Asylreform: EU-Parlament erhöht mit Verhandlungsstopp Druck auf Mitgliedstaaten

Das EU-Parlament hat die Verhandlungen zum geplanten EU-Migrationspakt ausgesetzt. Im Vorfeld des Treffens des Rats für Justiz und Inneres nächste Woche wollen die Abgeordneten so Druck hinsichtlich einer Einigung der Mitgliedstaaten ausüben.
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Bootsmigranten kommen im Hafen der italienischen Insel Lampedusa an, am 18. September 2023.Foto: ZAKARIA ABDELKAFI/AFP via Getty Images
Von 21. September 2023

Die Dramatik der Ereignisse von Lampedusa hat den Druck auf die EU und ihre Mitgliedstaaten erhöht, eine Einigung zum geplanten Migrationspakt zu erzielen. Am kommenden Donnerstag, 28. September, wird in Brüssel der Rat für Justiz und Inneres (JI-Rat) zusammenkommen. Dieser gilt als das zentrale Entscheidungsgremium der EU in Fragen der europäischen Innen- und Justizpolitik.

Verhandlungen über Dossiers zu Kontrollmaßnahmen ausgesetzt

Um die Dringlichkeit der Aufgabe zu unterstreichen, hat das Europäische Parlament am Mittwoch verkündet, die Verhandlungen über zwei wichtige Dossiers zur Asylreform auszusetzen. Konkret handelt es sich um die Elemente Eurodac und eine angepasste Screening-Verordnung. Bei Eurodac geht es um ein Fingerabdruck-Identifizierungssystem, das durch EU-weiten Abgleich vor allem verhindern soll, dass Geflüchtete in mehreren Staaten gleichzeitig Asyl beantragen.

Eine neue Screening-Verordnung soll zudem helfen, bei irregulär in die EU eingereisten Personen zu klären, welches Verfahren anzuwenden sei. Die zuständige Versammlung der Europaparlamentarier hatte eine mögliche Blockade schon zuvor angedeutet. So wolle man zur Verhandlung anstehende Dossiers nicht genehmigen, ehe es keine Einigung der EU-Länder über das Gesamtpaket gebe.

EU-Parlament gegen schrittweises Vorgehen beim Migrationspakt

Wie „Politico“ berichtet, will das EU-Parlament auf diese Weise eine Lösung bezüglich des Migrationspakts als Gesamtpaket erzwingen. Die Dossiers, so hieß es in einer Erklärung, seien miteinander verknüpft. Deshalb bestehe die Gefahr eines Stockens im gesamten Verhandlungsprozess, sollte man bei einigen Vorschlägen mehr Fortschritte machen als bei anderen.

Im Juni hatte es auf EU-Ebene bezüglich des gemeinsamen Vorgehens in der Asylpolitik nur einen Minimalkompromiss statt eines umfassenden Migrationspaktes gegeben. So entstand unter anderem ein Mechanismus zur Lastenaufteilung bei der Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten und der Durchführung von Asylverfahren.

Dieser sieht eine Zuteilung auf der Grundlage des jeweiligen BIP und der Bevölkerungszahl der einzelnen Mitgliedstaaten vor. Wer die Aufnahme von Asylsuchenden ablehnt, solle im Gegenzug einen Geldbetrag in einen Fonds einzahlen, den die EU-Kommission verwaltet. Dieser solle Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen finanzieren.

Italien betraut Militär mit Errichtungen grenznaher Abschiebeeinrichtungen

Eine weitere Einigung betraf die Möglichkeit, Asylverfahren direkt an Europas Außengrenzen abzuhandeln. Auf diese Weise sollen Menschen mit geringen Aufnahmechancen gar nicht erst in die EU gelangen. Dafür sollen Asylzentren in Grenznähe entstehen. Wo kein Asylgrund ersichtlich ist, soll eine sofortige Abweisung erfolgen.

Wo der Erfolg eines Antrags als möglich erscheint, soll die Überführung in einen normalen Asylprozess erfolgen. Italien versucht offenbar nun schon im Einklang mit dieser Regelung des im Entstehen begriffenen Migrationspakts, solche Asylzentren zu schaffen. Die Regierung Meloni hatte im Kontext der Ereignisse von Lampedusa angekündigt, das Militär mit dem Aufbau von Abschiebehaftzentren zu betrauen. Diese sollen „in abgelegenen, möglichst dünn besiedelten Gebieten“ entstehen, die leicht eingegrenzt und überwacht werden können.

„Krisenverordnung“ bringt Blöcke gegeneinander auf

Offengeblieben waren im Juni jedoch einige zentrale Fragen wie jene zu einer angestrebten „Krisenverordnung“. Diese sollte das Vorgehen in Situationen regeln, wie sie jetzt in Lampedusa entstanden sind. Es geht um Maßnahmen zur Unterstützung, wenn Länder entlang der Außengrenzen „mit einem sprunghaften Anstieg der Asylbewerberzahlen“ konfrontiert sind. Im Regelfall handelt es sich dabei um die Ankunftsländer im Süden Europas.

Deutschland und die Niederlande gehörten damals zu den Verhinderern einer Einigung. Sie wollen verhindern, dass die betroffenen Länder in solchen Situationen ihre Grenzkontrollen aussetzen. Demgegenüber verlangten die südeuropäischen Länder, das Recht anderer Mitgliedstaaten auszusetzen, Flüchtlinge in ihr Ankunftsland zurückzuschicken, sollte dieses „Krisenstatus“ erreichen.

Die Ampel-Regierung in Berlin sprach sich wiederum dafür aus, dass Minderjährige und deren Familien von Grenzkontrollen ausgenommen würden. Die Visegrád-Länder lehnten dies kategorisch ab. Sie forderten stattdessen Maßnahmen, um potenzielle Asylbewerber bereits vor ihrer Ankunft in der EU abzuschrecken.

Zudem verlangten sie mehr Unterstützung für Länder, die einen „künstlichen Zustrom“ von Migranten erlebten. Als Beispiel nannten sie die Grenzkrise 2021 mit Weißrussland. Unter anderem Polen und die baltischen Staaten warfen Belarus und der Russischen Föderation vor, durch das Lotsen von Migranten an die Grenzen die EU „destabilisieren“ zu wollen.

Kommission will Migrationspakt vor den EU-Wahlen in Kraft setzen

Zudem ging es im Vorschlag für die neue Krisenverordnung um längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen an den Außengrenzen. Darüber hinaus forderten einige Länder die Möglichkeit, Standards bei der Unterbringung und Versorgung zu senken. Schutzsuchende sollten zudem in Krisensituationen nach den Vorstellungen des Rates verpflichtet werden können, sich länger als zwölf Wochen in den Aufnahmeeinrichtungen in Grenznähe aufzuhalten.

Die deutsche Bundesregierung befürchtet, dass die Standards zu sehr abgesenkt werden. Ländern wie Polen und Ungarn gehen die vorgeschlagenen Ausnahmevorschriften dagegen nicht weit genug. Nun hat das EU-Parlament die Teilnehmer an der nächstwöchigen Sitzung des JI-Rates in einer Erklärung dazu aufgefordert, eine Einigung herbeizuführen.

Sollte dies gelingen, wolle man „intensiv mit dem Rat zusammen[zu]arbeiten, um die Verhandlungen über den Pakt bis zum Frühjahr nächsten Jahres abzuschließen“. Ziel der Kommission ist es, den Migrationspakt noch vor den EU-Wahlen im nächsten Jahr festzuschnüren. (Mit Material von dpa)



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