Kann Indien China als globale Produktions- und Wirtschaftsmacht ablösen?

Angesichts der aggressiven Machtbestrebungen Pekings wird Indien als Produktionsland immer attraktiver. Doch gibt es einige Hürden. Welche das sind und auch welche Chancen sie sehen, sagen Indien-Experten Epoch Times.
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Der indische Premierminister Narendra Modi (Mitte) gibt am 25. September 2014 in Neu-Delhi den Startschuss für das Projekt „Make In India“.Foto: Raveendran/AFP/Getty Images
Von 15. Juni 2023


Inmitten der Bedrohung der bestehenden Weltordnung durch das kommunistische China wird Indien als demokratische Nation von vielen als aufstrebende Macht und als Gegengewicht zu China gesehen. Die robuste indische Wirtschaft weckt die Hoffnung, China als Werkbank der Welt zu ersetzen.

Anlässlich des USA-Besuches des indischen Premierministers Narendra Modi in der kommenden Woche, bei dem er auch vor dem Kongress sprechen wird, sprach Epoch Times mit zwei Indien-Experten: Kaush Arha, Senior Fellow am Krach Institute for Tech Diplomacy in Purdue, und Aparna Pande, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hudson Institute in Washington, D.C.

Beide halten das Narrativ, Indien würde China ersetzen, für verfrüht. Die Realität sei wesentlich differenzierter. Allerdings leugnen sie nicht, dass sich Indien auf Wachstumskurs befindet und das Land einige Vorteile mit sich bringt. Allerdings bedürfe es zuvor einiger grundlegender Reformen im Land, damit es eine globale Führungsrolle einnehmen könne, so die Experten.

„Dass Indien wirtschaftlich mit China konkurriert, ist übertrieben“, sagte Arha gegenüber Epoch Times. „Indien ist derzeit kein Rivale Chinas, sondern eher eine attraktive Alternative. Indien konkurriert vielmehr mit Japan, Südkorea, Vietnam, Australien (für wichtige Mineralien), Indonesien und um Unternehmen, die China verlassen.“

Indien ist für Unternehmen sicherer

Der Senior Fellow bei der Denkfabrik Atlantic Council in Washington, D.C., ist jedoch zuversichtlich, dass Modi und sein Außenminister Dr. S. Jaishankar „glaubhaft“ vorbringen können, dass Indien noch nie so „relevant und aktiv“ wie in den vergangenen zehn Jahren war. Auch böte Indien ganz andere Möglichkeiten in Bezug auf Wirtschaft, Sicherheit und Politik als China.

„Eine treibende Kraft für Indiens Wachstum ist die Sorge führender Unternehmen, in zu große Abhängigkeit von China zu geraten“, sagte Arha. Die willkürlichen Corona-Lockdowns der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zeigten die Risiken im Umgang mit den kommunistischen Machthabern. Sie legten die globalen Lieferketten und Produktionsstätten lahm. Hinzu käme noch der erzwungene Technologietransfer, sobald man in China als Unternehmen Fuß fassen wolle.

Hingegen verfüge Indien über führende Technologieindustrien, die von vielen englischsprachigen Arbeitskräften getragen werden, so Arha. Zudem sei Indien eine Demokratie, die von einer jungen Bevölkerung gestützt wird. Sie sei mehr auf dem Laufenden und weniger willkürlich.

Der krasse Gegensatz zwischen Indien und China zeige sich auch in der Haltung von Modi und Xi. „Xis Reden sind voll von Groll, Negativität und Ressentiments“, beschrieb Arha die Rede von Chinas Staatschef zum 100-jährigen Bestehen der KPC am 1. Juli 2021. Modis Reden hingegen seien optimistisch.

Während Xi den „nationalen Kampf“ betont und von „Demütigung“ und „Rache“ spricht für die Zeit nach dem Opiumkrieg, sei Indiens Haltung stabil und ohne Groll über die Vergangenheit. Und das, obwohl Indien fast zwei Jahrhunderte lang unter Kolonialherrschaft stand. Indiens Widerstandsfähigkeit sei Arha zufolge wesentlich attraktiver als Chinas Ressentiments.

Zu wenig qualifizierte Facharbeiter

Die Indien-Expertin Aparna Pande bestätigte gegenüber Epoch Times, dass Indien aktuell von fast allen Ländern der Welt umworben werde. „Das Jahr 2023 wird als das Jahr Indiens angesehen.“ Allerdings müsse sich noch zeigen, ob Indien das in Wirtschaftswachstum umsetzen kann, sagte sie.

Grundsätzlich habe Indien die Möglichkeit, China zu ersetzen, allerdings sei bis dahin noch eine Menge Arbeit zu erledigen. „Reformen sind notwendig, und ohne sie kann Indien nicht so schnell wachsen. Indien kann nicht andere nachahmen. Es muss seinen eigenen Weg gehen“, so Pande. Das sei aber nicht neu. Indiens Wirtschaftswissenschaftler und politische Entscheidungsträger wüssten, was zu tun sei.

„Indiens Arbeitskräfte sind nicht so qualifiziert und gut ausgebildet wie die in Südostasien“. Apple-Telefone würden in Indien zwar zusammengebaut, aber nicht hergestellt, sagte sie. Nur zehn Prozent der indischen Arbeitskräfte seien Fachkräfte, verglichen mit 60 Prozent in den allermeisten Ländern.

Zu wenig Frauen

Zweitens, so Pande, brauche Indien mehr Frauen in der Arbeitswelt. „Indien hat einen der niedrigsten Prozentsätze an Frauen in der Erwerbsbevölkerung, und viele internationale Produktionsunternehmen wünschen sich weibliche Arbeitskräfte“, sagte sie. Die meisten Textilarbeiter in der Welt seien Frauen. In Indien sei der Anteil der Frauen in diesem Bereich sogar von 40 Prozent in den 1990er-Jahren auf heute etwa 20 Prozent gesunken.

Arha sieht das ähnlich. Die meisten Menschen in Indien lebten trotz zunehmender Verstädterung auf dem Land. Das indische Bildungssystem halte aktuell mit der industriellen Entwicklung nicht mit. Aus seiner Sicht sei es notwendig, die Bildung, insbesondere die höhere Schul- und Berufsausbildung, auf die Bedürfnisse der Industrie zuzuschneiden.

Gleichzeitig würde der wirtschaftliche Aufschwung Indiens die Urbanisierung weiter vorantreiben, was wiederum eine bessere Infrastruktur erfordere.

Indien als digitale Supermacht

In der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft sieht Arha einen klaren Vorteil für Indien. Seiner Ansicht nach könne die Entwicklung in Indien ungebremst voranschreiten, während sie in China durch die KPC kontrolliert und dadurch eingeschränkt werde. Als Beispiel für eine solche Entwicklung nannte er den Bereich des datengesteuerten Edge-Computing.

„Indien kann eine regionale und globale Macht im Bereich Daten werden. Künstliche Intelligenz (KI) wird einen größeren Wandel bewirken als 5G-Netze“, so Arha. „Indien kann so zum indopazifischen Knotenpunkt für vertrauenswürdige Datenströme werden.“

Edge-Computing ist eine Spitzentechnologie, mit der Daten, ohne über ein Rechenzentrum laufen zu müssen, in Echtzeit ausgewertet werden können, erklärt KI-Forscherin Dr. Sahar Tahvili und Autorin des Buches „Artificial Intelligence Methods of Optimization of the Software Testing Process“ gegenüber Epoch Times.

Dieser Ansatz berge ein immenses Potenzial, größere Datenmengen effizient zu verarbeiten, wodurch Wissen revolutioniert würde. Edge-Computing könne der Expertin zufolge im Bereich der Wirtschaft große Veränderungen bewirken.

„Durch den Einsatz von Edge-Computing können Unternehmen ihre Effizienz, Agilität und Wettbewerbsfähigkeit verbessern, da die Technologie es ihnen ermöglicht, wertvolle Erkenntnisse aus Daten in Echtzeit zu gewinnen“, so Tahvili. Das wiederum würde Entscheidungsfindungen beschleunigen, sodass sich Unternehmen schneller an neue Gegebenheiten anpassen könnten.

„Mit dem weiteren Voranschreiten des Edge-Computing werden die Auswirkungen der Technologie in Branchen wie Fertigung, Logistik, Gesundheitswesen und intelligente Städte spürbar sein“, sagte sie. Die Möglichkeiten seien vielfältig und reichten von der Echtzeitüberwachung und -analyse der Maschinenleistung bis hin zur Unterstützung autonomer Fahrzeuge und intelligenter Infrastrukturen.

„Diese Technologie kann potenziell verschiedene Wirtschaftssektoren umgestalten, Wissen revolutionieren, wirkungsvolle Innovationen vorantreiben und Indien zum Super-Hub für Daten und Datenanalyse machen“, so Tahvili weiter.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „IN-DEPTH: Can India Replace China as Global Manufacturing and Economic Powerhouse?“ (deutsche Bearbeitung nh)



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