Deutschlands Ambitionen auf der Weltbühne der Gesundheit

Experten sehen eine klare Verschiebung der Machtverhältnisse in der WHO. Jens Spahn räumte ein, dass Trump „durchaus Recht hat“, was die Notwendigkeit von Reformen bei der WHO betrifft. Die Forderung nach Veränderungen entspricht auch der deutschen Forderung nach einer Stärkung der WHO, sagen einige WHO-Beobachter.
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) glaubt nicht an eine baldige Corona-Ausrottung.Foto: Peter Klaunzer/KEYSTONE/dpa/dpa
Von 1. September 2020

Der Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hinterlässt eine finanzielle und gleichzeitig politische Lücke in der Weltgesundheit. Deutschland könnte auf dem Weg sein, diese Lücke in der globalen Gesundheitsversorgung zu füllen, behauptet Ashleigh Furlong von „Politico“.

Einige Wochen, nachdem die US-Regierung die Vereinten Nationen formell über ihren Austritt aus der WHO informiert hatte, kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn in Genf die Erhöhung der deutschen Mittel um 200 Millionen Euro an. Das bedeutet ein insgesamt 500 Millionen Euro hoher Beitrag aus Deutschland – das konnte bisher nur die USA übertreffen.

„Deutschland ist … zu einem sehr wichtigen Partner im Bereich der globalen Gesundheit geworden“

Obwohl die USA ein wichtiger Partner der WHO sind, können sie ersetzt werden, sagte David Heymann, ein Epidemiologe, der die Reaktion der WHO auf SARS im Jahr 2003 leitete.

Deutschland ist in letzter Zeit zu einem sehr wichtigen Partner im Bereich der globalen Gesundheit geworden und auch andere Länder sind auf dem Vormarsch“, sagte er kurz nach der Ankündigung Trumps.

Frankreich und Deutschland haben die Gespräche über eine Reform der WHO abgebrochen. Dies geschah aus Enttäuschung darüber, dass die USA versuchten, die Verhandlungen zu führen, obwohl sie beschlossen haben, die WHO zu verlassen. Beide Länder haben angefangen, eigene Pläne zur Reform der WHO zu verfassen.

„Reuters“ zufolge sollen Deutschland und Frankreich Vorschläge unterbreitet haben, nach welchen die Organisation mehr rechtliche Befugnisse bekommen sollte. Gleichzeitig sollten die Pflichtzahlungen der Mitgliedsländer erhöht werden.

Im weiteren Sinne versuche Deutschland mit gutem Beispiel voranzugehen, sagte Anna Holzscheiter, Professorin für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden und Leiterin der Forschungsgruppe Globale Gesundheitspolitik am Berliner Zentrum für Sozialwissenschaften gegenüber „Politico“.

Sie verweist auf die Bereitschaft Deutschlands, „ungeheuer unbeliebte Bereiche [in der WHO] wie die Stärkung der Gesundheitssysteme, Überwachung und Auswertung zu finanzieren“. 

Auch Jens Spahn räumte ein, dass Trump „durchaus Recht hat“, was die Notwendigkeit von Reformen bei der WHO betrifft. Die Forderung nach Veränderungen entspricht auch der deutschen Forderung nach einer Stärkung der WHO, sagen einige WHO-Beobachter.

„Stärkung … bedeutet auch, dass man sich die Schwachstellen der Organisation anschaut, wie diese verbessert werden können“, sagte Detlev Ganten, Gründungspräsident des Weltgesundheitsgipfels und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité.

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft ermöglicht Einfluss auf die globale Gesundheit

Nach Ansicht Gantens hat Deutschland unter seiner EU-Ratspräsidentschaft die Möglichkeit, mit dem übrigen Europa zusammenzuarbeiten, um einen gewissen Einfluss auf die globale Gesundheit auszuüben. „Vor der Pandemie war die globale Gesundheit nicht so wichtig wie heute“, sagte er. 

Ilona Kickbusch, eine externe WHO-Beraterin und Gründerin des Weltgesundheitszentrums am Genfer Hochschulinstitut, beschreibt die Verschiebung der Machtverhältnisse im Gesundheitswesen, welche mit dem Austritt der USA eingeleitet wurde, als eine „große Umbildung“. Diese schaffe bei der Pandemie einen Raum für „Mittelmächte“ wie Deutschland. Experten sind jedoch skeptisch gegenüber der Behauptung, dass Deutschland die USA vollständig ersetzen könne.

„Es wird schwierig sein, [die Lücke] zu füllen … sowohl in Bezug auf den finanziellen Beitrag als auch dann natürlich in geopolitischer Hinsicht“, sagte Holzscheiter. Im Gegensatz zu den USA, argumentiert sie, habe Deutschland keine Ambitionen, eine globale Supermacht zu werden, obwohl es „auf dem besten Weg“ sei, ein weltweit führendes Gesundheitsunternehmen zu werden. 

„Es sind auch Staaten wie China, die den Wunsch haben, einzuspringen“, warnte Holzscheiter. Auch die Stiftung von Bill und Melinda Gates wird wahrscheinlich zum noch größeren Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation aufsteigen. Indien, Australien und Frankreich seien andere „Mittelmächte“, die an den globalen Gesundheitsfronten aktiver geworden seien, sagte sie. „Es findet eine Verschiebung statt. Und wir werden darauf achten müssen“, sagte Kickbusch gegenüber „Politico“.



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