Ein Blick in die Geschichte: Der Islam in Europa scheiterte an einem 16. Juli

Der 16. Juli ist ein Datum, das es in sich hat. Insbesondere unter dem Blickwinkel der islamischen Geschichte. Islamwissenschaftler Dr. Alfred Schlicht berichtet ab dem Jahr 622 – mit dem Tag 1 des islamischen Kalenders.
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Ramadan-Laternen.Foto: iStock
Von 17. Juli 2018

Der 16. Juli 622 ist der 1. Tag des Monats Muharram des Jahres 1 des islamischen Kalenders – dies ist der Ausgangspunkt der islamischen Zeitrechnung.

Diese beginnt mit der Hidschra, der Auswanderung des Propheten des Islam von Mekka nach Medina im Sommer 622. Muhammad, der Begründer des Islam und ‚Siegel der Propheten’ hatte, als seine Lage in seiner Geburtsstadt Mekka immer schwieriger geworden war, beschlossen, in die Oase Yathrib zu übersiedeln, wo er eine Schiedsrichterrolle unter den dortigen Stämmen [darunter auch jüdische] übernahm.

Es gelang Muhammad, sich in Yathrib, das seither ‚Madinat [an-Nabi]’, also ‚Stadt [des Propheten]’ heißt, eine führende Position zu erarbeiten: mit politischem Geschick, später auch mit Gewalt, seine Stellung zu festigen und aus einer heterogenen Bevölkerung, unter der die Muslime zunächst nur eine Gruppe unter mehreren waren, eine politische Gemeinschaft zu schmieden, einen regelrechten Staat zu formen.

Dieser islamische Urstaat von Medina war die Keimzelle des islamischen Imperiums, das sich in den kommenden Jahrzehnten über weite Teile Westasiens, Nordafrikas und Südeuropas ausdehnte.

12 Jahre später standen muslimische Heere vor Damaskus und Jerusalem

Von hier aus ging der Siegeszug des Islam, der bis heute andauert. Nur 12 Jahre später standen muslimische Heere bereits vor Damaskus und Jerusalem, damals unter byzantinischer Herrschaft, mit vor allem christlicher, aber auch jüdischer Bevölkerung.

Hier fanden die ersten Weichenstellungen in der frühislamischen Geschichte statt, hier wurden wichtige Präzedenzfälle geschaffen für das, was später typisch für den Islam werden sollte; hier kam es zu ersten systematischen Gewalttaten gegen Juden.

Der 16. Juli mag lediglich kalendarisch der Beginn der islamischen Zeitrechnung sein, aber er begründet einen Kalender, der bis heute Bedeutung hat und erinnert an die Hidschra [1], ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung.

„Masjid an Nabawi“ (dt: „Die Moschee des Propheten“) in Medina, Saudi Arabien. Foto: iStock

Und der 16. Juli 1212: Ein Höhepunkt in der christlichen Zurückeroberung

Schärfer könnte der Kontrast kaum sein: Der 16. Juli 1212 stellt einen der Höhepunkte der Reconquista dar, der christlichen Rückeroberung von Spanien und Portugal aus islamischer Hand.

Im Jahr 711 hatten arabisch-berberische Heere vom heutigen Marokko aus die Eroberung der iberischen Halbinsel im Zeichen des Islam begonnen und sie innerhalb kurzer Zeit fast vollständig unterworfen.

Jedoch nicht ganz: Von Anfang an hatten sich christliche Widerstandsnester im äußersten Norden gehalten; sie hatten sich gewehrt gegen das scheinbar unaufhaltsame Vordringen der muslimischen Glaubenskrieger. Bereits 722 (vielleicht auch schon 718) markierte die Schlacht von Covadonga einen frühen Erfolg der christlichen Seite ganz im Norden Asturiens.

Allianz der christlichen Staaten gewann

Als Alfons VIII. von Kastilien dann am 16. Juli 1212 eine christliche Allianz bei Las Navas de Tolosa, nördlich von Jaen, gegen die Truppen der muslimischen Almohaden führte, hatte die islamische Herrschaft auf der iberischen Halbinsel schon ein halbes Jahrtausend gedaürt. Es lagen aber auch fast 500 Jahre Reconquista, dem Konflikt zwischen Kreuz und Halbmond, hinter dem äußersten Südwesten Europas.

Die Allianz christlicher Staaten, die sich im Zuge der Reconquista im Norden Spaniens gebildet hatten, konnte die Armee des Almohaden-Kalifen Muhammad an-Nasir schlagen. Damit glichen sie die Niederlage aus, welche die Almohaden, eine religiös-politische Bewegung nordafrikanischen Ursprungs, dem christlichen Spanien in der Schlacht von Alarcos 1195 zugefügt hatten.

Die Reconquista war wieder auf dem Vormarsch, nachdem die Almohaden, die ja aus Nordafrika gekommen waren um den Islam wieder in die Offensive zu bringen, sie vorübergehend aufgehalten hatten.

1492: Kolumbus brach nach Indien auf – und der letzte islamische Staat in Spanien verschwand

Die Schlacht von Las Navas de Tolosa war nicht das Ende islamischer Herrschaft in Spanien, aber der Anfang vom Ende. Cordoba wurde 1236 wieder christlich, Sevilla 1248.

Erst 1492 verschwand der letzte islamische Staat von der iberischen Landkarte – just in dem Jahr, in dem Kolumbus aufbrach, um den Westweg nach Indien zu finden, aber Amerika entdeckte. Eine reine Koinzidenz?

Der arabische Alhambra-Palast in Granada, Spanien. Foto:iStock

Und dann noch die Korsaren aus Algier am 16. Juli 1627

Was am 16. Juli 1627 auf den Westmännerinseln (Vestmannäyjar) geschah, könnte man versucht sein, ins Reich der Legende zu verbannen, wäre es nicht durch zeitgenössische Quellen gut belegt.

Damals machten Korsaren (Piraten, [2] aus Algier) einen Überfall auf die vor der isländischen Südküste gelegenen Inseln, nachdem sie die Küste Islands heimgesucht hatten. Über 230 Menschen wurden verschleppt, nur wenige – wohl zwischen 30 und 40 – kamen wieder zurück.

Der evangelische Geistliche Olafur Egilsson, der unter den Entführten war, kehrte bereits 1628 zurück und verfasste ein Buch über diesen Vorfall und seine Erlebnisse. Seine Frau wurde erst nach 10-jähriger Gefangenschaft freigelassen. Die Söhne des Paares, dürften, wie die meisten Opfer dieses Überfalls, in die Sklaverei verkauft worden sein.

Nordafrikanischer Raum: Seeräuberei, Sklavenhandel, Lösegelderpressungen

Dies folgte einem bekannten Muster: Im nordafrikanischen Raum zwischen Marokko und Libyen hatten sich seit dem 16. Jahrhundert die sogenannten Barbareskenstaaten [2] gebildet, die von Seeräuberei, Sklavenhandel und Lösegelderpressung lebten.

Sie unterstellten sich dem osmanischen Sultan, agierten somit quasi in höherem Auftrag und konnten ihre Plünderungen, Menschenraub und andere Gewaltakte als Teil des ‚Dschihad’ deklarieren, der ja nach islamischer Lehre permanent mit der nichtislamischen Welt zu herrschen hat.

Anti-Piraten-Schutz von heute auf einem Schiff vor der Küste von Somalia. Foto: iStock

Außergewöhnlich war, dass die Korsaren so weit nach Norden vorstießen. Dänemark, zu dem Island damals gehörte, hat verschiedene Bemühungen um einen Rückkauf der Opfer unterstützt.

Die Welt der Korsaren ist dem gebildeten europäischen Publikum – wenn auch in idealisierter Weise – durch Mozarts Oper ‚die Entführung aus dem Serail’ nahegebracht worden.

Erst im 19. Jahrhundert beendeten europäische Mächte und die USA das Korsarenunwesen im Maghrib, das Jahrhunderte lang eine Gefahr für die Zivilschiffahrt im ganzen Mittelmeerraum dargestellt hatte. Mindestens 1 Million Europäer waren in diesem Zeitraum Gefangene der nordafrikanischen Korsaren geworden (andere Berechnungen liegen wesentlich höher).

Eine Operation gegen libysche Piraten stellte den ersten out-of-area-Einsatz der US Navy dar.

Ein Blick auf die Festungsmauern von Essaouira, Marokko. Foto: iStock

[1] Hidschra oder auch Hedschra, bezeichnet die Flucht (eigentliche Wortbedeutung: Auswanderung, Auszug) Mohammads von Mekka nach Medina

[2] Barbaresken-Korsaren (auch Barbaresken-Piraten): Dieser Name wird für die muslimischen Kaperfahrer im Mittelmeer verwendet, die vom 16. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts von dem als Barbarei-Küste (auch: Berberei) bezeichneten Teil der nordafrikanischen Küste aus agierten. Der Name Berber leitet sich ursprünglich vom griechischen/römischen Wort für Barbar oder vom Namen eines (mythischen) Stammesvaters beru-borr ab. Quelle: Wikipedia, Marokkoinformationen.eu

Dr. Alfred Schlicht ist Islamwissenschaftler; sein neuestes Buch „Gehört der Islam zu Deutschland?“ erschien 2017.



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