Erdoğan nennt Handke „Mörder“ – GfbV: Nobelpreis ist „Signal, dass Islam nicht zu Europa gehört“

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke sorgt in islamischen Communitys weiter für Empörung. Zwar hat sich der Autor nie islamkritisch geäußert, doch werden seine proserbischen Statements unter Muslimen als Verharmlosung von Kriegsverbrechen aufgefasst.
Titelbild
Der österreichische Schriftsteller Peter Handke erhält am 10. Dezember den Literaturnobelpreis 2019 von König Carl XVI Gustaf von Schweden in der Konzerthalle in Stockholm, Schweden.Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images
Von 11. Dezember 2019

Teile der muslimischen Bevölkerung in Europa und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan betrachten die Verleihung des diesjährigen Literaturnobelpreises an den österreichischen Schriftsteller Peter Handke als Affront gegen die islamische Community. Handke erhielt am gestrigen Dienstag (10.12.) in Stockholm offiziell die Urkunde und die Medaille zu dem Preis, der in diesem Jahr ihm und der polnischen Literatin Olga Tokarczuk zugedacht worden war. Das Nobelpreiskomitee hatte seine Entscheidung bereits im Oktober verkündet.

Zwar hat sich der Autor zu keiner Zeit islamkritisch geäußert: Seine proserbische Position in der Zeit des Bürgerkrieges im zerfallenden Jugoslawien der 1990er und seine Grabrede für den 2006 verstorbenen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic reichten aber vielen aus, um ihm die Preiswürdigkeit abzusprechen. 

Mehrere Botschafter blieben der Zeremonie fern

Die Botschafter des Kosovo, Albaniens, Kroatiens und der Türkei, die neben anderen mehr als 1500 Gästen zur Zeremonie ins Stockholmer Konzerthaus geladen waren, blieben dieser demonstrativ fern, nachdem bereits deren Regierungen gegen die Nobelpreisverleihung an Handke protestiert hatten.

Wie die „Oberösterreichischen Nachrichten“ berichten, hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dem selbst eine Vielzahl an Menschenrechtsverstößen in seinem Land vorgeworfen werden, den „Tag der Menschenrechte“ zum Anlass genommen, um die Entscheidung des Nobelkomitees zu kritisieren und Handke als „rassistisch“ zu bezeichnen. Am Dienstag erklärte er:   

„Dass am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, der Literaturnobelpreis einer rassistischen Person gegeben wird, die den Genozid in Bosnien-Herzegowina leugnet und Kriegsverbrecher verteidigt, hat keine andere Bedeutung, als Verstöße gegen Menschenrechte auszuzeichnen.“

Bei einer späteren Veranstaltung mit Studenten in Ankara soll er die Tonart noch einmal verschärft und erklärt haben: „So einen Mörder auszuzeichnen heißt, mit der Gräueltat gemeinsame Sache zu machen.“

GfbV fordert Entschuldigung bei Srebrenica-Opfern

In der Nähe des Stockholmer Konzerthauses demonstrierten mehrere hundert Personen gegen die Auszeichnung Handkes. Neben bosnischen Einwandererverbänden forderte auch die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) eine Entschuldigung Handkes gegenüber den Opfern des Massakers von Srebrenica, bei dem serbische Verbände 1995 mehr als 8000 bosnische Muslime ermordet haben sollen.

„Peter Handke reiht sich heute in die Kette der Genozidleugner ein, wenn er kein Rückgrat beweist und sich vor den Opfern des Völkermords verneigt“, erklärt Literaturwissenschaftlerin Jasna Causevic, die in der GfbV als „Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung“ tätig ist.

Emir Suljagic, der Leiter der Srebrenica-Gedenkstätte Potocari, der mit einer größeren Frauengruppe aus der Vereinigung „Mütter von Srebrenica“ an einem Protest teilnahm, sieht der Tageszeitung „Oslobodjenje“ zufolge in der Preisverleihung gar eine implizite Kampfansage an die Muslime:

„Die Schwedische Akademie hat ihren Beschluss nur aus einem Grund gefasst: Sie glaubt, dass sie dies ohne Folgen tun kann, da es sich um eine Institution handelt, in welcher offensichtlich der Standpunkt vertreten ist, dass die Muslime und der Islam nicht zu Europa gehören.“

Anfang der 1990er verurteilten weite Teile der EU-Unabhängigkeitsbestrebungen in Jugoslawien

Die Kritik Handkes am westlichen Narrativ zum Jugoslawienkrieg – das sich selbst erst im Laufe der 1990er gebildet hatte, nachdem anfänglich noch weite Teile der EU die Einheit des sozialistischen Vielvölkerstaates verteidigt hatten – hatte allerdings zu keiner Zeit irgendeinen Bezug zum Islam. Handke war vielmehr eine der ersten namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die wenige Jahre nach Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ offen Vorbehalte an der Idee formulierten, dass Europa im Rahmen einer „liberalen Weltordnung“ eine führende Rolle im Westen und in der Welt einnehmen sollte.

Handkes 1996 erschienener Reisebericht „Abschied des Träumers vom Neunten Land: Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ erhob den Anspruch, einem medialen Zerrbild im Westen reale Eindrücke vom Leben in Serbien entgegenzusetzen. Kritiker warfen Handke darob eine Verharmlosung nationalistischer Tendenzen innerhalb der serbischen Führung um den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević vor und eine indifferente Haltung gegenüber Kriegsverbrechen jugoslawischer Truppen und serbischer Milizen in Bosnien und Herzegowina. 

Handke wiederum nahm Anstoß an der aus seiner Sicht einseitigen Darstellung des Konflikts, im Zuge dessen aufseiten aller Beteiligten Kriegsverbrechen begangen wurden. So soll es in mindestens 192 dokumentierten Fällen auch aufseiten radikal-islamischer Mudschahedin, die aus Gebieten wie Saudi-Arabien oder Tschetschenien nach Bosnien gekommen waren, zu Enthauptungen gefangener serbischer Soldaten und Zivilisten gekommen sein. Noch heute befinden sich in Bosnien und Herzegowina Gemeinden, in denen de facto Sympathisanten von Al-Kaida die Macht ausüben, die in der Zeit des Balkankrieges dorthin eingesickert waren.

Jugoslawien-Thesen für Preisverleihung nicht relevant

Tatsächlich hatten die Äußerungen Handkes in Sachen Jugoslawienkrieg bei der Entscheidung, ihm den Literaturnobelpreis zu verleihen, keine Rolle gespielt. Begründet hat die Schwedische Akademie die Preisverleihung damit, dass Handke ein „einflussreiches Werk“ geschaffen habe, das „mit sprachlichem Einfallsreichtum Randbereiche und die Spezifität menschlicher Erfahrungen ausgelotet hat“. Das Besondere an ihm und seinem Werk sei „die außergewöhnliche Aufmerksamkeit zu Landschaften und der materiellen Präsenz der Welt, die Kino und Malerei zu zwei seiner größten Quellen der Inspiration werden ließen“.

Anders Olsson, der Vorsitzende des Nobelkomitees der Schwedischen Akademie, sprach in seiner Laudatio in Stockholm die „bahnbrechende Meisterschaft der Sprache“ eines Autors, der oftmals die Konformität unserer Zeit verweigere. „Er schildert nicht die Metropole, er schildert die Peripherie“, so Olsson: „Sein Blick ist seine Sprache, er bleibt empfänglich in allem.“



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