Peking zensiert Finanznachrichten: Schlecht über die Wirtschaft reden ist verboten

Dieser Gastbeitrag ist der Originaltext zum Video: „Peking zensiert Finanznachrichten: Schlecht über die Wirtschaft reden verboten“ vom YouTube-Kanal „Leas Einblick“

Am Sonntag, dem 5. September, kurz nach 6 Uhr morgens, landete auf einmal ein schwarzer Schwan auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Herzen der chinesischen Hauptstadt Peking. 

Fast zwei Stunden lang spazierte der schwarze Schwan auf dem Platz. Der ungewöhnliche Anblick hat zahlreiche Touristen angelockt.

Wie das Amateurvideo zeigt, machte der schwarze Schwan einen relativ gelassenen Eindruck, obwohl er von vielen Menschen umringt war, die Fotos von ihm machten.

Videos und Fotos von diesem schwarzen Schwan haben in den chinesischen  sozialen Netzwerken und Medien innerhalb und außerhalb Chinas für großes Aufsehen gesorgt.

Wie kommt es, dass ein schwarzer Schwan international so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht?

Schwarze Schwäne sind in Australien beheimatet. 

Bis zum 18. Jahrhundert waren sie in Europa absolut unbekannt. Alle Schwäne, die man damals in Europa sah, waren weiß. 

1697 sah ein niederländischer Seefahrer erstmals einen schwarzen Schwan in Westaustralien. Nachdem weitere Reisende über die schwarzen Schwäne in Australien berichteten, wurde der „Schwarze Schwan“ zur Metapher eines zwar unwahrscheinlichen und absolut unvorstellbaren, aber doch möglichen Ereignisses.

Der Begriff „Schwarzer-Schwan-Effekt“ wurde weltweit durch das Buch eines amerikanischen Publizisten Nassim Nicholas Taleb bekannt. Das Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ erschien im Jahr 2007.

Dieses Buch stand 36 Wochen lang auf der Bestseller-Liste der „New York Times“. Es beschäftigt sich mit den extremen Auswirkungen höchst seltener und schwer vorhersehbarer Ausreißer-Ereignisse, die weitreichende, zumeist negative Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft mit sich bringen. Diese Ereignisse nannte der Autor „Schwarze Schwäne“.

Zu den „Schwarzen Schwänen“ in der jüngeren Zeit gehören zum Beispiel 

Seit zwei Jahren warnt Chinas Staatspräsident Xi Jinping immer wieder vor „Schwarzen Schwänen“ und „Grauen Nashörnern“ angesichts der ernsthaften politischen und wirtschaftlichen Lage Chinas.

Der „Schwarze Schwan“ ist, wie gesagt, eine Metapher, welche ein unvorhersehbares, seltenes Ereignis beschreibt, das extreme Auswirkungen auf die Gesellschaft mit sich bringt.

Das „Graue Nashorn“ steht für eine Gefahr, die für jeden erkennbar ist, aber trotzdem so lange ignoriert wird, bis der Schaden eintritt.

Im Januar dieses Jahres forderte Xi die Mitglieder des Zentralkomitees der kommunistischen Partei Chinas auf, sich ausreichend auf „Schwarze Schwäne“ und „Graue Nashörner“ vorzubereiten. Er sorgt sich um die Instabilität im eigenen Land. 

Am 28. August kündigte Chinas Internet-Regulierungsbehörde eine zweimonatige Säuberungskampagne im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung an. Institutionen und Personen, die Finanzinformationen im Internet veröffentlichen, werden strengt kontrolliert. Die Betreiber aller sozialen Netzwerke in China, wie zum Beispiel Wechat, Douyin, Sina Weibo und Kuaishou, sind aufgefordert, Konten von Personen und Institutionen zu sperren, die gegen die Richtlinien der Partei verstoßen.

Betroffen sind diejenigen, die sozusagen „wiederholt illegale Finanznachrichten“ veröffentlichen, Chinas Wirtschaftspolitik missinterpretieren, schlecht über Chinas Finanzmärkte sprechen und Gerüchte verbreiten.

Das bedeutet, es darf nur noch eine Stimme geben, nämlich die Stimme der Parteiführung. In China sind alle Medien staatlich. Sie sind von vorneherein gleichgeschaltet.

Mit der Entwicklung der sozialen Netzwerke ist aber schnell ein Bereich entstanden, der noch nicht hundertprozentig vom Staat reguliert wurde, nämlich die sogenannten „Self-Media“.  

Der Begriff „Self-Media“ bezieht sich auf unabhängig betriebene Konten von Institutionen oder Privatnutzern, die Originalinhalte produzieren, aber nicht offiziell bei den Behörden registriert sind. 

Mit der Säuberungskampagne sollen nun Konten von Benutzern gesperrt werden, die aus der Reihe tanzen. 

Wer über die hohe Schuldenlast der Regierungen auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen, die Immobilienblase, Rezession, Stagflation oder über den Anstieg der Arbeitslosigkeit schreibt, wird die Verbreitung von negativer Energie unterstellt. Es ist nicht mal erlaubt, unkommentiert ausländische Berichte über die wirtschaftliche Lage Chinas zu verbreiteten. Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung und Analysen, die zu Markt-Schwankungen führen könnten, sind ebenfalls verboten.

Zusammengefasst heißt es: In Zukunft darf man in China nur noch sagen, wie genial die Wirtschaftspolitik der Regierung ist und wie stabil die Finanz- und Wirtschaftslage ist. 

Die Begriffe wie „Schwarze Schwäne“ und „Graue Nashörner“ werden aufgrund der Zensur möglicherweise aus den sozialen Netzwerken verschwinden. Die Nutzung dieser Begriffe gehört zu den Privilegien der Parteiführung. 

Gerade durch die übertragene Bedeutung des Begriffs der „Schwarzen Schwäne“ erhielt der schwarze Schwan auf dem Platz des Himmlischen Friedens enorme Aufmerksamkeit.

In China sind schwarze Schwäne in der Natur nur ganz selten zu sehen. Wegen ihrer Schönheit haben etliche chinesische Parks in den letzten Jahren schwarze Schwäne von Australien nach China eingeführt. 

Ein Mitarbeiter einer Wildtierschutz-Organisation in Peking erklärte gegenüber der „Beijing Daily“, dass es sich bei diesem schwarzen Schwan wahrscheinlich um einen jungen Schwan handelte, der wahrscheinlich von seinen Eltern vertrieben wurde und dann irrtümlich auf dem Platz des Himmlischen Friedens landete. 

Der Platz des Himmlischen Friedens gilt als die wichtigste politische Bühne Chinas. Er ist einer der größten Plätze der Welt mit einer Gesamtfläche von 440.000 Quadratmetern. Der Ort ist von hoher politischer Bedeutung. Ein Symbol für die Macht.

Dass ein schwarzer Schwan hier spaziert, ist höchst seltsam. Es ist daher nicht auszuschließen, dass jemand diesen schwarzen Schwan absichtlich in die Nähe des Platzes gebracht und dann freigelassen hat, um gegen die Zensur im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung zu protestieren.

An dieser Stelle zeige ich euch eine Tabelle, damit wir besser verstehen können, warum die chinesische Regierung noch stärkere Zensuren im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung einführt.

Bei dieser Tabelle handelt es sich um eine Übersicht der Aktienwerte einiger an der New Yorker Börse gelisteten chinesischen Konzerne in diesem August.

In den letzten Monaten nehmen die chinesischen Behörden immer mehr Industriezweige an die Kandare. Die verschärften Regeln gegen ausländische IPOs von chinesischen Tech-Konzernen, der Schlag gegen den Fahrdienstvermittler Didi sowie der Regulierungsschlag gegen die kommerzielle Nachhilfeindustrie haben die Aktienkurse dieser Unternehmen mit einer Blitzgeschwindigkeit in den Keller getrieben.

Wie wir sehen, sind die Aktienkurse der chinesischen Unternehmen im Bildungssektor um über 90 Prozente gefallen. Im Technologiesektor ist beispielsweise der Aktienkurs von Alibaba um etwa die Hälfte gefallen. Die Unternehmen auf dieser Liste gehören alle zu den am schnellsten wachsenden Branchen in China.  Nun liegen sie entweder am Boden oder warten darauf, von der Regierung zerschlagen zu werden. 

Wie viele Menschen werden dann ihre Arbeit verlieren? Darüber soll nicht diskutiert werden.

Vermutlich dient diese Säuberungskampagne im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung auch als eine Vorbeugungsmaßnahme der chinesischen Regierung gegen Schwarze Schwäne und Graue Nashörner, die vielleicht bald auftreten werden, wie zum Beispiel das Platzen der Immobilienblase.

Chinas zweitgrößter Immobilienentwickler Evergrande steckt seit längerer Zeit in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten. 

Sollte Evergrande im nächsten Jahr 37 Milliarden Dollar Schulden nicht zurückzahlen, sodass das Unternehmen unter dem Schuldenberg zusammenbricht, könnte das Schockwellen durch das ganze chinesische Bankensystem jagen.



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