60 Jahre Freundschaft: Deutschland und Frankreich suchen Annäherung in der Krise

Am Sonntag treffen sich Spitzenpolitiker aus Frankreich und Deutschland in Paris, um den 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags und die deutsch-französische Freundschaft zu feiern. Diverse Differenzen belasten das einst hervorragende Verhältnis.
Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem früheren Treffen im Bundeskanzleramt.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 19. Januar 2023

Kaum zurück aus Davos, muss sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon wieder auf Auslandsreise begeben: Am Sonntag, 22. Januar, erwartet ihn der französische Präsident Emmanuel Macron anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags in Paris.

Neuer Anlauf des Ministerrats

Mit dabei sein werden auch das Kabinett und viele Bundestagsabgeordnete. Denn am Nachmittag steht im Elysée-Palast das 24. Treffen des deutsch-französischen Ministerrats auf dem Programm. Es sollte eigentlich bereits Ende Oktober 2022 stattfinden, war dann aber kurzfristig geplatzt. Beide Regierungen vertraten allzu unterschiedliche Positionen – unter anderem zur Bewältigung der europäischen Energiekrise, zu Deutschlands subventionsorientiertem Wirtschaftskurs und zum militärischen Luftkampf-Partnerprojekt „Future Combat Air Systems“ (FCAS).

Zumindest der Streit um FCAS scheint allerdings beigelegt: Der französische Kampfjetproduzent „Dassault“ und die in Deutschland ansässige Rüstungssparte von Airbus erklärten sich inzwischen bereit, ihre Differenzen beizulegen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass mit spanischer Unterstützung bis 2029 ein Prototyp für ein europäisches Kampfflugzeug vorgeführt werden kann.

Wunde Punkte: Raketenabwehr, Entlastungspaket, MidCat-Pipeline

Noch nicht in Wohlgefallen aufgelöst hat sich dagegen der Konflikt um ein neues europäisches Raketenabwehrsystem, bei dem beide Länder unterschiedliche Wege gehen. Scholz favorisiert die Entwicklung mit amerikanischer, deutscher und israelischer Technik, Macron setzte bislang auf eine französisch-italienische Kooperation.

Wenig begeistert ist Macron auch von Scholz‘ Entscheidung, Ende September 2022 ein 200 Milliarden Euro teures Entlastungspaket gegen die Energiemangellage auf den Weg gebracht zu haben. Deutschland habe damit die Gaspreise in der EU in die Höhe getrieben, ohne sich mit den europäischen Partnern abzustimmen, so die andauernde Kritik aus Paris.

Frankreich und Spanien reagierten darauf bereits im Oktober mit einem deutlichen „Nein“ zu Scholz‘ Wunsch nach einer neuen Gaspipeline. Die Bundesregierung hatte darauf gedrängt, Rohrleitungen für Flüssiggas und Wasserstoff von Spanien nach Frankreich verlegen zu lassen. Über das französische Leitungsnetz hätte so mehr Energie nach Deutschland gelangen können. Doch das „MidCat“-Projekt ist nun passé. Eine herbe Enttäuschung für Scholz.

Überschattet vom Ukraine-Krieg

Nun wollen sich die Regierungschefs und ihre Minister aber wieder an einen Tisch setzen, um über die strittigen industrie-, energie- und verteidigungspolitischen Fragen zu diskutieren. Im Mittelpunkt wird wohl der Krieg in der Ukraine stehen.

Beide Länder bekennen sich zur „unerschütterlichen Unterstützung“ des am 24. Februar 2022 durch russische Truppen angegriffenen Landes, obwohl Putin beide Länder vor Waffenlieferungen gewarnt hatte. Nach Informationen des „Deutschlandfunks“ soll auch der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat tagen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (2.v.l.), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (2.v.r.) und der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj (r.) vor einem Treffen in Kiew am 16. Juni 2022.

Bundeskanzler Olaf Scholz (2.v.l.), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (2.v.r.) und der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj (r.) vor einem Treffen in Kiew am 16. Juni 2022. Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP via Getty Images

Macron spricht wieder an der Sorbonne

Zum Auftakt des Jubiläums lädt Macron seine deutschen Gäste aber zunächst in den großen Hörsaal der Sorbonne-Universität ein. Genau dort hatte Macron am 26. September 2017 eine visionäre Rede („Initiative für Europa“) gehalten, die zur Erneuerung des deutsch-französischen Verhältnisses ermuntern sollte. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel war davon so beeindruckt, dass sie am 22. Januar den „Aachener Vertrag“ unterzeichnete – ein Papier, das sich ausdrücklich als Ergänzung und Erneuerung des 1963 geschlossenen Elysée-Vertrags verstand.

Macrons Rede wird erneut mit Spannung erwartet. Denn Frankreichs Präsident strebt offenbar nicht nur ein neues Fundament für die Freundschaft mit Deutschland an, sondern verfolgt auch immer engere bilaterale Beziehungen zu anderen EU-Staaten. Im November 2021 unterzeichnete er mit dem damaligen italienischen Regierungschef Mario Draghi den sogenannten „Quirinal-Vertrag“, um die diplomatischen, kommerziellen, politischen und kulturellen Beziehungen zu stärken. Einen ähnlichen Vertrag will Macron demnächst auch mit Spanien abschließen.

Deutschland und Frankreich – eine konfliktreiche Geschichte

Am 22. Januar 1963 hatten der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in Paris den sogenannten „Elysée-Vertrag“ unterzeichnet. Der Vertrag sollte die deutsch-französische Zusammenarbeit erleichtern und die allmählich aufblühende Freundschaft der lange Zeit verfeindeten Staaten vertiefen und besiegeln. Ein gutes Verhältnis der beiden größten mitteleuropäischen Staaten gilt spätestens seit damals als das beste Schmiermittel für den Motor der europäischen Integration und Zusammenarbeit.

Frankreich und Deutschland blicken auf eine jahrhundertelange, häufig von Konflikten und Kämpfen geprägte Geschichte zurück.

Spaltung seit dem Frühmittelalter

Nach dem Tod Karls des Großen im Jahr 814 kam es zur allmählichen Spaltung großer mitteleuropäischer Gebiete. Bald entstanden so ein west- und ein ostfränkisches Reich, deren Territorien durch die natürliche Grenze des Rheins getrennt waren. Der westliche Teil wurde zu Frankreich, der östliche zum „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“.

In der Neuzeit fanden historisch besonders wichtige Auseinandersetzungen zwischen den Völkern mit Beginn der Napoléonischen Eroberungsfeldzüge, Napoléons Niederlage bei Waterloo (1815) und dem Wiener Kongress (1814-1815), der für eine politische Neuordnung Europas sorgte, immer wieder statt.

Einige wichtige Stationen:

Im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) besiegt das Deutsche Reich Frankreich und verleibt sich das französische Elsass-Lothringen ein. Der deutsche Kaiser Wilhelm I. lässt sich im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser ausrufen.

In den Jahren 1914 bis 1918 bekämpfen sich beide Länder erneut: Der Erste Weltkrieg, in Frankreich bis heute „La Grande Guerre“ („Der große Krieg“) genannt, kostet auf beiden Seiten Millionen Menschenleben. Am Ende steht Frankreich als Sieger da. Der Vertrag von Versailles zwingt das unterlegene Deutschland zu gewaltigen Reparationsleistungen. Zudem fällt Elsass-Lothringen zurück an Frankreich. Der Erste Weltkrieg gilt als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) stehen sich die beiden Völker erneut gegenüber. Nazi-Deutschland erobert per „Blitzkrieg“ große Gebiete im Westen und Norden Frankreichs. Im Süden kollaboriert die Vichy-Regierung mit dem Deutschen Reich. Der französische General Charles de Gaulle operiert unterdessen vom Londoner Exil aus im Dienste der Résistance. Nach der Niederlage Deutschlands besetzt Frankreich als eine der vier alliierten Siegermächte Teile des deutschen Territoriums.

Fünf Jahre nach Kriegsende schlägt Frankreichs Außenminister Robert Schuman Deutschland die Zusammenarbeit in der Montanindustrie vor. Daraus entsteht die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Vorläufer der EU.

1958 trifft Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) erstmals den inzwischen zum Präsidenten Frankreichs aufgestiegenen Charles de Gaulle auf dessen Landwohnsitz in Colombey-les-deux-Eglises. Die private Annäherung ebnet den Weg zur Versöhnung beider Länder.

22. Januar 1963: De Gaulle und Adenauer unterzeichnen in Paris den Elysée-Vertrag, der die deutsch-französische Zusammenarbeit und eine Freundschaft für alle Zeiten zementieren soll.

1984 geht ein Foto um die Welt: Frankreichs Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gedenken Hand in Hand auf den Schlachtfeldern von Verdun den Opfern der beiden Weltkriege.

Gut zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, am 7. Februar 1992, wird die europäische Wirtschafts- und Währungsunion mit dem Vertrag von Maastricht besiegelt. Treibende Kräfte sind erneut Mitterrand und Kohl.

Elf Jahre später, am 22. Januar 2003, beschließen Deutschland und Frankreich zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags die Einrichtung eines deutsch-französischen Ministerrates mit Vertretern beider Länder.

Am 26. September 2017 wirbt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an der Universität Sorbonne für eine Erneuerung der deutsch-französischen Partnerschaft zur Stärkung der EU („Initiative für Europa“).

Wenige Wochen später, am 10. November 2017, eröffnet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammen mit Emmanuel Macron im Elsass die erste deutsch-französische Gedenkstätte für die Toten des Ersten Weltkriegs.

22. Januar 2019: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Macron unterzeichnen den „Aachener Vertrag“, der eine noch engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts-, Verteidigungs- und Europapolitik vorsieht.

Am 25. März 2019 findet die erste Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung statt. Je 50 Abgeordnete aus beiden Ländern nehmen teil.

Seit Anfang September 2022 kooperieren die beiden Länder, um die Energiemangellage infolge des Ukraine-Kriegs auszugleichen: Frankreich liefert Gas nach Deutschland. Deutschland liefert im Gegenzug Strom nach Frankreich, dessen Atomkraftwerkslandschaft in die Jahre gekommen ist.

[Mit Informationen aus Agenturen]



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