Schwesigs Pragmatismus-Verständnis bringt Rot-Rot zurück

Die Wähler in Mecklenburg-Vorpommern haben der SPD unter Manuela Schwesig einen klaren Regierungsauftrag im Land erteilt. Unter mehreren Optionen hat sie sich am Ende für eine Rückkehr zu Rot-Rot nach 15 Jahren entschieden.
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Ministerpräsidentin Manuela Schwesig vor einem Wahlplakat.Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Von 18. Oktober 2021

Ein Hauch von Nostalgie mit Blick auf die Ära Schröder scheint Mecklenburg-Vorpommern erfasst zu haben. Wie 1998 fanden die Landtagswahlen im Nordosten am selben Tag statt wie die Bundestagswahlen. Anders als im Bund wurde die SPD im Schweriner Landtag mit einer sehr deutlichen Mehrheit ausgestattet, die ihr eine Reihe von Optionen ließ.

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig entschied sich für eine Neuauflage von Rot-Rot. Ein solches Linksbündnis hatte es zuvor schon einmal von 1998 bis 2006 unter Harald Ringstorff gegeben.

Linkspartei als „pflegeleichtester“ Bündnispartner für Schwesig?

Ringstorff selbst tauschte 2006 den linken Regierungspartner gegen die Große Koalition mit der CDU ein, obwohl er nach den Landtagswahlen immer noch eine knappe Mehrheit für Rot-Rot hätte mobilisieren können. Dieses Bündnis hielt auch sein Nachfolger Erwin Sellering aufrecht, der 2017 aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat – was den Weg für Schwesig frei machte.

Warum diese nun wieder zu Rot-Rot zurückkehrt, wirft Fragen auf. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben – sowohl eine neuerliche Große Koalition als auch eine Ampel wie im Bund oder eine Deutschland-Koalition wie in Sachsen-Anhalt.

Schließlich hatte Die Linke seit dem Wahlsonntag herbe Rückschläge erlitten. In den Bundestag konnten sie sich nur durch ein drittes Direktmandat retten, und auch in ihren ehemaligen ostdeutschen Hochburgen ist die Linkspartei auf dem absteigenden Ast.

In Mecklenburg-Vorpommern fiel die Partei, die immerhin von 2008 bis 2016 die Oberbürgermeisterin in der Landeshauptstadt gestellt hatte, erstmals seit der Wende unter die Zehn-Prozent-Marke. Die jüngste Bundeswahlumfrage von INSA sieht die Linke nur noch bei vier Prozent.

„Verlässlich und stabil regieren“ mit der Linken

Schwesig macht in einem Gespräch mit der „Schweriner Volkszeitung“ deutlich, dass sie mit der Linkspartei „verlässlich und stabil regieren“ könne. Es habe demnach in Sachfragen die meiste Übereinstimmung gegeben.

Demgegenüber klagt Eckhard Rehberg, der Sondierungschefverhandler der CDU, dass Schwesig die Gespräche mit der Union auf eine Weise geführt habe, die von vornherein nicht den Eindruck erweckte, hier solle auf Augenhöhe verhandelt werden.

Eigene besonders gute Erfahrungen in Landesregierungen mit der Linken konnten es auch nicht gewesen sein, die Schwesigs Präferenz erklären würden. Immerhin war diese noch für zwei weitere Jahre Stadtvertreterin in Schwerin, als das erste rot-rote Bündnis im Nordosten geendet hatte. Erst 2008 übernahm Schwesig erstmals ein Ministeramt auf Landesebene, ehe sie 2013 nach Berlin wechselte.

Offenbar hielt man aufseiten der Sozialdemokraten Die Linke nicht nur zahlenmäßig für den am leichtesten zu kontrollierenden Partner.

Rot-Rot will „Aufbruch 2030“ in Angriff nehmen

Bis Mitte November wollen sich die künftigen Regierungspartner nun Zeit lassen, um einen Koalitionsvertrag zu vereinbaren. Dann sollen Parteitage ihn absegnen. Die konstituierende Sitzung des neuen Landtags wird am 26. Oktober stattfinden.

Schwesig benannte am 14. Oktober personelle Stabilität und ähnliche Vorstellungen in Bereichen wie Wirtschaft, Lohnpolitik, Sozialpolitik und Umwelt als die entscheidenden Gründe, um mit der Linken zusammen den „Aufbruch 2030“ in Angriff zu nehmen.

Bisher habe sich ein Konsens bezüglich einer Tariftreue-Klausel im Landesvergabegesetz und der Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre ergeben, so Schwesig. Die FDP warnt vor einer weiteren Schwächung der sozialen Marktwirtschaft im Land.

Keine Erfolgsgeschichte für Mecklenburg-Vorpommern

Die rot-rote Regierungsära Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern ist vielen nicht unbedingt als Erfolgsgeschichte in Erinnerung. Obwohl sich ähnliche Entwicklungen in den 1990er-Jahren und früheren 2000er-Jahren auch in anderen ostdeutschen Bundesländern vollzogen hatten, war die Zeit von wirtschaftlichem Niedergang, starker Abwanderung und starken Einbußen beim Lebensstandard gekennzeichnet.

Am Ende der ersten Amtszeit Ringstorffs lag die Arbeitslosenquote in Mecklenburg-Vorpommern bei 20 Prozent. Zudem verlor Schwerin 2001 als erste und einzige deutsche Landeshauptstadt infolge von Abwanderung den Status als Großstadt. Bis heute hat die Stadt, die vor 1989 mehr als 130.000 Einwohner aufwies, die 100.000er-Marke nicht wieder zurückerlangen können.

Dazu kam, dass vor allem flexible und gut ausgebildete Kräfte das Land in Richtung Westen verließen. Ambitionierte Projekte im Bereich der Industrie wie die geplante Ansiedlung der Fertigung des Airbus in Rostock scheiterten.

Drücker-Callcenter statt Airbus-Fertigung

Die einzige Boombranche, die Mecklenburg-Vorpommern in den späten 1990ern und frühen 2000ern zu verzeichnen hatte, war die der Callcenter. Viele von diesen operierten am Rande der Legalität und speisten Vollzeitarbeitskräfte bei Arbeitsbedingungen, die an Drückerkolonnen erinnerten, mit Bruttolöhnen von 600 bis 750 Euro ab.

In vielen Fällen handelte es sich um externe Vertriebspartner von Unternehmen wie Telekom, Arcor, Telebinder oder Versatel, die Optionstarife vermittelten. Betreiber waren häufig Glücksritter aus dem Westen, die sich in der Hoffnung auf schnellen finanziellen Erfolg während der 1990er-Jahre in den neuen Bundesländern angesiedelt hatten.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hatte 2005 wegen der Methoden, die diese oft in den Nebengebäuden von Privathäusern untergebrachten Einrichtungen an den Tag legten, die Telekom vor dem Landgericht Bonn verklagt.

Mangels anderweitiger Beschäftigungsoptionen schulte die Arbeitsagentur selbst deutlich überqualifizierte Arbeitskräfte in diese Bereiche um, sofern diese keine Möglichkeit zur Verlegung des Lebensmittelpunktes in den Westen hatten.

Spagat zwischen Widerstand und Umsetzung bei Hartz IV

Die damals noch als PDS firmierende Linkspartei gehörte als Bundespartei 2004 und 2005 zu den schärfsten Kritikern der Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder. 

Doch in Schwerin war die rot-rote Regierung in Schwerin die erste, die ein Ausführungsgesetz zur „Agenda 2010“ durch den Landtag brachte. Entstanden war der Entwurf im Arbeitsministerium des damaligen Schweriner PDS-Lokalmatadors Helmut Holter.

Die PDS konnte im Land zwar noch über einige Jahre ein Ergebnis zwischen 15 und 20 Prozent halten, in den Jahren 2006 und 2011 mussten neben der SPD allerdings auch die Linkssozialisten bereits Stimmen an die national-sozialistische NPD abgeben. Im Jahr 2016 wechselten zudem gar 16.000 Wähler der Linkspartei direkt zur erstmals kandidierenden AfD.

Pragmatismus und Russland-Verbundenheit

Nach dem Tolerierungsmodell in Sachsen-Anhalt 1994 war Mecklenburg-Vorpommern 1998 das erste Land, in dem die SED-Nachfolgepartei offiziell in eine Regierungskoalition aufgenommen wurde. Harald Ringstorff war der Überzeugung, dass es eine gesellschaftliche Versöhnung und Zusammenhalt im Land nur dann geben könne, wenn es auch ehemals staatstragende Kräfte der DDR, wie sie sich in der Linkspartei sammelten, ermöglicht würde, am Aufbau der Demokratie mitzuwirken.

Inwieweit der pragmatische Ansatz einer Einbindung von DDR-Altkadern Schwesig bei ihrer Überlegung, Die Linke zurück in die Regierung zu holen, Pate gestanden habe, ist zu klären. Fakt ist, dass Schwesig wie schon bereits ihr Vorgänger Erwin Sellering den gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen zur Russischen Föderation einen besonderen Stellenwert einräumt, wenn es um die Stabilisierung der Wirtschaft im Land geht.

Dies betrifft nicht nur Raffinerien und die Werftenindustrie im Land, sondern vor allem auch die Bedeutung der „Nordstream 2“-Pipeline, der insbesondere die Landesregierung in Schwerin stets eine enorme Bedeutung zumaß.

„Werte“-Karte sticht in Mecklenburg-Vorpommern nicht

Diese Frage dürfte auch eine der entscheidenden hinsichtlich der Absage an eine Ampel-Koalition gewesen sein. Immerhin hatten sowohl die FDP als auch die Grünen im Land die „Werte“-Karte gespielt, wenn es um die Forderungen nach einer Blockade oder gar einem Verzicht auf das Projekt ging.

Der grüne Chef des Think-Tanks „Zentrum Liberale Moderne“, Ralf Fuecks, forderte „angesichts der neuen Klimaziele der EU und der ständigen Attacken des Kremls gegen Demokratie und Menschenrechte“, Nordstream 2 „auf Eis zu legen“. Zudem griff er Schwesig scharf an, nachdem diese eine Landesstiftung für Umweltschutz mit Mitteln aus dem Kreml finanzieren ließ.

Die „Bild“ wiederum zitierte unter anderem FDP-Politikerin Renata Alt mit dem Vorwurf, diese habe sich mit der Spende aus Moskau „kaufen lassen“. In Mecklenburg-Vorpommern selbst hingegen dürfte der werteorientierte Widerstand gegen enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland auf wenig Verständnis in der Bevölkerung stoßen. Gleiches gilt für die konzertierten grünen Obstruktionsbemühungen gegen den Ausbau der A14 zwischen Schwerin und Magdeburg.

Linken-Vize: Mauerbau war „alternativlos“

Dass in Schwerin Persönlichkeiten wie der stellvertretende Landeschef der Linken, Torsten Koplin, mit bei den aktuellen Regierungsverhandlungen zwischen SPD und Linken sind, scheint Schwesig zu tolerieren. Koplin war in der DDR über mehrere Jahre hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), seine Berichtstätigkeit würdigte sein Führungsoffizier als „effektiv“ sowie als „offen und ehrlich“.

DDR-Altkader können unter dem Banner des Aussöhnungspragmatismus in Mecklenburg-Vorpommern noch politische Karriere machen: Wie etwa die 2020 gewählte Verfassungsrichterin Barbara Borchardt, die als Mitglied der Antikapitalistischen Linken auch mit den Stimmen der CDU in ihr Amt befördert worden war.



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