Redefreiheit als Auslaufmodell: Nur ganz Linke haben in den USA keine Angst, ihre Meinung zu äußern

Radikale Linke haben im herrschenden politischen Klima der USA am seltensten Bedenken, ihre Meinung frei zu äußern. Aber auch unter ihnen nimmt der Anteil derer, die Selbstzensur üben, zu. In fast allen Gruppen halten Mehrheiten ihre wahren Ansichten zurück.
Von 27. Juli 2020

In den USA, wo der erste Verfassungszusatz dem Staat vollumfänglich untersagt, die freie Rede durch Gesetze einzuschränken, und der Supreme Court lediglich ganz enge Bereiche definiert hat, in denen diese nicht geschützt sei – etwa bei einem vorsätzlichen „Feuer“-Ruf in einem voll besetzten Kino –, üben immer mehr Menschen Selbstzensur.

Nicht weniger als 62 Prozent aller US-Amerikaner gaben in einer Cato-Umfrage an, vor dem Hintergrund des herrschenden politischen Klimas davor zurückzuschrecken, offen ihre Meinung zu sagen, weil andere diese „beleidigend“ finden könnten.

Selbst 52 Prozent in der Mitte-Links-Gruppe sagen ihre Meinung nicht offen

Bereits im Jahr 2017 hatten 58 Prozent sich in diesem Sinne geäußert. Sogar 52 Prozent der befragten Demokraten äußerten, sie verträten politische Meinungen, die sie sich nicht öffentlich zu äußern getrauten. Von den Unabhängigen erklärten dies 59 Prozent und von den Republikanern 77 Prozent.

Betrachtet man die Ergebnisse nach der Selbsteinschätzung innerhalb des politischen Spektrums, gibt es nur eine Gruppe, die mit 58 Prozent mehrheitlich der Auffassung ist, ungehindert und ohne Furcht vor Konsequenzen sagen zu dürfen: nämlich diejenigen, die sich als „strong liberal“ bezeichnen, im Grunde also die radikale Linke.

Selbst unter jenen, die sich selbst lediglich als „liberal“, also Mitte-Links, einstufen, bekennt sich eine Mehrheit von 52 Prozent zur Selbstzensur. Unter den Moderaten halten sich bereits 64 Prozent bei der Meinungsäußerung zurück, bei den Konservativen oder stark Konservativen jeweils 77 Prozent. Noch im Jahr 2017 waren in der linken Mitte noch 54 Prozent der Auffassung, sie könnten frei über ihre politischen Überzeugungen sprechen.

Fast alle leiden unter zunehmendem Gesinnungsdruck

Obwohl die radikale Linke nach eigenen Angaben als privilegierte Kraft von einem sich verengenden Meinungskorridor profitiert, verstärkt sich auch dort zunehmend der Eindruck, im vorherrschenden politischen Klima weniger sagen zu dürfen.

Immerhin ist der Anteil der „Strong Liberals“, die diesen Eindruck haben, seit 2017 um 12 Prozent angewachsen und damit stärker als in allen anderen Lagern – wo man zuvor schon bekannte, vorsichtig bei der Äußerung eigener Überzeugungen zu sein. Vor drei Jahren waren es nur 30 Prozent der Radikal-Linken, die bekannten, sich in dem vorherrschenden Meinungsklima bei der freien Rede zurückzuhalten.

Im Mitte-Links-Segment, unter den Moderaten und bei den gemäßigt Konservativen liegt die Steigerung bei jeweils sieben Prozent. Bei den Rechtskonservativen ist nur ein Prozent mehr als 2017 der Auffassung, nicht frei reden zu können, allerdings ausgehend von einem Wert von 76 Prozent.

Mit 49 Prozent stellen Afroamerikaner nach demografischer Aufschlüsselung die einzige Gruppe, in der weniger als 50 Prozent erklären, sie würden angesichts des politischen Klimas davor zurückschrecken, offen ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Sowohl unter Latinos (65 Prozent) als auch unter Weißen (64 Prozent), Männern (65 Prozent), Frauen (59 Prozent), Personen mit Jahreseinkommen über 100.000 US-Dollar (60 Prozent), jenen unter 20.000 (58 Prozent), Befragten unter 35 Jahren (55 Prozent), solchen über 65 (66 Prozent) und Religiösen (71 Prozent) ebenso wie Nichtreligiösen (56 Prozent) sagt die Mehrheit nicht, was sie denkt.

Staat kann in den USA niemanden für Meinung belangen

Da es nicht der Staat ist, der in den USA Menschen wegen ihrer Meinung belangen kann, sind es vor allem soziale Folgen wie der Jobverlust, der diese dazu bringt, Selbstzensur zu üben.

Einige davon scheinen aber selbst Teil des Problems zu sein: So erklärten 31 Prozent der Befragten, davon 50 Prozent der Linksaußen, sie würden private Spenden an Donald Trump als Grund ansehen, einen Manager zu entlassen. Befragte unter 30 antworteten zu 44 Prozent in diesem Sinne.

Eine Spende an Joe Biden würden 22 Prozent insgesamt und 36 Prozent der stark Konservativen als Grund betrachten, einen Vertreter eines Unternehmens zu feuern. Auch hier sind die jüngsten Befragten (27 Prozent) die intolerantesten.

Allerdings ist der Abstand zur Gruppe der ältesten geringer als bei Trump-Gegnern. Unter den Älteren antwortete jeweils nur etwa ein Fünftel, eine private Spende an einen der Kandidaten rechtfertige eine Kündigung.

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