Wenn Staatsanwälte einen Kanzler abschießen

In Österreich musste Sebastian Kurz gehen. Manche bezeichnen die Vorgehensweise der Staatsanwälte als einen „Putsch“.
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Sebastian Kurz.Foto: GEORG HOCHMUTH/APA/AFP via Getty Images
Von 16. Oktober 2021

Nur eine Woche nach der deutschen Wahl sieht auch Österreich eine erstaunliche Wende und einen Wechsel im Kanzleramt. Diese freilich nicht als Folge von Wahlen, sondern einiger Aktionen von vermeintlich linksgerichteten Staatsanwälten. Diese haben Bundeskanzler Sebastian Kurz gestürzt, indem sie eine Fülle alter Chats – wahrscheinlich rechtswidrig – veröffentlichten und bei ihm und seiner politischen Umgebung unter dem Vorwurf der Untreue Hausdurchsuchungen durchführten.

Zwar gibt es keine direkten Beweise gegen Kurz, weshalb dieser auch einige Tage lang trotz der Belastung durch diese Hausdurchsuchungen im Amt bleiben wollte. Allerdings haben die grünen Koalitionspartner Kurz das Vertrauen entzogen. Worauf dieser keine parlamentarische Mehrheit mehr hinter sich hatte.

Bevor sich das aber bei einer Abstimmung noch zeigen konnte, haben die Staatsanwälte gleich eine weitere Offensive gegen Kurz gestartet. Sie haben in einer rechtlich bedenklichen, aber politisch sehr erfolgreichen Aktion reihenweise fünf Jahre alte SMS von Kurz veröffentlicht. Diese Chats stammen von früher beschlagnahmten Mobiltelefonen; sie haben rechtlich zwar null Relevanz und hätten daher nie veröffentlicht werden dürfen. Renommierte Juristen sehen darin einen glatten Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Manche bezeichnen die Vorgangsweise der Staatsanwälte sogar als „Putsch“.

Aber die Verwendung des Ausdrucks „Arsch“ über den damaligen ÖVP-Chef in diesen Chats war für Kurz in Hinblick auf die konservativen ÖVP-Wähler jedenfalls so peinlich und der doppelte Schock durch deren Veröffentlichung unmittelbar nach der Hausdurchsuchung so schwer, dass er als Bundeskanzler dann doch zurücktrat. Auch parteiintern ertönte erstmals leise Kritik an ihm. Kurz wechselt aber als ÖVP-Fraktionsvorsitzender ins Parlament und bleibt Parteichef. Dadurch wird er zweifellos weiter eine Schlüsselrolle in der Politik spielen.

Linken Aktivisten wurde freier Lauf gelassen

Neuer Bundeskanzler ist der Karrierediplomat Alexander Schallenberg, zuletzt Außenminister und früher Pressesprecher von Kurz, als dieser selbst Außenminister gewesen ist. Schallenberg wirkt seriös, hat aber kein Eigengewicht, sondern betont seine Solidarität zu Kurz.

Beide Koalitionspartner tun nun so, als ob die Normalität wiederhergestellt wäre. Dem ist aber nicht so. Denn zwischen ihnen herrscht nun tiefes Misstrauen. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Regierung die volle Legislaturperiode durchhalten kann, von der erst zwei Fünftel vorbei sind. Die ÖVP ist tief verärgert: Nicht nur, weil die Grünen dem gemeinsamen Regierungschef das Vertrauen entzogen haben, sondern auch, weil die grüne Justizministerin Zadic die linken Aktivisten in der ihr weisungsmäßig unterstellten Staatsanwaltschaft nie in ihrem rechtswidrigen Verhalten eingebremst hat.

Aber auch für die Sozialdemokraten ist die Lage heikel, obwohl eine Koalitionskrise eigentlich ein Fressen für die größte Oppositionspartei sein müsste. Sie haben jedoch allzu voreilig auf die Machtübernahme gegiert und deswegen mit den Freiheitlichen Geheimverhandlungen geführt. Das aber ist für alle linken Sozialdemokraten ein totaler Tabubruch. Ist doch die totale Ablehnung der als rechtsextremistisch denunzierten FPÖ seit mehr als 30 Jahren der wichtigste Identitätskern der Sozialdemokraten. Dieser ist nun durch diese Geheimverhandlungen zerbrochen.

Doppelt peinlich ist das, seit die Grünen nun doch in der Regierung geblieben sind. Ohne sie hat Rot-Blau aber keine Mehrheit. Die Grünen können nun bei Linken punkten, weil sie nicht mit der FPÖ verhandelt haben. Unklar bleibt freilich, wie sich die Grünen verhalten hätten, hätte die ÖVP auf Kurz beharrt. Denn wenn die Grünen weder mit ÖVP noch FPÖ wollen, sind sie jedenfalls aus dem Rennen. Neuwahlen will vorerst aber erst recht keine Partei. Erstens, weil man nirgendwo Geld für einen Wahlkampf hat. Und zweitens, weil noch nicht absehbar ist, wie die Wähler mittelfristig reagieren.

Taktische Gewinner: die Freiheitlichen

Taktischer Gewinner sind die Freiheitlichen. Sie haben den Status als Unberührbare verloren. Diesen hatten sie bei den Linksparteien seit den 80er-Jahren, als eine Koalition SPÖ-FPÖ auseinandergebrochen ist. Und auch bei der ÖVP ist die FPÖ in den letzten eineinhalb Jahren unberührbar geworden, als sie eine Partei der Impfgegner geworden sind.

Hauptverlierer ist die ÖVP. Über ihrem Chef, dem begabtesten Politiker Österreichs im letzten Jahrzehnt, hängen jedenfalls schwere Gewitterwolken. Niemand weiß, ob die Hausdurchsuchungen nicht vielleicht doch noch belastende Beweise gegen ihn ergeben. Vor allem weibliche Wähler nehmen ihrem bisherigen Liebling die Verwendung eines Kraftausdrucks übel – auch wenn das nur in nachträglich beschlagnahmten Privat-Chats geschehen ist.

Minuspunkte für die ÖVP

Bei der zuletzt erfolgsverwöhnten ÖVP tauchen aber auch in vielerlei anderer Hinsicht Minuspunkte und Fehler auf:

  1. Plötzlich haben parteiintern wieder die sechs ÖVP-Landeshauptleute (Ministerpräsidenten) der neun Bundesländer das Sagen. Der ÖVP ist es in ihrer ganzen Geschichte aber immer schlecht gegangen, wenn an Stelle eines starken liberalkonservativen Parteichefs die Provinzialität der Bundesländer dominiert hat.
  2. Kurz hat den historischen Fehler einer Koalition mit den Grünen zu verantworten. Denn diese sind in allen inhaltlichen Fragen das absolute Gegenteil der ÖVP: von der grünen Unterstützung für die illegale Migration bis zu ihrer radikalen Klimapolitik, mit der sie die wirtschaftliche Stabilität und den Wohlstand bedrohen. Aus diesem ideologischen Antagonismus heraus war es auch logisch, dass kaum persönliches Vertrauen entstanden ist. Und Hassobjekt aller Linken, also auch der Grünen, ist Kurz auch nach dem Wechsel des Koalitionspartners geblieben – schon wegen seiner Erfolge.
  3. Kausal für diesen Fehler war ein davorliegender: Kurz hat 2019 wegen der Ibiza-Affäre die Brücken zur FPÖ abgebrochen. Heute ist klar: Er hätte damals weit besser daran getan, nach dem Rücktritt des durch die (illegal aufgenommenen) Ibiza-Lauschvideos belasteten FPÖ-Vizekanzlers H.C. Strache mit der restlichen FPÖ weiterzumachen, mit der es zwischen 2017 und 2019 inhaltlich weit besser funktioniert hatte.
  4. Seither hat die ÖVP sowohl gegenüber der SPÖ (die Kurz bereits 2017 hinausgeworfen hat) wie auch der FPÖ ein irreparables, und mit den Grünen als letzter Möglichkeit ein nun ebenfalls schwerst belastetes Verhältnis. Die linksliberalen Neos (die an sich ob ihrer Stärke irrelevant sind) als vierte Partei bemühen sich in Anti-ÖVP-Aggressivität die anderen sogar noch zu übertreffen. Viel Feind ist in der Politik nicht immer viel Ehr.
  5. Kurz hat in seiner Personalauswahl den – bei vielen erfolgreichen Politikern typischen – Fehler begangen, zu sehr auf persönliche Loyalität zu achten und zu wenig auf Kompetenz. Das zeigt sich etwa in der Parlamentsfraktion der ÖVP, wo es kaum gute Redner gibt, wo in vielen Fachgebieten keine herzeigbaren Experten zu finden sind, wo es keinen Rechtsexperten gibt, der den infamen Aktionen der linken Staatsanwaltsgruppe und der grünen Justizministerin entgegenzutreten wagt.
  6. Der Fehler des Sebastian Kurz, zu unkritisch gegenüber loyalen Personen zu sein, hat auch zur jetzigen Staatsanwaltschaftsaktion geführt. Die Zusammenhänge in Kürze: 2016 hat sich ein Spitzenbeamter im Finanzministerium liebedienerisch an den damals im Aufstieg befindlichen Kurz herangemacht, hat vermutlich mit Scheinrechnungen parteipolitische Meinungsumfragen finanziert, hat das Umfrageinstitut – dessen Chefin inzwischen festgenommen worden ist – offenbar zu Manipulationen der Umfrageergebnisse zugunsten von Kurz veranlasst und hat aus dem Finanzministerium Inserate an eine Boulevardzeitung gelenkt, damit diese prominent über diese Umfragen berichtet. Dabei war das völlig überflüssig, weil auch alle anderen Umfrageinstitute klar zum Ergebnis gekommen sind, dass die ÖVP mit Kurz weit besser abschneiden wird als mit dem damaligen Obmann Reinhold Mitterlehner. Jener Beamte hat Kurz, um sich bei ihm einzuschmeicheln, in Chats über die Umfrage-Ergebnisse informiert. Dieser hat auch sehr erfreut reagiert. Es gibt aber vorerst keine Beweise dafür, dass Kurz den Mann zu dessen Rechtswidrigkeiten angestiftet hätte. Er scheint sich nicht dafür interessiert zu haben.
  7. Kurz hat nach dem Jahr 2016 den Fehler zu verantworten, bei der schmutzigen, aber landesüblichen Sauerei mitzumachen, Zeitungen durch Inserate freundlich zu stimmen. Diese Art der Korruption ist zwar – um Dimensionen größer als bei Kurz – vom SPÖ-geführten Wiener Rathaus entwickelt worden. Aber die ÖVP hat es eben aufgegeben, das zu kritisieren, und lieber selbst mitgemacht. Das war ein schwerer Fehler, auch wenn es der größte Skandal in diesem Skandal-Knäuel ist, dass diese Staatsanwälte nie die viel größere SPÖ-Inseratenkorruptionsmasche angegriffen haben.

Das Ergebnis vieler Fehler: In der ÖVP ist alles auf den charismatischen und hochbegabten Kurz zugeschnitten. Das führt zu einem großen Vakuum, sobald dieser auch nur ein paar Schritte zur Seite tritt.

Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.



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