Nach „Likes“ auf Instagram: Bundeswehr-Offizier von „Panorama“ zum beruflichen Abschuss freigegeben

Ein Like für ein Stillleben mit Kaffee und Buch auf Instagram als Karriere-Killer? Das NDR-Magazin „Panorama“ hält dies für angemessen: Nach einer Kampagne des Magazins hat die Bundeswehr ihren Social-Media-Referenten Marcel Bohnert von seiner Aufgabe entbunden.
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Likes bei Instagram führten zu einer Kampagne gegen einen Oberstleutnant der Bundeswehr. Die "NZZ" schreibt: "Jeder, der ein fragwürdiges ‚Gefällt mir‘ setzt, kann seinen Job verlieren und öffentlich gebrandmarkt werden, selbst wenn er seine Herzchen womöglich nur aus Unachtsamkeit und nicht aus Überzeugung vergeben hat: Das ist der Subtext dieses öffentlich-rechtlichen Beitrags.“Foto: iStock
Von 29. Juli 2020

Ein Angehöriger der Bundeswehr, der, weil sein dortiges Verhalten von Dritten überwacht wird, wegen eines Likes in sozialen Medien schwerwiegende Konsequenzen zu befürchten hat? „Erschreckend“ fand Caroline Walter, Buchautorin und Redakteurin beim ARD-Magazin „Panorama“, so etwas am 9. August 2019.

Damals ging es um einen Bundeswehrsoldaten, der in der Türkei festgenommen wurde, weil er einen Facebook-Beitrag gelikt haben soll, in dem der dortige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan angegriffen wurde.

Ein Instagram-Bild mit einem Buch und einer Kaffeetasse scheint im Juli 2020 ihre Meinung geändert zu haben. Dieses wurde auf Instagram mit einem Like versehen – vom Oberstleutnant der Bundeswehr Marcel Bohnert. Dieser war zu diesem Zeitpunkt Referent für Social Media im Verteidigungsministerium. Das Like für ein solches Bild war einer der Gründe, warum „Panorama“ auf mehreren Kanälen begann, eine Kampagne gegen den Offizier zu führen, die den augenscheinlichen Zweck verfolgte, Druck aufzubauen, damit die Bundeswehr dienstrechtliche Schritte gegen Bohnert unternimmt.

Das Bild wurde von einem Account gepostet, der den Namen „incredible_bramborska“ trägt. Neben der Kaffeetasse lag das Buch „Der letzte Franzose“ des im Juni verstorbenen französischen Buchautors und Monarchisten Jean Raspail. Im Unterschied zu seinem 1985 erschienenen Werk „Das Heerlager der Heiligen“ ist dieses Werk, das erst 2014 vom Publizisten Martin Lichtmesz übersetzt wurde, im deutschsprachigen Raum wenig bekannt.

Es spricht daher einiges dafür, dass die Beifallsbekundung, der Bohnert durch das „Like“ Ausdruck verlieh, dem Stillleben-artigen Bildmotiv galt und nicht einem Inhalt des Buches, dessen Autor oder dessen Übersetzer.

Account mit Affinität zu rechts-sozialistischem Verlag

Woran „Panorama“ Anstoß nahm, ist der Umstand, dass „Bramborska“ insgesamt eine starke Affinität zum „Antaios“-Verlag aufweist, dessen Sitz sich an derselben Adresse befindet wie der des Instituts für Staatspolitik (IfS) – auf dem Rittergut Schnellroda, das 2002 vom Verleger Götz Kubitschek erworben wurde. Das IfS wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall bezüglich rechtsextremistischer Bestrebungen eingestuft.

Raspail-Übersetzer Lichtmesz, dessen Name als Hashtag unter dem gelikten Bild auftaucht, verfasst auch regelmäßig Artikel für die IfS-Publikation „Sezession“, die unter anderem nationalistische, sozialistische und proiranische Ansichten beinhalten. Er und IfS-Gründer Kubitschek pflegten über längere Zeit hinweg auch ein Naheverhältnis zur ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“ (IB).

Mittlerweile ist Schnellroda jedoch zur IB auf Distanz gegangen, Kubitschek hält die Bewegung für „kontaminiert“. Panorama zufolge soll auch „Bramborska“, dessen Instagram-Account mit der Bezeichnung „Kernreaktionär“ nicht mehr verfügbar ist, auch Sympathien gegenüber der IB geäußert haben.

Burschenschaft lud zum Vortrag über Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan

Bohnert soll außerdem noch ein Bild des „Bramborska“-Accounts gelikt haben, das Buchrücken von Veröffentlichungen des Antaois-Verlages in einem Bücherregal zeigt. Zudem werden ihm ein Vortrag über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vor der Münchner Burschenschaft „Cimbria“ im Jahr 2015 und die Teilnahme an einer sicherheitspolitischen Tagung des „Studienzentrums Weikersheim“ zur Last gelegt. Von dieser Gruppe sei bekannt, dass sie „die Grenzen zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus verwischt“.

Allerdings referierten in diesem angeblich der „Grauzone“ zugehörigen Studienzentrum auch schon eine Reihe namhafter Persönlichkeiten der politischen Klasse in Deutschland und sogar der Welt – von Altkanzler Gerhard Schröder bis hin zu Papst Johannes Paul II.:

Am 23.7. kündigte Anja Reschke in Panorama dann den Beitrag von Kathrin Kampling und Caroline Walter an, wobei sie sich „überrascht“ darüber äußerte, dass die Redakteure „auf einen Oberstleutnant gestoßen sind, der im Netz mit Rechtsradikalen sympathisiert“. Immerhin hätten ja „sowohl Verteidigungsministerin von der Leyen als auch ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer […] klargemacht, dass rechte Gesinnung nicht toleriert würde“. Das „war deutlich und unmissverständlich und sollte auch bei denen, die solche Einstellungen haben, angekommen sein“.

„Inhalte hätte ich mir in jedem Fall genauer ansehen müssen“

Der Erfolg der Kampagne ließ nicht lange auf sich warten. Prompt teilte das Bundesverteidigungsministerium mit, man werde die Vorwürfe „umgehend und sorgfältig prüfen“. Die Ministerin verfolge eine „absolute Null-Toleranz-Linie, insbesondere was rechte Tendenzen angeht“. Wenig später hieß es, der Bohnert sei „nicht mehr in seiner Funktion tätig“.

Im „Spiegel“ erklärte der Offizier, er habe mit dem Like „einen fatalen Fehler gemacht“. Weiter sagte er:

„Ich hätte klüger sein müssen. Mir ging es darum, die Community von Soldaten zu unterstützen, die im Netz von ihrem Alltag berichten und so die Bundeswehr sichtbarer machen. Doch die Inhalte hätte ich mir in jedem Fall genauer ansehen müssen, stattdessen habe ich so gut wie alles mit einem Herz versehen, was unseren Hashtag erwähnte.“

Mit dem Hashtag meinte er den von der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr kreierten #socialmediadivisdion. Er habe regelmäßig Instagram-Beiträge von Soldaten und denen, die den Hashtag enthielten, „kurz gescannt und häufig mit einem Herz versehen“, um „den Stimmen der Soldaten eine größere Reichweite“ zu geben.

Was die Person hinter dem Account „incredible_bramborska“ anbelangt, könne er sich an ein länger zurückliegendes persönliches Gespräch erinnern, allerdings habe er nicht gewusst, dass dieser sich in Richtung der extremen Rechten entwickelt habe. Auch habe er nicht kontrolliert, wer hinter Accounts gestanden habe, die den Hashtag geteilt hätten.

Panorama-Redakteure intensiv mit linksextremistischen Accounts vernetzt

Das Vorgehen der Panorama-Redaktion stieß nicht nur auf wohlwollende Reaktionen. In sozialen Medien war von „Gesinnungsschnüffelei“, „Hexenjagd“ und „Heuchelei“ die Rede, die insbesondere darin zum Ausdruck komme, dass die für den Beitrag mitverantwortliche Caroline Walter an anderer Stelle beklagt habe, dass ein Like in sozialen Medien in der Türkei zu einer Festnahme geführt hätte.

Zudem wurde der Redakteurin vorgeworfen, es selbst mit der Distanz zu extremistischem Gedankengut auf sozialen Medien nicht allzu genau zu nehmen. So enthüllte ein Twitter-Nutzer, dass Walter allein auf Twitter mehreren Accounts folgt, die eindeutig dem zum Teil sogar gewaltbereiten linksextremistischen Spektrum zuzurechnen sind:

Was Vorwürfe einer Vernetzung anbelangt, rechtfertigt sich Walter damit, dass diese lediglich den Zwecken der „Recherche“ diene. Sie bringe keine Zustimmung zu den Inhalten der Accounts durch Likes oder ähnliches zum Ausdruck:

Kritiker weisen jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Redakteurin zwar linksextremistischen Accounts zu „Recherchezwecken“ folge, nicht aber solchen der Rechten – und das, obwohl sie bis dato zwar zahlreiche Beiträge über angebliche oder tatsächliche verfassungsfeindliche Umtriebe von rechts, aber noch nie welche über solche von links produziert habe.

„Legitime Verdachtsberichterstattung“

Auch was den Vorwurf anbelangt, die Karriere eines Offiziers aufgrund von im Grunde unerheblichen und uneindeutigen Bekundungen seines Privataccounts auf sozialen Medien zu zerstören, empfindet man aufseiten des Magazins keinerlei Unrechtsbewusstsein.

„Was Panorama getan hat, nennt sich Verdachtsberichterstattung“, belehrt das NDR-Magazin die Urheber der „schrägen Vorwürfe“, die gegen die Redaktion erhoben worden seien. „Diese ist legitim, denn um Missstände aufzudecken, können und dürfen Journalisten nicht abwarten, bis Vorwürfe dienst-, straf- oder zivilrechtlich geklärt sind.“

Journalisten seien auch keine Dienstherren oder Zuträger der Staatsanwaltschaft, sondern müssten „in angemessenem Rahmen unter Wahrung der Unschuldsvermutung über Vorwürfe berichten“. Dies habe Panorama getan, ohne zumindest anfangs den Namen des Offiziers zu nennen: „Dies geschah erst nach der Sendung, da Oberstleutnant Bohnert die vorgehaltenen Sachverhalte im Wesentlichen eingeräumt hatte. Zudem sei ja „alles, was wir berichtet haben, […] bestätigt“ worden.

Immerhin habe Bohnert „nicht nur einmal ein ‚Gefällt mir‘ unter die Beiträge des Anhängers der ‚Identitären Bewegung‘ gesetzt, sondern mehrmals“ – und diese Likes stünden auch „im Kontext seiner Vorträge vor rechten Kreisen, zu denen wir Hinweise nach der Sendung bekamen“.

NZZ: Vorwürfe beruhen „allein auf Kontaktschuld“

Im NDR-Magazin spricht man kritischen Formaten durch das Setzen des Begriffs „Medien“ in Anführungszeichen zudem implizit ab, über die erforderliche Seriosität zu verfügen, um das Vorgehen der Panorama-Redaktion zu hinterfragen. Kritisch berichtet hatten unter anderem die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) und die „Welt“.

Die NZZ verwendet im Zusammenhang mit der Panorama-Berichterstattung den Begriff der „Gesinnungsschnüffelei“ und diagnostiziert, dass die bis dato gegen den Offizier vorgebrachten Anschuldigungen nach derzeitigem Erkenntnisstand „allein auf Kontaktschuld“ beruhen. Die Botschaft sei eine düstere:

Jeder, der ein fragwürdiges ‚Gefällt mir‘ setzt, kann seinen Job verlieren und öffentlich gebrandmarkt werden, selbst wenn er seine Herzchen womöglich nur aus Unachtsamkeit und nicht aus Überzeugung vergeben hat: Das ist der Subtext dieses öffentlich-rechtlichen Beitrags.“

„System gleichdenkender Langweiler“ statt Redefreiheit

Der Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, Johannes Boie, schreibt:

Legte man an die Journalistin, die über den Mann recherchierte, dieselben Maßstäbe an wie sie an ihn, müsste sie sofort vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“

Was „kein seriöser Journalist macht“, sei, jemanden wegen einzelner „Likes“ oder vereinzelter Verbindungen im Internet zu verurteilen. Genau das sei im Netz aber Alltag geworden. Der nunmehrige Fall stehe „für eine Welt, in der eine dem Zeitgeist angepasste McCarthy-hafte Gesinnungskontrolle Menschen in ‚gut‘ und ‚böse‘ sortiert“.

Wer mitmache, bekämpfe die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Gedanken, er verurteile die Neugierigen und fördere ein „System gleichdenkender Langweiler“.



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