Selenskyj entlässt hochrangige Politiker

Rundumschlag in der Kiewer Regierung: Fünf Gouverneure und vier Vizeminister sind wegen Korruptionsverdacht entlassen worden. Geht es auch um das Wohlwollen aus Brüssel?
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Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, spricht mit Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew, Ukraine (Archivbild).Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP via Getty Images
Von 25. Januar 2023


Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat „Personaländerungen in der Regierung“ angekündigt. Nach einem Bericht der Zeitung „Welt“ betonte Selenskyj, Korruption nicht zu dulden und gegen Fehlverhalten innerhalb des Staatsapparates vorgehen zu wollen. Jetzt werden einige Politiker ihres Amtes enthoben.

Der innere Feind im eigenen Land

Wie außen, so innen, sagt ein geflügeltes Wort. Diesen Spruch, der sich zumeist auf das Äußere von Menschen bezieht, könnte man im Moment auch auf die Ukraine anwenden: Die Ukraine befindet sich nach außen im Krieg – aber auch im Inneren wird das Land durch Krisen, Korruption und Skandale geschüttelt. Letztere sind vor allem Skandale um Veruntreuung und Missbrauch von Geldern, die jetzt zahlreiche „Personaländerungen“ unter den Weggefährten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Folge haben.

Selenskyj hat seinen angekündigten Kampf gegen Korruption jetzt in die Tat umgesetzt: Fünf Gouverneure und vier Vizeminister sind nach Angaben der „Welt“ bereits am 23. Januar ihrer Ämter enthoben worden. Bei den Entlassungen der Funktionäre ging es um viel Geld, um Millionen an Schmiergeldern, veruntreute Hilfsgüter und sonstige Vorteilsnahmen.

Milliarden EU-Hilfsgelder bereits an Kiew ausgezahlt

Besonders brisant erscheint die mutmaßliche Herkunft zumindest eines Teils des Geldes: Seit fast einem Jahr, seit Kriegsbeginn, wird der ukrainische Staatshaushalt gut zur Hälfte aus dem Ausland finanziert, also von – nicht ukrainischen – Steuergeldern.

Noch Mitte Januar hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos angekündigt, dass die EU der Ukraine am 24. Januar eine neue Hilfstranche von drei Milliarden Euro auszuzahlen plane. Am selben Tag enthob Selenskyj die hohen, unter Korruptionsverdacht stehenden Staatsdiener ihrer Ämter.

Signal mit Milliarden-Wirkung?

Sind diese Entlassungen als Signal eines Besserungswillens seitens der Ukraine gedacht? Oder vielleicht nur ein ungeschicktes Timing? In gewisser Weise wird der Fokus durch diese Entlassungen ja einmal mehr darauf gelenkt, in wessen Taschen die Milliarden aus europäischen Steuerzahlergeldern möglicherweise auch zweckentfremdet landen können.

Oder ist es genau andersherum? Ein genau und bewusst kalkuliertes Timing, ein Signal an die Geldgeber zur rechten Zeit? Eine Art personalisierte Bitte, die Milliardenströme nicht abreißen zu lassen?

Beschlossene Sache: Mehr EU-Geld für Ukraine

Korruption hin oder her, es ist beschlossene Sache: Nach einem EU-Beschluss sollen in diesem Jahr bis zu 18 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt an die Ukraine gehen. Von der Leyen betonte auch beim Eliten-Treff in der Schweiz, dass die Regierung in Kiew das Geld „dringend“ benötige, um ihren Finanzierungsbedarf infolge des Krieges zu decken.

Mit dem Geld sollen unter anderem Krankenhäuser und Schulen finanziert werden. Die ersten, gerade ausgezahlten drei Milliarden Euro sind für die Monate Januar und Februar gedacht. Ab März wird sich der monatliche Nachschub auf jeweils 1,5 Milliarden Euro belaufen.

Schmiergeld, Veruntreuung und Luxusleben

Parallel dazu der Rundumschlag von Selenskyj: Die Gouverneure der Regionen Dnipropetrowsk, Saporischschja, Cherson, Sumy und der Hauptstadt Kiew wurden abgesetzt, ließ die ukrainische Regierung verlauten. Zudem wurden die Vizeminister für Verteidigung und Sozialpolitik sowie zwei stellvertretende Minister für regionale Entwicklung entlassen.

Der Vizeminister für die Entwicklung von Gemeinden, Territorien und Infrastruktur, Wassyl Losynskyj, soll 400.000 US-Dollar (rund 368.000 Euro) an Schmiergeld kassiert haben – für die Anschaffung von Generatoren, die zur Bewältigung der Energiekrise im Land gedacht waren. Er wurde bereits festgenommen.

Auch der stellvertretende Verteidigungsminister Wjatscheslaw Schapowalow musste seinen Hut nehmen. Ihn brachte ein Skandal um den Einkauf überteuerter Lebensmittel für Soldaten zu Fall: In Berichten ukrainischer Medien wurde aufgedeckt, dass das Verteidigungsministerium Lebensmittel für die Verpflegung seiner Soldaten zu Preisen ankaufe, die bis zu dreimal höher seien als die Einzelhandelspreise in Geschäften. Hierbei gehe es um Verträge mit einem Volumen von gut 300 Millionen Euro. Laut ukrainischem Verteidigungsministerium hatte Schapowalow, der für die Versorgung der Armee im Hinterland verantwortlich war, selbst um Entlassung gebeten, um „die Versorgung der Streitkräfte nicht zu gefährden“.

Ein weiterer Rücktritt war der des stellvertretenden Generalstaatsanwalts. Die ukrainische Staatsanwaltschaft bestätigte den Rücktritt, ohne dass dabei Einzelheiten oder Gründe genannt wurden. Ob hierfür der Urlaub in Spanien, der ihm kürzlich zur Last gelegt wurde, hinreichend war, wurde nicht erklärt. Wenn dem so sein sollte, könne diese Geste auf die Signalwirkung abzielen, dass Luxusleben in Kriegszeiten nicht gewünscht sei – zumindest nicht so, dass es zu medialem Aufruhr führe.

Auch der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, beantragte kürzlich nach aktueller Kritik an seiner Arbeit seine Entlassung bei Selenskyj. Dem wurde stattgegeben. Korruptionsvorwürfe gegen den ranghohen Wegbegleiter des Präsidenten hatte es schon zu Beginn des Krieges im Februar 2022 gegeben.

Durchgreifen gegen Selbstbedienung oder Pro-forma-Personalroulette?

Ob diese Entlassungen ein wirkliches Durchgreifen war, lässt sich im Moment noch nicht sagen. Denn momentan kann niemand das Ausmaß der Korruption wirklich ermessen. Jedenfalls sind erst einmal Köpfe gerollt, welche die vorhandenen Strukturen offenbar genutzt hatten, um sich zu bereichern.

Neue Köpfe rücken nun nach; werden platziert in die Leerstellen eben dieser Strukturen. Und die erscheinen durchaus kritikwürdig: Noch vor dem Kriegsbeginn im Februar 2022 wurde die Ukraine in der jüngsten dazu durchgeführten Studie zu den korruptesten Staaten Europas gezählt. Nur Russland gilt als noch korrupter, zumindest nach dem Korruptionsindex von Transparency International. Im internationalen Vergleich wird die Ukraine am Ende des ersten Drittels verortet: Sie belegt Platz 122 von 180.

Korruption in fast allen Lebensbereichen

Bestechungsgelder, Korruption an den Grenzen, Hilfsgüter und -spenden, die verkauft werden: Über Korruption in der Ukraine kursieren nicht erst seit dem Kriegsbeginn Geschichten, die inzwischen mit den entlassenen Staatsdienern ein paar konkrete Adressaten haben. Beim ORF heißt es vage dazu: „Viele Bürger in der Ukraine verdächtigen Teile der Führung, sich im Zuge der hohen Finanzhilfen des Westens zu bereichern“.

Auch wenn Wolodymyr Selenskyj gerade jetzt, da es um Milliarden an Hilfsgeldern für die Ukraine geht, publikumswirksam ein paar offenbar korrupte Köpfe rollen lässt, stellt sich hier nicht nur die Frage, ob es sich vornehmlich um einen Kampf gegen Korruption handelt, sondern vielleicht auch, ob dieser Rundumschlag innerhalb der eigenen Regierung nicht auch Teil eines Kampfes um weitere Milliarden ist – adressiert als Botschaft an Brüssel. Denn die Korruptionsbekämpfung gehört zu den Bedingungen für Unterstützungszahlungen und Entwicklungshilfe an die Ukraine„“.



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