Éric Zemmour: Frankreich steht am „Anfang eines Bürgerkriegs“

Brennende Polizeistationen, Autos und Gebäude, geplünderte Geschäfte und Hunderte Festnahmen: Die Nacht zum 30. Juni war die schlimmste der jüngsten drei Gewaltnächte in Folge in Frankreich.
Titelbild
Ausgebrannte Autos im Problemviertel Pablo Picasso in Nanterre, westlich von Paris, am 30. Juni 2023.Foto: Bertrand Guay / AFP via Getty Images
Von 30. Juni 2023


40.000 Polizisten hatte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron in der Nacht zum 30. Juni auf die Straßen beordert. Dennoch kam es in der dritten Nacht nach der tödlichen Verkehrskontrolle von Nanterre zu den bisher massivsten Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem erschossenen Jugendlichen. Bereits am Vortag hatte Macron erklärt, dass die „Gewalt gegen Polizeistationen, Schulen, Rathäuser, gegen die Republik“ nicht zu rechtfertigen sei.

Der Präsident war am Freitagmorgen wegen der Ausschreitungen vorzeitig vom EU-Gipfel in Brüssel nach Paris zurückgekehrt. Wenige Stunden zuvor hatte bereits Yaël Braun-Pivet, die Präsidentin der Nationalversammlung, angesichts „inakzeptabler Gewalt“ dazu aufgerufen: „Wir müssen zur Ruhe zurückkehren und Wege des Dialogs finden.“

Ministerielles Lagetreffen in der Bretagne

Heute Vormittag postete Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne Bilder eines Ministertreffens zur Lage – aus der westfranzösischen Hafenstadt Matignon in der Bretagne. Bei dem Treffen, das in rund 350 Kilometern Entfernung zur französischen Hauptstadt stattfand, ging es darum, „eine Bilanz der Gewalt und Ausschreitungen der Nacht zu ziehen“.

Borne erklärte: „Die begangenen Taten sind unerträglich und unentschuldbar.“ Anwesend waren neben Borne unter anderem Innenminister Gérald Darmanin, Justizminister Eric Dupond-Moretti und Christophe Béchu, Minister für den ökologischen Übergang und den territorialen Zusammenhalt und der ihm unterstellte Olivier Klein, Minister für städtische Angelegenheiten.

Éric Zemmour: „Wir stehen am Anfang eines Bürgerkriegs“

„Wir befinden uns in einem Vorstadium eines Bürgerkriegs“, warnte Éric Zemmour, ehemaliger Präsidentschaftskandidat von 2022, am Freitagmorgen auf Europe 1. Der Präsident der Partei Reconquête sprach von einer „Revolte“. „Wir sehen überall Plünderungen, Menschen, die sich auf Produkte stürzen. Es ist offensichtlich, dass es ein etabliertes Kräfteverhältnis mit dem Staat und mit Frankreich gibt.“

667 Festnahmen, RAID und Helikopter

Rund zwei Stunden zuvor hatte sich bereits Innenminister Gérald Darmanin auf Twitter gemeldet. Er erklärte: „Letzte Nacht haben sich unsere Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute mutig der seltenen Gewalt gestellt. Gemäß meinen strengen Anweisungen nahmen sie 667 Personen fest.“

Es gab jedoch nicht nur Festnahmen. Die Polizei bezahlte ihren Einsatz in dieser Nacht mit 249 verletzten Polizisten. Neben Helikoptern war auch die mit Automatikwaffen ausgestattete RAID-Spezialeinheit der Polizei im Einsatz.

Über 1.500 Brände in Paris

In Paris wurden unter anderem Geschäfte geplündert und durch Feuer verwüstet. Die Behörden untersagten im gesamten Großraum Paris den Einsatz von Bussen und Straßenbahnen ab Donnerstagabend, 21 Uhr. In mindestens drei Randstädten von Paris wurden Ausgangssperren verhängt.

Einem Bericht des Pariser Polizeipräsidiums zufolge wurden in dieser Nacht 1.569 Brände in Paris und seinen inneren Vororten registriert, darunter 640 Müllbrände, 21 Busbrände und fünf Brände an Baumaschinen.

Brennende Polizeistationen und mehr

Wie „Le Parisien“ berichtet, wurde in der westfranzösischen Departement-Hauptstadt Poitiers die Polizeistation im Bezirk Trois-cités „völlig niedergebrannt“ und zwei weitere „durch Brandfahrzeuge zerstört“, berichtete die Präfektur Vienne in einer Pressemitteilung.

In der Stadt Pau, rund 50 Kilometer vor der spanischen Grenze, griffen Chaoten eine Polizeiwache im Bezirk Zaragoza mit einem Molotowcocktail an. Es kam zu „Schäden, ohne dass das Gebäude vollständig niederbrannte“, so die Präfektur Pyrénées-Atlantiques.

Und in der zentralfranzösischen Departement-Hauptstadt Limoges wurde einer Polizeiquelle zufolge die Fassade der Bastide-Polizeistation nach dem Werfen von Molotowcocktails in Brand gesteckt.

Ein ausgebranntes Firmengebäude in Roubaix, Nordfrankreich, am 30. Juni 2023. Foto: Denis Charlet/AFP via Getty Images

In Mée-Sur-Seine, 50 Kilometer südöstlich von Paris, wurde ein Einkaufszentrum in Brand gesetzt. Das Feuer brannte noch in den Morgenstunden. Gefährdete Anwohner von zwei Gebäuden in der Nähe wurden in Turnhallen untergebracht.

Nach Informationen von „Le Parisien“ sei in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in Ivry (Val-de-Marne) eine Waffenkammer geplündert worden.

Verbrannte Busse in Aubervilliers, nördlich von Paris am 30. Juni 2023. Foto: Bertrand Guay / AFP via Getty Images

Bereits in der vergangenen Nacht brannte im nordfranzösischen Lille ein Rathaus in einem Arbeiterviertel. Ein weiteres im Osten der Stadt wurde mit Steinen angegriffen. In der Hafenstadt Marseille, im Süden der Republik, wurde eine Bücherei verwüstet.

Banner in Marseille mit dem Slogan „Gerechtigkeit für Nahel“. Foto: Nicolas Tucat /AFP via Getty Images

Aus Gerechtigkeit? Brennende Autos und Kindertheater

Und in Nanterre, der Quelle der Ausschreitungen? Hier ging es bereits am Nachmittag los. Aus einem Gedenkmarsch mit rund 6.200 Menschen für den getöteten Jugendlichen wurde schnell eine Straßenschlacht zwischen Polizeikräften und „vermummten Gestalten“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet. Unter anderem kam es im Problemviertel Pablo Picasso zu Ausschreitungen.

Der NZZ nach sei die Gegend in dieser Nacht zu einer No-go-Area geworden. Französische Medien hätten berichtetet, dass Polizei und Feuerwehr vor der Steine werfenden Meute geflüchtet seien. Die Feuer brannten einfach weiter: Mülltonnen-Barrikaden, Dutzende Autos, Bushaltestellen und die Pflanzen auf dem Kreisverkehr.

Sogar ein Karussell in einem Park und ein Theater für Kinder hätten gebrannt, wird berichtet. Alles aus „Gerechtigkeit für Nahel“?, wie es auf Plakaten an Hausfassaden und weißen T-Shirts auf dem Gedenkmarsch hieß.

Ein brennendes Kinderkarussell in Nanterre. Foto: Abdulmonam Eassa/Getty Images

Weitere Ausweitung der Gewalt befürchtet

Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP habe es aus Polizeikreisen geheißen, dass sich die Gewalt noch im Laufe der „nächsten Nächte ausweiten“ könne und mit „gezielten Aktionen gegen Sicherheitskräfte und Symbole des Staates“ zu rechnen sei.

Doch alles begann mit einer eskalierten Verkehrskontrolle. Der 17-jährige Nahel M. war am Dienstagmorgen einer Motorradstreife der Polizei in Nanterre aufgefallen, weil er mit hoher Geschwindigkeit auf einer Busspur fuhr und auch Personen durch seine Fahrweise gefährdet haben soll.

Als man den 17-Jährigen schließlich stoppen konnte, fuhr dieser plötzlich wieder los. Ein Schuss aus einer Dienstwaffe traf den Jugendlichen tödlich. Das Auto krachte nach rund 60 Metern an einen Betonpfeiler. In der Nacht darauf begannen die Ausschreitungen in Nanterre und weiteten sich rasch auf weitere Städte aus.

 



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