Wie gefährdet ist das Kernkraftwerk Saporischschja?

Das größte Kernkraftwerk Europas wurde nach Beginn des Russland-Ukrainekriegs besetzt und mehrfach beschossen. Die Unsicherheiten nehmen durch die Sprengung des Kachowka-Staudamms zu, von dem es sein Kühlwasser bezieht. Gibt es eine Nuklear-Katastrophe? – Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde ist jetzt in die Ukraine gereist, um sich vor Ort selbst ein Bild zu machen.
Ein russischer Soldat bewacht einen Bereich des Kernkraftwerks Saporischschja.
Ein russischer Soldat bewacht einen Bereich des Kernkraftwerks Saporischschja.Foto: -/AP/dpa
Epoch Times13. Juni 2023

Im Ukraine-Krieg rückt das seit März 2022 von Russland kontrollierte Kernkraftwerk Saporischschja immer wieder in den Fokus. Seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Region Cherson vor rund einer Woche wächst nun auch die Sorge, dass es zu einem Atomunfall infolge mangelnden Kühlwassers für das KKW kommen könnte. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, ist jetzt in die Ukraine gereist, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Aber auch wiederkehrende Kämpfe in der Gegend um die Anlage und damit verbundener heftiger Beschuss schüren Ängste. Ein Überblick zum größten Kernkraftwerk Europas:

Geschichte

Das Kernkraftwerk Saporischschja liegt in der Nähe der Stadt Enerhodar am Fluss Dnipro, nicht weit entfernt von der 2014 von Moskau annektierten Halbinsel Krim. Es verfügt über sechs der 15 Reaktoren der Ukraine, die vier Millionen Haushalte mit Strom versorgen können. Das KKW wird aus dem Stausee Kachowka mit Kühlwasser versorgt.

Bei den Reaktoren handelt es sich um Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart vom Typ WWER-1000, die als vergleichsweise sicher gelten und eine Gesamtleistung von rund 6000 Megawatt haben. Nach Angaben des ukrainischen Betreibers Energoatom wurden die Reaktoren zwischen 1984 und 1995 in Betrieb genommen.

Vor dem russischen Angriffskrieg erzeugte das Kernkraftwerk Saporischschja etwa ein Fünftel des ukrainischen Stroms. Die Ukraine verfügt über beträchtliche Uranreserven und ist laut IAEA weltweit der siebtgrößte Produzent von Atomenergie.

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Kämpfe und Betriebsausfälle

Russische Streitkräfte besetzten das Kernkraftwerk am 4. März 2022, also schon kurz nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar. In den folgenden Monaten geriet das KKW immer wieder unter Beschuss. Dabei wurden Teile der Anlage beschädigt. Immer wieder mussten Reaktoren wegen der Angriffe abgeschaltet werden. Seit September produziert keiner der sechs Reaktoren mehr Strom.

Die Anlage ist weiterhin an das ukrainische Energienetz angeschlossen, wurde jedoch nach offiziellen Angaben seit Kriegsbeginn bereits sieben Mal zeitweise von der externen Stromversorgung abgeschnitten.

Energoatom warnte Ende Mai, dass die Notgeneratoren des Kernkraftwerks lediglich für eine Stromversorgung von rund zehn Tagen ausreichten – etwa für die Kühlung der Brennstäbe. Danach drohe „ein Unfall mit radioaktiven Konsequenzen für den gesamten Planeten“.

Moskau und Kiew machen sich gegenseitig für Angriffe auf das Kernkraftwerk verantwortlich. Das KKW liegt am Fluss Dnipro, der an dieser Stelle die Frontlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen bildet.

Internationale Bemühungen

Die IAEA verfügt über ein Expertenteam vor Ort. Der Chef der Behörde, Rafael Grossi, besuchte das KKW Ende März und warnte im Anschluss, es müsse „eine Katastrophe verhindert werden“.

Grossi stellte Ende Mai einen Plan zum Schutz des Kernkraftwerks vor dem UN-Sicherheitsrat vor. Dieser sieht unter anderem vor, „dass es keinen Angriff von der oder auf die Anlage geben soll“ und Saporischschja nicht als Lager oder Basis für schwere Waffen genutzt werden dürfe. Es müssten zudem „alle Anstrengungen unternommen werden, damit Strom von außerhalb jederzeit verfügbar und sicher ist“.

Trotz Bemühungen der Vereinten Nationen kam eine entmilitarisierte Zone rund um das Gelände bisher nicht zustande.

Kühlwasserversorgung

Seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms wird über die Folgen für die Versorgung des Kernkraftwerks Saporischschja mit Kühlwasser diskutiert, das es aus dem Stausee Kachowka bezieht.

Die IAEA nannte die Lage wenige Tage nach dem Staudamm-Bruch „sehr unsicher und potenziell gefährlich“, auch wenn das KKW im Moment „weiterhin Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee“ pumpen könne. Doch gab es Ungereimtheiten beim sinkenden Wasserpegel im Stausee, die IAEA-Experten vor Ort wollten daher selbst Messungen vornehmen. Grossi wollte nach einem Besuch am Dienstag in Kiew selbst nach Saporischschja reisen.

Die Anlage ist zwar abgeschaltet, Kühlwasser ist aber trotzdem nötig, um eine nukleare Katastrophe zu vermeiden: Der Brennstoff in den Reaktorkernen und in den Lagerbecken muss weiter ständig gekühlt werden, um eine Kernschmelze und die Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt zu verhindern. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, den Staudamm zerstört zu haben.

(afp/red)



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