Italiens Top-Thema: Migration und EU
Halb Italien jubelt. Zwischen Brüssel und Berlin herrscht hingegen seit den italienischen Wahlen Begräbnisstimmung. Denn die wichtigsten Akzente, die von der siegreichen Rechtsallianz zu erwarten sind, drehen sich um die zwei Stichworte: Migration und EU. Mit großer Sicherheit wird Italien in diesen Themen eine signifikante Kursumkehr vornehmen.
Auf der anderen Seite scheint Giorgia Meloni, die große Wahlsiegerin innerhalb des triumphierenden Rechtsbündnisses, außenpolitisch entschlossen an dem Kurs Italiens festzuhalten: pro-USA, pro-NATO, pro Ukrainehilfe. Innenpolitisch liegt Meloni auf einer christdemokratisch-konservativen Linie, etwa mit ihrer Betonung auf der klassischen Familie.
Migration als wichtiges Thema
Eigentlich müssten CDU/CSU und ÖVP sich also über den Erfolg des Rechtsbündnisses freuen, zu dem auch ihre in der EVP-Fraktion verbundene Schwesterpartei von Silvio Berlusconi gehört. Doch sie schweigen betreten oder senden sogar Kritik nach Italien. Insbesondere müsste es Deutschland und Österreich aufatmen lassen, dass Italien unter Meloni nicht mehr als Dauer-Landeplatz für die Schlepper-Hilfsschiffe dienen will.
Wenn Italien die illegale Wanderung über das Mittelmeer zu bremsen vermag, wird sich auch der Migrationsdruck auf die beiden Länder nördlich der Alpen ein wenig mildern, wohin ja viele der illegalen Migranten aus Afrika weiterziehen. Die Zahl der neu ankommenden Asylbewerber hat zuletzt Dimensionen erreicht wie 2015/16, wo ganz Europa in deren Bann gewesen ist. Die letzten Monate vor der Wahl waren von den humanitär getarnten Schleppern noch rasch für weitere Transportfahrten genutzt worden, solange in Italien noch die Linksregierung für offene Tore garantierte.
Freilich ist ein Schließen dieser Tore für Italien nicht einfach zu realisieren, da ja in der EU und den europäischen Gerichtshöfen die Migrationsfreunde das Übergewicht haben. Wirklich effiziente Maßnahmen können jedoch nur in europäischer Gemeinsamkeit erreicht werden: Ob es nun um eine Änderung der Pro-Migrations-Judikatur geht oder um die Übernahme des Beispiels der (konservativ regierten) Briten und der (sozialdemokratisch regierten) Dänen, die sich rechtliche Ausnahmen in Sachen Migration gesichert haben. Beide Staaten haben begonnen, Migranten nach Ruanda abzuschieben.
Zinsanhebungen als Rache der EU?
Meloni & Co werden aber nicht nur in Sachen Migration weitgehend von Brüssel abhängen. Das werden sie auch wirtschaftlich. Sie werden so wie all ihre Vorgänger in Sachen Defizit und Verschuldung die europäischen Regeln nicht einhalten können. Und auch nicht sonderlich wollen. Ist die Rechte doch so wie die Linke mit unfinanzierbaren Versprechungen – wie etwa Steuersenkungen – in den Wahlkampf gegangen.
Daher wird es spannend, ob die EU und die Europäische Zentralbank auch mit einem rechtsregierten Italien so milde und hilfreich umgehen werden wie mit den bisherigen Regierungen. Davon sollte Meloni aber eher nicht ausgehen. Denn die Zentralbank hat ja schon knapp vor der Wahl mit den ersten Zinsanhebungen begonnen und weitere angekündigt. Deren Folgen werden für Italien sehr schmerzhaft sein.
Dabei war die Nullzinspolitik des letzten Jahrzehnts eindeutig eine Hilfsaktion für Italien, das nur so seine große Staatsverschuldung tragen konnte. Dennoch wäre es falsch, die neuesten Zinsanhebungen als Strafe für die „falsche“ Wahl-Entscheidung der Italiener zu interpretieren. Sie sind vielmehr eher eine Reaktion auf die Inflation und die amerikanischen Zinsanhebungen.
Dennoch wird Rom jede weitere Zinsanhebung als Rache der EU ansehen. Das ist auch Folge einer Äußerung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese hat knapp vor der Wahl gesagt: „Wenn sich die Dinge (in Italien) in eine schwierige Richtung entwickeln, haben wir Instrumente wie im Fall von Polen und Ungarn.“
Das hat viele Italiener erzürnt. Das ist als versuchter Eingriff in demokratische Wahlen gesehen worden. Auch wenn Italien viel Geld aus Europa braucht, werden solche Sprüche und das Ansteigen der EZB-Zinsen, die EU-kritischen Stimmen in Italien, aber auch die zentrifugalen Tendenzen in vielen anderen Ländern vermehren.
Frankreich reagiert freundlicher als Deutschland
Denn zumindest beim Migrationsthema steht die italienische Rechtsregierung in Europa keineswegs alleine. Praktisch alle osteuropäischen Reformstaaten sind vehemente Gegner der von den europäischen Gerichtshöfen geförderten Migration. Ungarn und Polen sind da nur die lautstärksten. Aber auch Dänemark und (seit den jüngsten Wahlen) Schweden sind eindeutig zu den Migrationsgegnern zu zählen. Ebenso sind Griechenland und Österreich Befürworter einer viel restriktiveren Migrationspolitik.
Sollte diese Gruppe zu Geschlossenheit imstande sein, lässt sich in der EU schon arithmetisch keine qualifizierte Mehrheit mehr gegen sie durchsetzen. Zu welchem Thema auch immer. Die Träume von einem neuen EU-Vertrag, der noch mehr Macht in der EU zentralisiert, können sich die Anhänger Brüssels jedenfalls für lange abschminken. Auch die deutsch-französische Achse, die die EU als ihr Instrument ansieht, wird das berücksichtigen müssen.
Auffallend ist daher, dass Frankreich viel freundlicher auf das italienische Wahlergebnis reagiert als Deutschland. Das ist eine klare Folge der Tatsache, dass die AfD in Deutschland keine wirkliche machtpolitische Herausforderung ist – die Le-Pen-Partei in Frankreich hingegen schon. Daher geht Präsident Macron nicht mehr leichtfertig in einen schwierigen Kampf gegen Meloni.
Für die an der – ohnedies schon sehr ins Wanken geratenen – finanziellen Stabilität des Euro interessierten Länder wie Deutschland oder Österreich wachsen jedenfalls die wirtschaftlichen Sorgen aufgrund des Wahlergebnisses. Auch wenn sie wissen, dass der bisherige Premier Draghi mehr durch seine Absichten als durch echte fundamentale Reformen für die Stabilität der italienischen Finanzen und damit des Euro hilfreich gewesen ist –auch wenn sie die wirkliche Wirtschaftspolitik der Meloni-Regierung noch gar nicht kennen.
Die Sorge ist groß, dass Melonis Italien dem Euro noch weniger guttun wird als zuletzt durch Draghi.
Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.
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