Droht ein Zerwürfnis? EU gegen schnelle Ukraine-Aufnahme – Botschafter attackiert Berlin
Mit Andauern des russischen Kriegs gegen die Ukraine wachsen die Spannungen zwischen den EU-Staaten über den weiteren Kurs der Europäischen Union.
Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs im Schloss von Versailles bei Paris machten Länder wie Lettland am Donnerstag deutlich, dass sie die deutsche Ablehnung eines Stopps von Energieimporten aus Russland für nicht mehr tragbar halten.
Zudem lagen die Meinungen darüber auseinander, wie mit dem Antrag der Ukraine auf einen möglichst schnellen EU-Betritt umgegangen werden soll. Auch dabei stand Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Seite jener, die auf der Bremse stehen.
Scholz lehnt Stopp der Energieimporte ab
Unter Druck stand Scholz allerdings vor allem wegen seiner Ablehnung eines Einfuhrstopps für Öl, Gas und Kohle aus Russland. „Ich bin überzeugt, dass wir die Entscheidung treffen sollten, Energieimporte aus Russland zu stoppen, um (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin zum Verhandlungstisch zu bringen und den Krieg zu beenden“, sagte der lettische Premierminister Krisjanis Karins. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, betonte: „In diesem Moment der Krise müssen wir uns daran erinnern, dass Energie politisch ist – und es schon immer war.“ Man müsse eine klare Botschaft senden und die russischen Exporte beschränken.
Beide stellten sich damit auf die Seite von Ländern wie Polen und Litauen, die sich bereits für einen solchen Schritt ausgesprochen hatten. Damit sollte dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle für die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine genommen werden. Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zufolge geben die EU-Staaten zur Zeit täglich rund 420 Millionen Dollar (380 Millionen Euro) für russisches Gas aus, und knapp 400 Millionen Dollar (362 Millionen Euro) für Öl aus Russland. Das liegt vor allem daran, dass Länder wie Deutschland, Österreich und Ungarn erhebliche Teile ihres Energiebedarfs über Lieferungen aus Russland decken.
Scholz hatte dazu am Montag erklärt, die Versorgung Europas mit Energie könne derzeit nicht anders gesichert werden. In Versailles sagte er, man bedenke bei den Sanktionen sehr präzise, wie man die russische Regierung davon überzeugen könne, dass sie den Krieg beendet. Gleichzeitig gehe es darum sicherzustellen, dass die Auswirkungen in Europa „möglichst gering seien. „Diesen Kurs sollten wir auch weiter verfolgen“, sagte er. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung hieß es nur allgemein, man sei bereit, schnell mit weiteren Sanktionen zu handeln.
Diskussionen über EU-Beitritt
Deutliche Spannungen zeigten sich beim Gipfel auch bei der Frage, wie mit dem ukrainischen Wunsch nach einer schnellen Aufnahme in die EU umgegangen werden soll. So erteilte der niederländische Premier Mark Rutte dem Anliegen eine klare Absage. „Einen beschleunigten Beitritt, so etwas gibt es nicht“, sagte er. Sein luxemburgischer Amtskollege, Xavier Bettel, sagte, er sei kein Regelfetischist, aber es gebe Bedingungen für einen EU-Beitritt. Bundeskanzler Scholz äußerte sich ähnlich. „Es ist ganz wichtig, dass wir die Dinge, die wir ja auch in der Vergangenheit beschlossen haben, weiter verfolgen“, sagte er. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung hieß es zwar, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehöre. Konkrete Zusagen mit Blick auf einen schnellen EU-Beitritt wurden jedoch nicht gemacht.
Dabei warben Länder wie Estland und Litauen eindringlich dafür. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas sagte der „Süddeutschen Zeitung“, in ihren Augen gebe es die moralische Pflicht, „diesen Menschen ihren europäischen Traum möglich zu machen“.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angesichts des russischen Krieges gegen sein Land kürzlich die Mitgliedschaft in der EU beantragt. Der EU-Beitritt, ein langer und komplizierter Prozess. Doch die Ukraine hofft auf Tempo. „Wir wollen keinen Freifahrtschein. Aber wir wollen, dass das in einem Eilverfahren geschieht, innerhalb von wenigen Jahren“, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der Deutschen Presse-Agentur.
Botschafter: Deutsche Haltung zu Waffenlieferungen „feige“
Melnyk hat auch die aus seiner Sicht zögerliche Haltung der Bundesregierung zu Waffenlieferungen an die Ukraine scharf kritisiert.
Die klare Absage an die Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ MiG-29 aus Polen sei für die Ukrainer sehr enttäuschend, sagte er am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz – Ein Abend für die Ukraine“. „Es ist in der Tat eine feige Entscheidung – und zwar nicht nur der Amerikaner, auch der Deutschen.“ Deutschland sage Nein zu Flugzeugen und Nein zu Panzern für die Ukraine. Dabei seien Panzer angesichts des russischen Angriffskriegs auch Verteidigungswaffen.
Das polnische Außenministerium hatte Anfang der Woche erklärt, die Regierung sei bereit, alle ihre Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 unverzüglich auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zu verlegen und die Maschinen den USA zur Verfügung zu stellen. Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, lehnte das aber am Mittwoch mit den Worten ab, ein solches Vorhaben könnte „zu einer erheblichen russischen Reaktion führen, die die Aussichten auf eine militärische Eskalation mit der Nato erhöhen könnte“.
Melnyk kritisierte, der russische Präsident Wladimir Putin bestimme so „nach wie vor die Spielregeln, und die Deutschen, die Europäer, die Nato-Staaten laufen hinterher“. Er forderte die Bundesregierung auch auf, der Ukraine eine Perspektive zum EU-Beitritt zu gewähren und Putin härter zu sanktionieren. Nötig seien jetzt mutige Entscheidungen und nicht nur Ausreden.
Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff verteidigte die Haltung der Bundesregierung. Die an die Ukraine gelieferte Panzerabwehrwaffen seien eine konkrete Hilfe und genau das richtige Mittel. Die Kommunikation der Polen im Fall der Kampfflugzeuge sei allerdings ein Debakel gewesen, sagte er. „So sieht es aus, als ob hier Wladimir Putin immer noch über unsere Politik entscheiden würde.“
Auswirkungen auf Wirtschaft in der EU
Ein weiteres brisantes Thema beim zweitägigen Gipfel war indes der Umgang mit Auswirkungen des Krieges auf die wirtschaftliche Entwicklung in der EU. So hat Frankreich die Idee ins Spiel gebracht, wie schon in der Corona-Krise ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm zu beschließen. Dieses könnte demnach helfen, die Folgen des aktuellen Energiepreisanstieges abzufedern, aber auch Investitionen in Verteidigungsprojekte fördern. Länder wie Deutschland und die Niederlande halten dies zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht notwendig und verweisen darauf, dass erst einmal das 800 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket aufgebraucht werden sollte.
Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich hingegen offen für den französischen Vorschlag. „Italien und Frankreich sind auch auf dieser Front vollständig auf einer Linie“, sagte Draghi.(dpa/afp/red)
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