„Deinfluencer“ oder „Influencer“? Der Kampf um die Glaubwürdigkeit auf TikTok

In einer Welt, in der Influencer-Marketing zu einem Milliardengeschäft geworden ist, gibt es eine neue Bewegung. Unter dem Hashtag „Deinfluencing“ erstellen TikTok-Nutzer Videos, in denen sie von Produkten abraten, anstatt sie zu bewerben. Darüber, warum die Bewegung so viel Aufmerksamkeit erlangt, gibt es unterschiedliche Meinungen.
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Eine Influencerin dreht ein Video über bestimmte Kosmetikprodukte.Foto: iStock
Von 11. April 2023

Vor der Kamera hält Valeria Fride eine Tube Lipgloss hoch. Doch anstatt die Vorteile des Lippenglanzes anzupreisen, wie man es erwarten würde, beginnt die brünette junge Frau zu wettern: „Super klebrig, sehr teuer, zu unauffälliger Farbton. Mein Urteil? Ich bin davon nicht überzeugt.“

Das Video, das Valeria auf TikTok gepostet hat, enthält alle typischen Merkmale von Influencern. Trotzdem wird damit ein gegenteiliges Ziel verfolgt: Sie vom Kauf des Produkts abzubringen. „Es ist eine ehrliche Abwandlung von dem, was man jeden Tag in den sozialen Netzwerken sieht“, erklärte die 23-jährige Fride der Nachrichtenagentur AFP.

Deinfluencerin Valeria Fride in einem ihrer Videos auf TikTok. Foto: Screenshot TikTok-Video

So wie die junge Valeria gibt es immer mehr Menschen, die ähnliche Videos drehen. Auf dem Videoportal TikTok hat sich dieser neue Trend unter dem Hashtag „Deinfluencing“ in den letzten Monaten wie ein Lauffeuer verbreitet. Der entsprechende Hashtag, den man mit „Ent-Einflussnahme“ übersetzen könnte, ist so beliebt, dass er Anfang April auf TikTok über 430 Millionen Aufrufe verzeichnete.

Einige „Deinfluencer“ raten zum Beispiel davon ab, teure Seifen oder hochmoderne Sporthanteln zu kaufen, wenn man gerade erst mit dem Sport begonnen hat. Und sie scheuen sich nicht, Sie frontal zu fragen, ob Sie „wirklich 25 verschiedene Düfte brauchen“.

Eine weitere TikTok-Nutzerin mit dem Konto „katiehub.org“ erklärt in einem ihrer Videos, sie nutze Kosmetikprodukte, die sie nicht möge. Sie würde nur so tun, als ob sie diese Produkte liebe. So zeigt sie zum Beispiel, wie sie sich mit bestimmten Markenprodukten ein Make-up auflegt, während sie mit ironischer Stimme übermäßig schwärmt, wie toll diese Produkte seien. Auf diese Weise zeigt die „Deinfluencerin“, die über eine Million Follower hat, den Zuschauern, dass bestimmte Produkte für sie in Wirklichkeit das Gegenteil von dem versprechen, was sie sich erwünscht hätte.

Reaktion auf Überkonsum oder neues Geschäftsmodell?

Wie das Kosmetikbranchen-Medium Glossy berichtete, sei „Deinfluencing“ TikToks Reaktion auf Überkonsum und Inauthentizität. Junge Marketing-Prinzen sind in den sozialen Netzwerken mittlerweile allgegenwärtig geworden. In ihren Videos werben sie für Mascara, Tee, Schuhe oder Videospiele – aber meist gegen Bezahlung. Die Kritik an Produkten steht also im Widerspruch zu ihrem Geschäftsmodell. Valeria Fride gibt gegenüber AFP zu, dass sie „wirklich Angst“ vor der Reaktion der Hersteller hatte.

Als eines ihrer Videos viral ging, habe sie zu ihrer Mutter gesagt: „Mama, ich hoffe, sie werden mich nicht hassen.“ Seitdem habe sie jedoch Partnerschaftsangebote von Unternehmen erhalten, denen ihre Videos zur Inflationsbekämpfung gefallen haben. Für diese Firmen sei dies ein Zeichen dafür, dass Marken sich weiterentwickeln und „differenziertere Meinungen“ anhören sollten.

Für Lia Haberman, Expertin für Influencer-Marketing, stelle die „Ent-Einflussnahme“ den aktuellen Trend der App dar. Einige Nutzer würden dazu gebracht, dadurch „Aufmerksamkeit“ zu erlangen – und zwar unabhängig von ihren Überzeugungen. In dieser Bewegung eine Anti-Konsum-Revolution zu sehen, sei „eine Fehlinterpretation“.

„Ein ‚Deinfluencer‘ ist immer noch ein Influencer“

Auch Americus Reed II, Professor für Marketing an der renommierten Wharton School of Business, bestätigt diese Meinung. In einem Twitter-Beitrag weist er darauf hin: „#Deinfluencing übernimmt TikTok und mischt das Spiel der Influencer auf.“

Laut Reed II sei „ein ‚Deinfluencer‘ immer noch ein Influencer“. Die Bewegung sei nicht wirklich eigenständig, sondern nur ein Gegenschlag zur Influencer-Bewegung, um auf andere Art und Weise Blicke auf sich zu ziehen. Für ihn sei dies eine einfache „Möglichkeit, sich von anderen zu unterscheiden“.

Laut dem Marktforschungsunternehmen Tubular Labs entstand der Trend, der im Januar viral ging, im September mit einer gewissen Maddie Wells.

Die junge Influencerin sei keine harte Aktivistin, sondern habe lediglich ihre Erfahrung als Verkäuferin in Kosmetikgeschäften genutzt, um zu erklären, welche Produkte die Kunden enttäuschten. Es handelte sich um recht sachliche Videos, „ohne wirklich zu urteilen“, und schon gar nicht um politische Forderungen, ergänzt Lia Haberman gegenüber AFP.



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