Bootsmigranten und Corona: Bewohner von Lampedusa fühlen sich von Italien und Europa allein gelassen

Bewohner der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa finden sich vermehrt am Hafen ein, um ihren Protest über ihre jetzige Situation auszudrücken. Sie fühlen sich inmitten der Corona-Krise und dem stetigen Menschenstrom aus Afrika allein gelassen.
Titelbild
Flüchtlinge und Migranten an Bord eines Holzbootes, während sie am 24. Mai 2017 vor Lampedusa, Italien, auf die Rettungsmannschaften des Schiffes „Phoenix“ der Migrant Offshore Aid Station (MOAS) warten.Foto: Chris McGrath/Getty Images
Von 26. Mai 2020

Die Bevölkerung von Lampedusa hat einen friedlichen Protest gestartet, weil sie sich von der Politik mit der Migrationsproblematik alleingelassen fühlt. Sie sammelt aktuell Unterschriften, damit das dortige Asylaufnahmelager geschlossen wird.

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation der Flüchtlinge und Migranten in dem Lager verschlimmert. Fast täglich würden jetzt wieder Boote mit Flüchtlingen und Migranten in Lampedusa eintreffen. Seit Jahrzehnten schon ist die, wie ein Außenposten Europas anmutende Mittelmeerinsel zwischen Tunesien und Sizilien, Anlaufpunkt für afrikanische Flüchtlinge und Migranten. In Verbindung mit der Corona-Pandemie wächst der Unmut in der Bevölkerung.

„Es ist absurd“, sagt Attilio Lucia einer der Demonstranten aus Lampedusa, „dass Migranten angesichts mehrerer Radargeräte und zahlreicher Patrouillenboote direkt in den Hafen einlaufen können, ohne bemerkt zu werden. Dieses Jahr kommen die Touristen durch das Coronavirus nicht an, was ein Drama für unsere ohnehin schwache Wirtschaft ist, aber gleichzeitig kommen täglich Migranten an, ohne dass sich die Regierung um sie kümmert“, zitiert ihn „il giornale.it“.

Laut den Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr – bis Stichtag 22. April – 3.310 Bootsmigranten nach Italien gelangt. 2019 waren es im gleichen Zeitraum 667 Menschen. Damit liegt Italien hinter Spanien mit 4.856 angelandeten Migranten, die über das Mittelmeer kamen und Griechenland, mit 7.357 Migranten, die den Seeweg wählten. (IOM: Die Angaben stellen die minimalen Schätzungen dar und beruhen auf Daten der verschiedenen Regierungen und den IOM Außenstellen)

Bewohner von Lampedusa fühlen sich alleingelassen

Sie sehen es als eine unrechtmäßige Inhaftierung an, die bei den Flüchtlingen in dem hiesigen Aufnahmelager stattfindet – einem Durchgangslager für die Ankömmlinge zumeist aus Afrika. Bereits vor Jahren wandten sie sich daher an den Leiter der Provinzverwaltung Agrigent mit der Frage, warum die Menschen in dem Aufnahmelager dieses nicht verlassen dürfen. Daraufhin gab der Provinzverwalter an die örtliche Verwaltung den Hinweis, das Lager so einzurichten, dass die Asylbewerber sich frei bewegen können. Seitdem ist aber nichts passiert, kritisieren die jetzt protestierenden Einwohner.

Laut dem dortigen Pfarrer Don Carmelo La Magra achte man darauf, dass die Anwesenheit der Migranten vor allem im Sommer nicht zu offensichtlich ist, um den Tourismus nicht zu gefährden. Die Verwaltung der Insel hätte Angst, dass sich die Hotelbesitzer beschweren, und diese hätten Angst, dass sich die Touristen beklagen würden, erzählt der Pfarrer dem „Deutschlandfunk“. Die Fischer hingegen würden beklagen, dass ihre Netze durch die ramponierten Boote der Menschenschleuser, die auf dem Meeresgrund versunken liegen, zerstört werden.

Seit vielen Jahren fühlen sich die Bewohner in der Migrantenfrage von Italien und Europa allein gelassen. Sie fürchten um ihre wichtigsten Einkommensquellen, den Fischfang und vor allem den Tourismus – der während der Corona-Pandemie gänzlich zum Erliegen gekommen ist. Aufgrund der Wuhan-Lungenseuche drängt die Bevölkerung nun auf Verbesserungen im Gesundheitswesen. Der Bürgermeister spricht von einem Notstand.

Bewohner: „Die Regierung Conte kann uns auf diese Weise nicht im Stich lassen“

Für den Bürgermeister von Lampedusa und Linosa Totò Martello sollte das Problem auf „offensichtliche“ Weise gelöst werden.

„Wenn die römische Regierung und Europa das Problem der Migranten auf Lampedusa nicht ernst nehmen, werden die Anlandungen so bleiben, wie sie immer waren. Wenn jemand den Willen hätte, diesen Migrationsstrom zu stoppen, gäbe es vielleicht keinen sozialen Notstand mehr auf der Insel. Europa kann nicht glauben, dass es die gesamte Verantwortung für das Problem auf die lokale Politik abwälzen kann, besonders in der Zeit von SARS-CoV-2“, sagt der erste Bürgermeister bei „Il Giornale.it“.

Die demonstrierende Bevölkerung wird da konkreter: „Lampedusa braucht ein Krankenhaus. Die Regierung Conte kann uns auf diese Weise nicht im Stich lassen“, so der Aktivist Giacomo Sferlazzo zu „Il Giornale.it“.

Migranten auf dem Weg zu Lieferwagen, nachdem sie vom NGO-Schiff „Ocean Viking“ aufgenommen wurden. Sie gingen am 14. September 2019 auf Italiens südlicher Insel Lampedusa von Bord. Foto: ALESSANDRO SERRANO/AFP über Getty Images

Im Jahr 2011 kamen 48.000 Flüchtlinge auf die Insel

Lampedusa liegt ist mit 20 Quadratkilometern die größte der drei Pelagischen Inseln. Auf ihr leben rund 6.000 Bewohner. Aufgrund ihrer Nähe zu Nordafrika wird sie oft von Flüchtlingen und Migranten angesteuert. Bereits 2011 kamen insgesamt fast 48.000 Flüchtlinge nach Lampedusa, die anschließend die Insel wieder verlassen mussten.

Mit der Migrationskrise nahm die Zahl der ankommenden Bootsflüchtlinge wieder zu. Aufgrund von Salvinis restriktiver Außenpolitik kamen zwar weniger Flüchtlingsboote im Hafen an.

Es gibt allerdings Hinweise, dass die Migranten in der Zeit in sogenannten „Sbarchi fantasma“, „Geisterbooten“, an verborgenen Buchten an Land gingen.

Laut Deutschlandfunk hätte die Staatsanwaltschaft Agrigento belegt, dass es Querverbindungen zwischen der Mafia und nordafrikanischen Menschenhändler-Ringen gäbe, die Rauschgift transportieren. Jetzt nehmen die Anlandungen von Bootsflüchtlingen aus Afrika wieder zu. Eigentlich so ein Bewohner der Insel, hätte der Flüchtlingsstrom aus Afrika nie aufgehört.



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