel, unterstützt die Sanktionen des Westens gegen Moskau jedoch nicht.

Türkei kommt Russland „zu nahe“

In den Tagen nach dem Treffen in Sotschi meldeten einige Stimmen in der westlichen Presse „wachsende Besorgnis“ über die „sich vertiefenden Beziehungen“ der Türkei zu Russland.

Die „Financial Times“ untermauerte diese Behauptung, indem sie anonyme „westliche Beamte“ zitierte. Einer soll angedeutet haben, dass die Türkei mit finanziellen Vergeltungsmaßnahmen – in der einen oder anderen Form – rechnen müsse, wenn sie „Russland zu nahe kommt“.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der Türkei Maßnahmen drohen. Vor zwei Jahren verhängten die USA Sanktionen gegen die türkische Rüstungsindustrie, nachdem Ankara eine Handvoll russischer S-400-Raketenabwehrsysteme gekauft hatte. Washington sagte auch den geplanten Erwerb von 100 in den USA hergestellten F-35-Kampfflugzeugen durch die Türkei ab.

Türkei liefert der Ukraine Drohnen

Nach Ansicht des türkischen Außenpolitik-Experten Halil Akıncı sind die angeblichen Bedenken des Westens hinsichtlich einer Annäherung der Türkei an Russland – auf Kosten der NATO – jedoch „völlig unbegründet“.

„Der Westen wirft uns immer wieder ungerechtfertigterweise vor, dass wir uns auf Russland zubewegen und uns von der NATO entfernen“, sagte Akıncı gegenüber der Epoch Times. Akıncı war von 2008 bis 2010 als türkischer Botschafter in Moskau tätig.

Die Türkei habe der Ukraine fortschrittliche Bayraktar-Drohnen geliefert, „wie kann man uns vorwerfen, dass wir uns auf Russland zubewegen?“, so der Diplomat.

Er wies auch schnell die Annahme zurück, dass es aufgrund der Ergebnisse des Treffens in Sotschi neue Gründe für eine Bestrafung Ankaras gäbe.

Die NATO verkenne konsequent die lebenswichtigen Sicherheitsinteressen der Türkei. Die Türkei sei das einzige NATO-Mitglied, das von seinen eigenen Verbündeten regelmäßig mit Sanktionen und Waffenembargos belegt werde. Dies habe das Land „dazu gezwungen, einen pragmatischen Ansatz gegenüber Russland zu wählen, obwohl es ein furchterregender Nachbar ist“.

Der Ex-Weiße-Haus-Berater Matthew Bryza stimmt dem zu. „Ich glaube keineswegs, dass sich die Türkei von der NATO oder der Ukraine weg auf Russland zubewegt hat“, sagte Bryza, der jetzt dem Vorstand der Denkfabrik Jamestown Foundation angehört.

In den Beziehungen zwischen der Türkei und Russland gebe es immer ein „Ziehen und Drücken“. Diese jüngsten Vereinbarungen – einschließlich der Bereitschaft der Türkei, den Handel mit Russland in Rubel abzuwickeln – spiegeln genau das wider.

„Dies ist lediglich eine Austauschbeziehung der Türkei [mit Russland], das andere Mitglieder des NATO-Bündnisses verärgert“, so Bryza.

„Türkei-zuerst-Politik“

Genau diese „Austauschbeziehung“ zu Moskau ermöglichte es der Türkei, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln – nicht ganz ohne Erfolg, wie Akıncı meint.

Im vergangenen Monat half Ankara bei der Vermittlung eines bedeutenden Abkommens zwischen den beiden Krieg führenden Ländern, das der Ukraine die Wiederaufnahme von Getreidelieferungen durch das Schwarze Meer ermöglichte. Als unmittelbare Folge sind bisher 16 mit Weizen beladene Frachtschiffe von ukrainischen Häfen aus zu Märkten im Ausland aufgebrochen. Dies hat das türkische Verteidigungsministerium am 13. August bestätigt.

Die Türkei verfolgt heute wie in der Vergangenheit den Ansatz, mit Russland zusammenzuarbeiten, wenn es von Vorteil ist, und sich dem russischen Expansionismus zu widersetzen, wenn es notwendig ist“, sagte Bryza.

Die Türkei sei immer bestrebt, „die Türkei wieder groß zu machen“, indem sie eine ‚Türkei-zuerst-Politik‘ verfolgt“, fügte er hinzu. Und das beinhalte eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland.

Bei seiner Rückkehr aus Sotschi erklärte Erdoğan gegenüber Reportern, dass die Türkei „hoffentlich“ an einem Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organisation) teilnehmen werde, die auf Einladung Putins im nächsten Monat in Usbekistan stattfinden soll.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: Western Fears of Turkish Tilt Toward Moscow Overblown, Experts Say

(deutsche Bearbeitung von sza)



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