Bauernbewegung will Macht der EU beschneiden – mit Ausstiegsklauseln bei Umwelt und Migration

Nach dem Aus für das Kabinett Rutte IV wird im November in den Niederlanden das Parlament neu gewählt. Die zuletzt erfolgreiche Bauernbewegung BBB hat ihr Wahlprogramm vorgestellt – und will die Macht der EU beschneiden.
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Bauernproteste in den Niederlanden hatten zum Wahlerfolg der BBB im Frühjahr beigetragen.Foto: Peter Dejong/AP
Von 11. September 2023

Am 22. November wird in den Niederlanden die Zweite Kammer des Parlaments neu gewählt. Erforderlich wurde die Neuwahl nach dem Ende des Kabinetts Rutte IV im Juli. Dessen Regierungsbündnis war an Unstimmigkeiten in der Asylfrage zerbrochen. Nach ihrem Überraschungserfolg bei den Provinzwahlen im März rechnet sich die „Bauern- und Bürgerbewegung“ (BBB) auch auf Landesebene Erfolgschancen aus. Jüngst präsentierte die Protestbewegung ihr Wahlprogramm.

Landwirtschaft bleibt Hauptthema der BBB

Dabei blieb die Landwirtschaftspolitik weiterhin im Fokus. Allerdings erarbeitete die BBB darüber hinaus auch eigene Positionen in der Asylpolitik und positionierte sich im Verhältnis zur EU. In beiden Themenbereichen will die Bewegung die Macht Brüssels beschneiden und Ausstiegsklauseln, sogenannte Opt-outs, zugunsten der Niederlande erzwingen.

Eines der Hauptthemen im Wahlprogramm bleiben umstrittene Richtlinien der EU zur Begrenzung des Düngemittel-Einsatzes und zur Renaturierung. Der Erfolg der BBB bei den Provinzwahlen im Frühjahr war unter anderem eine Folgewirkung der Bauernproteste gegen diese Vorhaben.

Im Fall einer Regierungsbeteiligung will die BBB ein Ende „erstickenden“ Düngemittel-Vorschriften aus Brüssel erzwingen. Ziel der Renaturierungspolitik solle es sein, tatsächlich Natur wiederherzustellen, statt Stickstoffemissionen zu begrenzen. „Nahrungsmittel sind das neue Gold“, heißt es im Wahlprogramm, und dies solle auch die strategische Landwirtschaftspolitik der Niederlande bestimmen.

„Jeder soll von seinem Haus mindestens drei Bäume sehen können“

Anstelle separater Zuständigkeiten von Ministern für Natur und Düngemittel will die BB ein gemeinsames Ministerium für Landwirtschaft, Natur, Fischerei und Lebensmittelqualität. Die künftige Regierung solle nicht von „White-Collar-Technokraten“ bestimmt sein, sondern nach dem Vorbild der „noaberschap“ funktionieren. So bezeichnet man in den Niederlanden das System der Nachbarschaftshilfe auf dem Lande. Entsprechend soll auch der Koalitionsvertrag mehr Einfluss für Unternehmen, Landwirte und Bürger beinhalten.

Die Partei fordert zudem eine Neubestimmung sogenannter Natura-2000-Naturschutzgebiete, wie sie geltende EU-Bestimmungen vorsehen. Diese seien derzeit klein und zersplittert, was zu „unnötigen und kostspieligen Einschränkungen und Druck auf die angrenzende Umwelt“ führe. Stattdessen sollten diese in einen selbsterhaltungsfähigen Zustand versetzt werden. Die BBB fordert zudem die Schaffung sogenannter Food-2050-Gebiete, die die Ernährungssicherheit in der EU gewährleisten sollen.

Weitere Schwerpunkte des Programms ist das Pflanzen von Bäumen – „sodass jeder von seinem Haus aus mindestens drei sehen kann“. Zudem soll ein steuerfreier Grundfreibetrag das bisherige System an Sozialleistungen ersetzen. Die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse will die BBB vollständig streichen und sie unterstützt Bestrebungen zur Reform des Beamtendienstrechts.

BBB will „strikte Einhaltung“ der Dublin-Vereinbarung durchsetzen

Die Zahl der Asylbewerber, denen die Niederlande ein Bleiberecht zugestehen will, soll auf 15.000 inklusive Familiennachzug begrenzt werden. Diese sollen „gerecht“ über das Land verteilt werden und keinen Vorrang bei der Unterbringung haben.

Auf darüber hinausgehende Asylsuchende sollen die Vereinbarungen des im Juni beschlossenen EU-Migrationspaktes Anwendung finden. Die BBB befürwortet zudem eine Ausweitung der Kompetenzen für die EU-Grenzsicherungsagentur Frontex. Außerdem sollten Entscheidungen über Asylanträge regelmäßig bereits an den EU-Außengrenzen stattfinden.

Generell kritisiert die BBB, dass Länder an den Außengrenzen das Abkommen von Dublin nicht ausreichend umsetzten. Dieses würde vorsehen, dass Schutzsuchende im ersten EU-Land, dessen Boden sie betreten, Asyl beantragen müssten. Die BBB fordert eine „strikte Einhaltung“ dieser Bestimmungen.

Das Wahlprogramm muss am 23. September noch von einer Generalversammlung beschlossen werden. Tiefgreifende Änderungen sind dabei jedoch nicht mehr zu erwarten.

Neue zentristische Partei derzeit an der Spitze der Umfragen

Spitzenkandidatin der BBB ist Gründerin Caroline Van der Plas. Im Fall eines Wahlsieges soll jedoch die Listenzweite Mona Keijzer Premierministerin werden. Die frühere CDA-Politikerin war Staatssekretärin für Wirtschaft und Klima im Kabinett Rutte III.

In aktuellen Umfragen hat die BBB gegenüber dem Frühjahr an Zustimmung eingebüßt und liegt mit etwa elf Prozent auf Platz vier. Dies liegt nicht nur an der Konkurrenz durch die bei zehn Prozent stabile rechtsextreme PVV und das „Forum für Demokratie“, das bei drei Prozent liegt.

Mit 19 Prozent an der Spitze der Umfragen liegt der Meinungsforschung zufolge die neu gegründete Partei „Nieuw Sociaal Contract“ („Neuer Gesellschaftsvertrag“, NSC). Diese hat der frühere CDA-Politiker Pieter Omtzigt erst vor wenigen Monaten gegründet. Die zentristische Formation soll sich unter anderem am Modell des „rheinischen Kapitalismus“ orientieren.



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