Datenhoheit: WHO zieht Kürzeren gegen Institut, das von Bill Gates gesponsert wird

Das „Institute of Health Metrics and Evaluation“ gibt an, eine unabhängige Organisation zu sein. Doch die milliardenschweren Finanzspritzen von Gates-Foundation sowie Pharma- und Ölindustrie lassen Zweifel daran aufkommen.
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Der Hauptsitz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist in Genf.Foto: Salvatore Di Nolfi/KEYSTONE/dpa/Archiv
Von 19. Juli 2023

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diente seit ihrer Gründung auch als Pool, um sich einen Überblick über die offiziellen weltweiten Gesundheitsdaten zu verschaffen. Wer wissen wollte, um wie viele Jahre Rauchen das Leben verkürzt, wie viel Menschen an Malaria oder HIV sterben, der griff auf die Datenbanken der WHO zurück.

Doch mittlerweile hat die Organisation offenbar ihre Vorrangstellung in diesem Bereich verloren. Und zwar an eine Organisation, bei der Microsoft-Gründer Bill Gates mit seinem vielen Geld bereits 2007 als Geburtshelfer fungierte. Die Gründung des „Institute of Health Metrics and Evaluation“ (IHME) unterstützte die Bill & Melinda Gates Foundation seinerzeit mit 105 Millionen Dollar. Seither sind weitere Hunderte Millionen Dollars aus jener scheinbar unerschöpflichen Quelle geflossen, um Projekte zu unterstützen.

Von Rückenschmerzen bis zu übertragbaren Krankheiten

Dieses Institut hat nun der WHO den Rang abgelaufen, wenn es um Fragen zu Gesundheitsdaten verschiedener Länder geht. Beantwortet werden die dann durch das IHME an der Universität Washington. Das berichtet das Schweizer Nachrichtenportal „Infosperber“ auf seiner Internetseite.

So gab das IHME kürzlich bekannt, wie viele Kinder weltweit an übertragbaren Krankheiten sterben. Auch über die Anzahl der global an Rückenschmerzen leidenden Menschen weiß das Institut ebenso Auskunft zu geben wie über die Zahl der Diabeteserkrankungen.

Und wer wissen will, welche gesundheitlichen Folgen die Luftverschmutzung in Nordafrika hat, wird beim IHME ebenfalls bestens bedient. Dort weiß man auch Bescheid über die „alarmierende“ Zunahme der Prostatavergrößerungen, die Anzahl der zu verhindernden Krebserkrankungen und vieles mehr.

Im Selbstporträt wird Unabhängigkeit betont

„Alle Menschen leben ein langes Leben“, verkündet das Institut seine Vision auf seiner Internetseite. IHME will der Welt „zeitnahe, relevante und wissenschaftlich valide Erkenntnisse zur Verbesserung der Gesundheitspolitik und -praxis“ liefern. Und natürlich vertrete man auch Werte wie Respekt, Transparenz, Integrität und einiges mehr. Dazu gesellen sich Grundsätze wie „Wissenschaftliche Exzellenz“.

So strebten die Mitarbeiter vor allem nach „Spitzenleistungen im wissenschaftlichen Fortschritt mit dem Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern“. Damit die Gesundheitsnachweise auch einen Nutzen hätten, müssten sie aber auch glaubwürdig sein.

Der wissenschaftliche Prozess dürfe nicht durch politische, finanzielle oder andere Arten an Eingriffen behindert werden, heißt es in der Selbstdarstellung weiter. Doch da wird es schwierig. Denn wie unabhängig ist eine Organisation, wenn sie Hunderte Millionen Dollar von einer Stiftung erhält, die vor allem die Entwicklung von Impfstoffen als globales Mittel zum Erhalt der menschlichen Gesundheit im Fokus hat?

220 Millionen Dollar für einen Neubau von Gates

Neben den 105 Millionen Dollar „Starthilfe“ hat die Gates Foundation laut „Infosperber“ im Laufe der Jahre mehr als 600 Millionen Dollar in verschiedene Projekte investiert. Hinzu kamen 220 Millionen Dollar für einen Neubau. Bis 2017 unterstützte die Gates Foundation die Universität von Washington eigenen Angaben zufolge mit rund 1,25 Milliarden Dollar. Der selbst ernannte Philanthrop gehört somit zu den Hauptgeldgebern des Instituts.

Um zu verstehen, wie die IHME der WHO den Rang ablaufen konnte, reisen wir zurück ins Jahr 1991. Seit jenem Jahr erfassen Wissenschaftler, wie stark Krankheiten die Menschen in verschiedenen Ländern belasten. Sie erstellen „Global Burden of Diseases, Injuries and Risk factors“-Studien (GBD). Diese dienen Gesundheitspolitikern, Ärzten und Wissenschaftlern als Richtschnur.

Schätzungen waren teilweise nicht nachvollziehbar

Die erste „GBD“-Studie initiierte die Weltbank in Kooperation mit der WHO. Mit dabei im Team von weltweit mehr als 100 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern war auch Christopher Murray von der US-Universität Harvard.

Er wechselte um das Jahr 2000 zur WHO, als die Organisation die Updates übernahm. Doch gab es grobe Differenzen. So überstieg die Summe der von diversen WHO-Initiativen genannten Todesfälle an bestimmten Krankheiten die Gesamtzahl der weltweiten Todesfälle um ein Mehrfaches. Die Schätzungen waren also zumindest teilweise nicht nachvollziehbar. Das war das erste Problem.

Hinzu kam, dass der oft als sehr bürokratisch kritisierten WHO Geld fehlte. Die Organisation wurde mehr und mehr abhängig von Spenden. In den 1970er-Jahren stammten nur etwa 20 Prozent aus Zuwendungen Freiwilliger, Anfang der 2000er stieg dieser Anteil auf rund 80 Prozent.

Neben den USA ist die Bill & Melinda Gates Stiftung führend bei der finanziellen Unterstützung. „Die WHO ist nun in einer Situation, wo externe Spender in zunehmend mehr Bereichen Prioritäten und Politik bestimmen können.“ Gleichzeitig sei die WHO unter Druck geraten, bei Epidemien und Notfällen eine wichtigere Rolle einzunehmen, schrieb Colin D. Mathers 2020 in den „Archives of Public Health“.

Auch die Impfallianz GAVI mischt mit

Mathers arbeitete von 2002 bis 2018 für die WHO. Er war verantwortlich für die Arbeit zu „Global Burden of Disease“ und für die statistische Prüfung und Freigabe aller Gesundheitsstatistiken der Organisation. Die vielen neu gegründeten öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) haben seiner Ansicht nach die WHO geschwächt.

Neben der Gates-Stiftung zählen die globale Impfallianz GAVI und das IHME dazu. Beide unterstützt die Gates Stiftung mit viel Geld.

Ein weiteres Problem der WHO war Mathers zufolge der „substanzielle Druck“ von Mitgliedstaaten, wenn es darum ging, die Gesundheitsstatistiken zu „frisieren“. Stellte ein einflussreiches Land die Zahlen der Organisation infrage, konnte das zur Folge haben, dass die WHO die Daten änderte.

„Jeder, der in einer leitenden Position bei den Vereinten Nationen gearbeitet hat, kennt dieses Problem“, schrieb Christopher Murray 2004 im „British Medical Journal“.

Aber auch innerhalb der WHO sei es üblich gewesen, Zahlen zu manipulieren, um damit „Erfolge“ vorzuweisen. Möglichst geringe Erkrankungszahlen etwa belegten die Wirksamkeit von Maßnahmen bei der Bekämpfung von Krankheiten.

Aber auch Abteilungen innerhalb der WHO wollten Erfolge vorweisen, um gut bewertet zu werden. Um einer Krankheit eine große Bedeutung zuzuschreiben, dienten hohe Erkrankungsraten als Beleg.

Die WHO und der politische Druck

Laut Mathers hängt die Unabhängigkeit der WHO entscheidend davon ab, ob der Generaldirektor dem politischen Druck standhält. Er wisse nur von einem einzigen Fall, bei dem sich die WHO-Leitung dem Druck widersetzt habe und auf den standardisierten Methoden der WHO bestand. Dieser Fall habe die Daten des IHME betroffen.

2003 verließ Christopher Murray die WHO und kehrte zurück zur US-Universität Harvard. Er forderte nach einer neuen Institution, die die «Global Burden of Disease, Injuries and Risk factors»-Berechnungen unabhängig durchführen könne.

Das IHME wirbt genau mit diesem Vorzug. Im Gründungsjahr des Instituts, 2007, wird Murray dessen Leiter. In der Folge beteuerte das IHME trotz der neunstelligen Geldspritzen der Gates-Stiftung seine Unabhängigkeit.

Wichtige Neueinstellungen bei IHME laufen über Gates-Stiftung

Doch berichtete „The Nation“ im Dezember 2020 unter der Überschrift „Verfälschen die Milliarden von Bill Gates die Daten zur öffentlichen Gesundheit?“ von einer Vereinbarung mit dem Geldgeber.

So habe die Gates-Stiftung Neueinstellungen in der Führungsmannschaft des IHME bewilligt. Zudem habe sie die Aufsicht über Medienmitteilungen im Zusammenhang mit von ihr finanzierter Arbeit erhalten – und das betraf einen Großteil der IHME-Forschung.

„Es fühlte sich an, als wären wir Berater der Gates-Stiftung, und die wissenschaftlichen Methoden, die wir benutzten, dienten oft dazu, die Resultate zu erhalten, die wir wollten […] der die Story, von der er [Murray] dachte, die Gates-Stiftung wolle sie“, zitiert „The Nation“ einen anonymen früheren IHME-Mitarbeiter.

Auch „Big Pharma“ – Merck, Pfizer, Novartis, Gilead, GlaxoSmithKline und weitere – sowie Ölkonzerne hätten „über Jahre still Millionen Dollar in das Institut gegossen“. Murray habe 2018 einen 1,5 Millionen-Dollar-Vertrag mit dem Ölgiganten Chevron unterzeichnet, um eine Strategie zur Gesundheitsmessung für globale Unternehmen zu entwickeln. Im selben Monat kündigte Murray eine neue Initiative an, um den gesundheitlichen Effekt von Umweltverschmutzung und Klimawandel zu untersuchen. „Zwei Gebiete, wo Chevron große und negative Effekte auf die menschliche Gesundheit hat“, gibt der Journalist Tim Schwab in seinem „Nation“-Artikel zu bedenken.

Mittlerweile beschäftigt das IHME mehr als 600 Menschen, die mithilfe von Supercomputern aufwendige Berechnungen mit Milliarden von Daten anstellen.

Zum Vergleich: Bei der WHO gab es 2019 lediglich etwa 30 Beschäftigte (plus einige wenige in Länderbüros), die für Gesundheitsstatistiken zuständig waren, bei UNICEF waren es etwa zehn Personen.

Umgang mit Datenmengen bereitet Probleme

Die IHME-Studien sind jedoch nicht erhaben über jede Kritik. Immer wieder bemängeln Wissenschaftler die Ergebnisse als nicht plausibel. Auch seien die Berechnungsmethoden „undurchsichtig“.

Etliche Schätzungen zur globalen Krankheitsbelastung fielen Mathers zufolge in der Vergangenheit sehr unterschiedlich aus. Das hing davon ab, ob sie von der WHO, von den Vereinten Nationen oder vom IHME stammten.

Zum Beispiel schätzte das IHME in der „GDB“–Studie 2010 die jährliche Anzahl an Malaria-Todesfällen weltweit auf 1,24 Millionen Menschen. Etwas mehr als  500.000 betrafen Menschen ab einem Alter von fünf Jahren. Die WHO kam hingegen nur auf halb so viele Opfer der Krankheit (655.000). Davon waren wiederum weniger als 100.000 fünf Jahre und älter.

Problematisch sind vor allem der Umgang und die Verarbeitung der riesigen Datenmengen. So räumte Murray 2017 ein, dass es noch große Lücken gäbe. Wo genaue Angaben aus Ländern fehlen, müssen Schätzungen und Extrapolationen anderer Staaten herhalten.

Dabei greift das IHME auch auf private Datensätze, etwa von Krankenhäusern und Versicherungen, zurück. Schwierig ist laut Mathers auch der Umgang mit den Datenmengen. Komplizierte rechnerische Modellierungen könnten mitunter Tage dauern. Ohne entsprechende technische Ausstattung übersteige das die Möglichkeiten der meisten Forschungsgruppen an Universitäten und Regierungsbehörden.

 



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