Eine Falle? Peking „lockte Putin in eine vasallenartige Abhängigkeit“

Tanzt die Welt nach Pekings Pfeife? „Xi hat getan, was notwendig war, um Russland in eine vasallenartige Abhängigkeit von China zu bringen, und Putin ist [...] in die Falle getappt“, sagt Nina Chruschtschow. Peking verfolgt mit einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine eigene strategische Ziele.
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Eindeutige Ansage in Barcelona am 2. März 2022: Kein Krieg.Foto: PAU BARRENA/AFP via Getty Images
Von 3. März 2022


China sei erschrocken, sagen Experten. Erschrocken über die neue muntere Einigkeit des Westens, von EU und NATO, Deutschland und Frankreich, Schweden und Finnland, Indien und vielen weiteren Staaten und Organisationen. Damit hat die chinesische Staatsführung möglicherweise nicht gerechnet, meint Politikwissenschaftler Wang He. Wang He analysierte und kommentierte die aktuelle Lage für die chinesisch-sprachige Epoch Times.

Der Blitzkrieg stockt, erste Verhandlungen sind misslungen. Die russische Armee verheddert sich, sie scheint also nicht so stark zu sein, wie zuvor vom Kreml verkündet. Eine Frage, die Peking den Schlaf beeinträchtigt, lautet: Wird damit auch gleichzeitig die militärische Stärke der PLA, der kommunistischen Volksbefreiungsarmee Chinas, in Frage gestellt?

Unangenehmes militärisches Erwachen

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion führte die russische Armee mehrere Kriege, von Tschetschenien bis zu Georgien, von der Krim bis zur militärischer Einmischung im Bürgerkrieg in Syrien. Die Armee sammelte viel praktische Erfahrung, führte eine Militärreform durch und gilt als eine der fortschrittlichsten sowie technologisch am besten ausgerüstete der Welt.

Im Vergleich zur russischen Armee ist die Armee Chinas nicht besser, gibt Peking im Stillen zu, sie hat zudem seit Jahrzehnten nicht mehr real gekämpft. Die Korruption innerhalb der PLA ist stark. Selbst der Führer der KP Chinas, Xi Jinping, hat Bedenken und Sorgen bezüglich der Kampffähigkeit der PLA.

Der bisherige russisch-ukrainische Krieg dürfte das militärische Vertrauen der Zentralregierung der KP Chinas erschüttert haben, sagt Wang He.

Und morgen Taiwan?

„Ukraine heute, Taiwan morgen“ sollte der aktuelle Slogan lauten, der auf dem chinesischen Festland gehypt werden sollte. Doch Pekings Führung rudert zurück, diese Propaganda wurde abgeblasen.

Im russisch-ukrainischen Krieg machte die USA deutlich, dass sie nicht direkt teilnehmen. Die Option, bei einem Angriff Chinas auf Taiwan anders vorzugehen, blieb offen. Die Sicherheit des Pazifiks steht für die USA höher im Kurs als die Ukraine und Peking kann nun mit Fug und Recht annehmen, dass nicht nur US-Marines vorbeischauen würden. US-Präsident Biden schickte zunächst für den 1. und 2. März eine hochrangige und parteiübergreifende Delegation nach Taiwan, ranghohe Verteidigungspolitiker wie Michael Glenn Mullen. Auch der frühere US-Außenminister Mike Pompeo reiste an. Kurz: Die USA sichern Taiwan im Falle eines Angriffs ihre Hilfe zu.

Um Taiwan zu erobern ist für China ein komplexer und schwieriger Angriff über das Meer hinweg notwendig, die wenigen Strände, an denen die PLA anlanden könnte, werden gut bewacht. Könnte die KP Chinas das schaffen?

Eine weitere Einschüchterungsaktion wurde durch Peking anberaumt: vom 27. Februar bis zum 13. März wird im nördlichen Teil des gelben Meeres ein Militäreinsatz durchgeführt. Anderen Schiffen ist verboten, dort zu sein. Nahezu täglich werden Flugzeuge der PLA von der taiwanischen Luftwaffe im eigenen Luftraum entdeckt und vertrieben.

Taiwans Regierung ist in höchster Alarmbereitschaft – und bleibt gelassen. Es bestehe kein Grund, sich selbst zu erschrecken, ordnet Su Ziyun, Direktor des taiwanesischen Instituts für nationale Verteidigungsstrategie und -ressourcen Pekings Säbelrasseln ein. Das Durchfahrverbot beträfe nur Überwasserschiffe, daher sei es nur eine Übung mit kleinen Waffen.

Die Einheit der Welt versetzt Peking in Angst

Zurück nach Europa. Die zweite Überraschung könnte für Peking die plötzliche westliche „Einheitsfront“ sein, um diesen typisch chinesischen Ausdruck zu benutzen.

Die Interessenkonflikte des Westens waren vermutlich ein Grund für Putin, auf einen schnellen Krieg zu setzen. Wäre dieser Coup gelungen, dann wäre Russland mit einer stark abschreckenden Wirkung als Großmacht auf die Weltbühne zurückgekehrt. Früher oder später wäre die EU angesichts vollendeter Tatsachen Kompromisse mit Russland eingegangen.

Binnen fünf Tagen überwanden die Staaten einige wichtige Differenzen. Der russisch-ukrainische Krieg hat den Westen nicht gespalten, sondern zu einer stärkeren Einheit gebündelt. Viele Staaten sprangen über ihren eigenen Schatten und taten Dinge, die sie noch nie getan hatten. Einige Beispiele: Am 26. Februar beschlagnahmte die französische Marine ein russisches Frachtschiff im Ärmelkanal. Am selben Tag begann Deutschland damit, Waffen in die Ukraine zu liefern. Deutschland verdoppelte seinen Wehretat und verpflichtete sich, mehr als 2 Prozent  seines BIP zu Verteidigungsausgaben einzusetzen.

Am 27. Februar erklärte die EU – ein Novum –, Waffen und Ausrüstung für die Ukraine mit bis zu 500 Millionen Euro zu finanzieren. Selbst die Schweiz gab ihre Neutralität auf und unterstützt die Europäische Union. Schweden und Finnland schickten Waffen und Feldrationen, was zuvor undenkbar war. In beiden Staaten werden die Stimmen lauter, der NATO beizutreten (was ein weiterer Affront für Putin ist).

Große Teile der internationale Gemeinschaft „entrussifizieren“ sich, mögliche Übertreibungen inbegriffen. Selbst Indien, das enge Beziehungen zu Moskau unterhält und de facto ein militärischer Verbündeter ist, gab bekannt, dass die indische Zentralbank (State Bank of India, SBI) die Abwicklung aller Transaktionen mit sanktionierten russischen Unternehmen eingestellt hat.

Doch: Sitzt der Kreml allein in der Falle … 

„Putin grub sich seine eigene Falle, als er den russisch-ukrainischen Krieg begann“, meint der Politikwissenschaftler Wang He. Unter Berücksichtigung der neuen Gesichtspunkte werde sich die KP Chinas, wenn sie Taiwan angreift, in Luft auflösen. Er warnt: „Wenn die Kommunistische Partei Chinas einen Krieg gegen Taiwan startet, werden die internationalen Sanktionen und Verurteilungen, die sie auslösen wird, noch größer sein.“

Putin habe einige militärische Fehler gemacht, so der Politikwissenschaftler: Er hätte statt einem Blitzkrieg (nach der Strategie der Krim) den Druck langsam aufbauen müssen. Die Strategie der „schrittweisen Eskalation“ sei nicht genutzt worden, mit dieser hätte er den Verlauf des Krieges wirksam kontrollieren und maximale Ergebnisse zu minimalen Kosten erzielen können. Nun „kontrolliert Putin nicht den Krieg, sondern der Krieg kontrolliert Putin. Dies ist ein großer militärischer Fehler. Dies ist ein Tabu für Militärstrategen.“

… oder gemeinsam mit Peking?

Lai Jianping, Rechtsexperte für internationales Recht an der Chinesischen Universität für Politikwissenschaft und Recht, sieht noch andere Aspekte: „Meiner Meinung nach ist dieser Krieg tatsächlich von Russland und Peking gemeinsam initiiert worden“, sagt er und zählt auf, dass es sich Putin gar nicht leisten könnte, diesen Krieg allein zu führen. Das Wirtschaftswachstum Russlands lag in den vergangenen vier oder fünf Jahren fast bei Null oder war sogar rückläufig.

Peking verfolge mit einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine eigene strategische Ziele. Es sei zum Beispiel ein prima Anlass, um erstens „die ganze westliche Welt von Chinas Kommunistischer Partei abzulenken“ und zweitens Druck auf Taiwan auszuüben. Außerdem möchte Xi Jinping auch nach dem 20. Nationalkongress im zweiten Halbjahr 2022 an der Macht bleiben und einige Erfolge vorweisen.

Lai beschrieb im Gespräch mit der Epoch Times, dass Peking tatsächlich die russische Invasion unterstütze und wirtschaftliche Hilfe leistet. Fünfzehn am 4. Februar unterzeichnete Abkommen garantieren beispielsweise, dass Russland weiterhin Öl und Gas verkaufen kann. In einigen Abkommen geht es um eine Erhöhung der Gas- und Öl-Käufe aus Russland. Sogar die Möglichkeit, diese zu tauschen, ist enthalten. Sich gegenseitig zur gemeinsamen Nutzung der Satellitenortungssysteme beider Länder zu verpflichten, ebenfalls.

Für den Juristen Lai ist klar, dass die internationale Gemeinschaft bisher nur Russland, nicht aber die KP Chinas im Hintergrund sanktioniere. Das Motiv dahinter? „Das Versäumnis, die schwarze Hand, den Schuldigen, der diesen Krieg angezettelt und gefördert hat, aufzudecken, ist in Wirklichkeit ein Ausweichen vor der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit.“

Lai empfiehlt dringend, dass „die internationale Gemeinschaft diese Frage eingehender untersuchen und dann umfassende Sanktionen gegen die Kommunistische Partei verhängen sollte, also was ist die eigentliche strategische Vision und das strategische Ziel. Andernfalls werden die Ambitionen der KPC noch größer und die Bedrohung für die Welt noch gewaltiger sein.“

Oder sitzt Putin gar in einer Falle von Peking?

In der Zwischenzeit sollte Russland seine Lage hinterfragen: Lohnt sich dieser Angriff wirklich?

Nina L. Chruschtschow, russisch-amerikanische Professorin für Politikwissenschaft nimmt an, dass Putin von der KP Chinas hintergangen wird. Putin habe ignoriert, dass Peking Russland als korruptes Land betrachtet, das im 19. Jahrhundert mehr chinesische Gebiete gestohlen habe als jeder andere Staat.

„Xi hat getan, was notwendig war, um Russland in eine vasallenartige Abhängigkeit von China zu bringen, und Putin ist ihm im Glauben, dass eine Partnerschaft mit Xi ihm in seiner Konfrontation mit dem Westen helfen würde, direkt in die Falle getappt.“

Die Urenkelin des früheren sowjetischen Führers Chruschtschow erklärt weiter: „Was könnte für China besser sein als eine russische Wirtschaft, die komplett vom Westen abgeschnitten ist? All das Erdgas, das nicht westwärts in Richtung Europa fließt, könnte gen Osten ins energiehungrige China strömen. Alle sibirischen Rohstoffvorkommen, für deren Erschliessung Russland westliches Kapital und Know-how brauchte, würden ausschliesslich China zur Verfügung stehen, und Gleiches gilt für wichtige neue Infrastrukturprojekte in Russland.“

China werde weder den eigenen Wohlstand riskieren, indem es die USA in Verteidigung Russlands offen herausfordere – noch die russische Wirtschaft stützen, indem es dort in dem Maß investiert, wie es zum Ausgleich der gewaltigen Sanktionen erforderlich sei.

Sie erwartet: „Stattdessen werde China das bloße Minimum tun, um Russland in die Lage zu versetzen, seine Konfrontation mit dem Westen aufrechtzuerhalten, und so die Aufmerksamkeit des Westens von der von China selbst ausgehenden strategischen Herausforderung abzulenken.“ Diese minimale chinesische Unterstützung möge gerade so ausreichen, um Putin im Kreml zu halten – das ist das Einzige, was für Xi zähle. Und die russische Volkswirtschaft werde langsam ausbluten.

Der Artikel kann in unserer Wochenzeitung Ausgabe 34 vom 5. März gelesen werden.



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