Analyse: «Der Worte sind genug gewechselt»
„Der Worte sind genug gewechselt“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einem Krisentreffen europäischer Regierungsvertreter in Luxemburg. Kaum ein anderer Politiker, der nicht ähnliche Sätze in den Mund nahm.
Seit zwei Jahren diskutiert die EU über eine neue Flüchtlingspolitik. Das Ergebnis ist mehr als mager. Die Staaten setzen bisher darauf, die Außengrenzen zu sichern, den Kampf gegen Schleuser zu verstärken und die Lage in den afrikanischen Ländern zu verbessern.
Dieses Mal scheint es etwas anders zu sein. Das liegt nicht nur daran, dass das Bootsunglück mit bis zu 950 befürchteten Toten als das bislang schlimmste im Mittelmeer gilt. Auch der moralische Druck und die Kritik an der Tatenlosigkeit der EU sind kontinuierlich gewachsen.
Zudem ist allen klar: Die jüngste Flüchtlingswelle ist erst der Auftakt. Wenn im Sommer das Mittelmeer ruhig ist, werden noch mehr Menschen die gefährliche Überfahrt nach Europa wagen. 2015 erwarten Experten so viele Flüchtlinge wie nie zuvor in Europa. Ein EU-Diplomat sagt: „Wir konnten das Problem einmal, nach Lampedusa, aussitzen. Ein zweites Mal wird das nicht klappen.“
Unter diesem Druck sucht die EU nun neue Wege. Eilig wurde in der Nacht zum Montag das Krisentreffen der europäischen Außen- und Innenminister in Luxemburg organisiert. Im Gespräch ist unter anderem eine europäisch finanzierte Rettung von Flüchtlingen, die in Seenot geraten.
Vorbild könnte das Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ sein, das Italien bis Ende 2014 betrieb. Viele fordern eine Neuauflage. Doch das Programm geriet in die Kritik, weil es angeblich Schlepperbanden und Flüchtlinge anzog. „In der Praxis sehen wir, dass die Entsendung von Schiffen an die libysche Küste einen perversen Effekt hat“, sagte der für Migration zuständige belgische Regierungspolitiker Theo Francken im Rundfunk.
Beim Sondertreffen wurde dennoch eine kurzfristige Verdoppelung der Mittel für „Triton“ diskutiert. Das aktuelle EU-Programm hat mit drei Millionen Euro nur ein Drittel des Budgets von „Mare Nostrum“ und operiert zudem nicht nahe an der libyschen Küste.
Die EU streitet zudem über die Einrichtung von Auffanglagern für Flüchtlinge in Nordafrika, etwa unter dem Dach der Vereinten Nationen (UNHCR). Solche Lager sollen Flüchtlinge davon abhalten, marode Boote zu besteigen. Dort könnte entschieden werden, wer legal nach Europa kommen darf und wer in seine Heimat zurückkehren muss.
Tragischer Hintergrund der Diskussion ist, dass die aktuelle Situation zumindest zum Teil auf die militärische Unterstützung einiger EU-Staaten für die Revolutionsbewegung in Libyen zurückgehen dürfte. Bis zu seinem Sturz 2011 hatte Diktator Muammar al-Gaddafi der EU als Partner in der Flüchtlingsfrage gedient. Seine Truppen kontrollierten zuverlässig die Grenzen des ölreichen Landes. Dank libysch-italienischer Kooperation konnten Flüchtlinge sogar auf See abgefangen und nach Nordafrika zurückgebracht werden.
Heute sind die Grenzen in Richtung Libyen offen. Menschenhändler nutzen das aus und bringen Tausende Menschen aus Ländern wie Eritrea, Niger oder Syrien an die Mittelmeerküste, von wo aus es nur wenige Hundert Kilometer Seeweg bis nach Italien sind.
Ein erster Schritt wäre es deswegen, Libyen bei der Grenzsicherung zu unterstützen. Dies ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Die EU-Staaten wollen dies nur dann tun, wenn sich die Konfliktparteien in dem Land auf eine Regierung der nationalen Einheit einigen und Sicherheitsgarantien geben. UN-Vermittlungsbemühungen dafür waren bislang aber nicht von Erfolg gekrönt. „Die Friedensgespräche (…) sind vielleicht auf lange Sicht die letzte Chance, Libyen vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren“, kommentiert Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
In welche Richtung die EU künftig steuert, soll am Donnerstag bei einem EU-Sondergipfel festgelegt werden. „Wenn Europa jetzt keine politische Antwort findet, wäre das extrem zynisch“, sagt Yves Pascouau vom renommierten Brüsseler Institut European Policy Centre. „Das würde dem Image Europas sehr schaden.“ Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) kommentiert: „Wir müssen einen Weg aus der Todesspirale finden.“
(dpa)
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