Russland erkennt Protostaaten an – Putin wirft Ukraine Planung von „Blitzkrieg“ vor

Am Montagabend verkündete Russlands Präsident Wladimir Putin die Anerkennung der separatistischen „Volksrepubliken“ im Donbass als souveräne Staaten und unterzeichnete mit deren Führern Freundschaftspakte. Damit ergeben sich Parallelen zur Zypernkrise der 1970er-Jahre.
Titelbild
Der russische Präsident Wladimir Putin.
Von 22. Februar 2022

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hat die separatistischen Protostaaten im ostukrainischen Donbass als „unabhängig“ anerkannt. Zudem hat er Freundschafts- und Beistandsverträge mit deren selbst ernannten Führern unterschrieben.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell droht für einen Fall der Annexion der Gebiete durch Russland Sanktionen an – als deutlich wahrscheinlicher als eine staatsrechtliche Eingliederung in russisches Staatsgebiet erscheint jedoch ein Szenario, wie es sich in den 1960er- und 1970er-Jahren auf Zypern vollzogen hat.

Putin erklärt Minsker Abkommen für gescheitert

In einer TV-Ansprache schilderte Putin die Gründe für die Anerkennung der abtrünnigen Regionen, die jeweils einen Teil der ukrainischen Provinzen Donezk und Lugansk umfassen. Er bezeichnete die Minsker Abkommen von 2015, die Frieden und Autonomie in der Region schaffen sollten, für gescheitert, weil die Ukraine an einer friedlichen Lösung nicht interessiert sei.

Putin warf der Regierung in Kiew vor, die von den Separatisten kontrollierten Gebiete durch einen „Blitzkrieg“ befreien zu wollen und „jeden Tag Truppen im Donbass angesammelt“ zu haben. Die Ukraine hatte bis zuletzt bestritten, den Donbass-Konflikt mit Waffengewalt lösen zu wollen.

Der russische Präsident warf der ukrainischen Regierung vor, „extremen Nationalismus“, „Nazismus“ und „Russophobie“ zu den Grundlagen ihrer Politik gemacht zu haben, obwohl beide Staaten und Völker so vieles an historischen, kulturellen und familiären Gemeinsamkeiten verbinde.

Er wies auf jüngste Gesetze zur Beschränkung russischsprachiger Nachrichtenformate und zur Zurückdrängung der russischen Sprache auf Kosten der Muttersprachler hin. Zudem versuche die Ukraine, ihren Eintritt in die NATO zu erzwingen, um fremde Staaten in einen Konflikt mit Russland zu ziehen.

Russland könnte Armee in den Donbass schicken

Mit dem derzeitigen Schritt, der einem mit großer Mehrheit angenommenen Beschluss der Staatsduma entspricht, sinkt die Wahrscheinlichkeit etwas, dass Russlands Armee eine breite Invasion in die Ukraine starten könnte. Allerdings könnte sich der Kreml vorbehalten, im Rahmen der Beistandsabkommen mit den von ihm nun anerkannten „Volksrepubliken“ Militär auf deren Territorium zu entsenden.

Auch das würde dem Zypern-Szenario nahekommen. Allerdings war dort der zeitliche Rahmen zwischen den einzelnen Eskalationsschritten ein anderer. Die Mittelmeerinsel wurde 1960 auf der Grundlage des Zürcher und Londoner Abkommens zwischen Großbritannien, Griechenland, der Türkei und den Repräsentanten der griechischen und der türkischen Volksgruppe Zyperns unabhängig.

Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Ukraine gab es das Budapester Memorandum von 1994, dessen Rechtscharakter weniger verbindlich war als die multilateralen Zypern-Verträge und sich vor allem mit dem Besitz von Atomwaffen befassten.

Bereits im Zusammenhang mit den Ereignissen von 2014 beschuldigten der Westen und Russland sich gegenseitig, durch die jeweiligen Interventionen in der Ukraine das Abkommen gebrochen zu haben. Zudem hat die ukrainische Regierung selbst jüngst mit der Wiederbeschaffung von Atomwaffen gedroht, sollte die NATO sie nicht zeitnah unter ihren Schutzschirm nehmen.

Ultranationalismus auch auf Zypern der Auslöser bewaffneter Konflikte

Im Fall der Zypernkrise gab es wie auch in der Ukraine nach deren Unabhängigkeit im Jahr 1996 eine Verfassung, die eine Anerkennung, Schutzrechte und eine sprachliche und kulturelle Förderung aller Ethnien des Landes vorsah. Im Fall Zyperns, wo die kulturellen und sprachlichen Unterschiede zwischen der griechischen und der türkischen Volksgruppe vergleichsweise größer waren als die zwischen der Westukraine und dem russischsprachigen Osten, waren sogar Vetorechte vorgesehen.

Radikale zyperngriechische Vereinigungen versuchten, die Vetorechte abzuschaffen, in den 1960er-Jahren kam es zu mehreren Massakern an Vertretern der türkischen Volksgruppe. Die Segregation zwischen den Volksgruppen wurde stärker – und während griechische Nationalisten den Anschluss Zyperns an Griechenland unter Inkaufnahme ethnischer Säuberungen unter den Zyperntürken forderten, strebten zyperntürkische Kreise eine über die in der Verfassung hinausreichende Autonomie bis hin zu einer möglichen Zweiteilung der Insel an.

In der Ukraine waren es nach der Unabhängigkeit vor allem die im Westen des Landes bedeutenden Ultranationalisten der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine (später „Swoboda“) und der Gründungsorganisationen des „Rechten Sektors“, die eine Entrussifizierung auch der östlichen Landesteile anstrebten.

Durch die Forderung der EU, für den Fall des Beitritts der Ukraine zum Assoziierungsabkommen die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland weitestgehend zu kappen, war eine Interessenseinheit geschaffen, die für die extremen Nationalisten den Ausschlag gab, im Winter 2013/14 den „Euromaidan“ zu unterstützen.

Beide Donbass-Protostaaten deutlich größer als Nordzypern

Im Fall Zyperns war es ebenfalls ein vom Ausland – in diesem Fall von der griechischen Militärjunta – unterstützter Versuch einer gewaltsamen Vertreibung des amtierenden Präsidenten (Makarios III.) am 15. Juli 1974, der zu einer Verselbstständigung der Entwicklung führte.

Die Putschisten strebten die sogenannte Enosis, die Vereinigung mit Griechenland, an. Die Zyperntürken sollten vor die Alternative gestellt werden, entweder diesen Schritt, der den Bruch mit der Türkei bedeutet hätte, zu akzeptieren oder die Konsequenzen in Form des Verlustes ihrer Volksgruppenrechte und möglicherweise einer ethnischen Säuberung zu tragen.

Nur fünf Tage nach dem Putschversuch ordnete der damalige türkische Premierminister Bülent Ecevit eine Landung der türkischen Streitkräfte an, die daraufhin in Ausübung der türkischen Stellung als Garantiemacht aufgrund der Zürcher und Londoner Abkommen 37 Prozent der Inselfläche unter ihre Kontrolle brachte.

Am 13. Februar 1975 rief der zyperntürkische Politiker Rauf Denktaş den Türkischen Föderativstaat von Zypern aus. 1983 erklärte das Parlament der „Türkischen Republik Nordzypern“ ihre Unabhängigkeit. Bis heute ist diese lediglich von der Türkei anerkannt – und mit deren Unterstützung konnte sie sich konsolidieren und festigen.

Von der Größe her sind beide Donbass-„Volksrepubliken“ sogar größer als Nordzypern. Dieses zählt etwa 375.000 Einwohner auf einer Fläche von 3.355 Quadratkilometern. Die „Volksrepublik Donezk“ hat 8.902 km² mit 2,3 Millionen Einwohnern unter ihrer Kontrolle, jene in Lugansk 1,5 Millionen auf einer Fläche von 8.377 km².

Wirtschaftlich lebt die an die türkische Wirtschaft angebundene Republik Nordzypern unter anderem von Tourismus, Handel und dem Bildungswesen – insbesondere wurde der Protostaat zu einem attraktiven Standort für Start-ups ausgebaut. In den Donbass-„Volksrepubliken“ spielt der Tourismus eine vergleichsweise geringere Rolle. Ihre Potenziale liegen vor allem in Bereichen wie Bodenschätzen, Schwerindustrie und Textilien – und der Einbindung in die Wirtschaftskreisläufe der Russischen Föderation.



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